Vermittlervertriebe warten ungeduldig auf Vorgaben und Hilfen der Verbände und Dienstleister, die ihnen ermöglichen, bis zum 02. August 2022 die zusätzlichen Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln im Rahmen der Nachhaltigkeit einzuhalten.
Geändert wird die EU-Versicherungsvertriebs-Richtlinie IDD und die europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid ll. So die Kunden künftig in der Beratung nach ihren nachhaltigen Präferenzen gefragt werden. „Die einzelnen Vermittler sind hinsichtlich der Details der Vorgaben vollkommen verloren“, warnte Frank Rottenbacher, Vorstand des Bundesverband Finanzdienstleistung AfW. „Sie warten darauf, dass ihnen gesagt wird, was notwendig ist“, so Rottenbacher auf der 13. Konferenz „Aktuelle Fragen des Versicherungsvertriebs“, die das Institut für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig (IfVW) in diesem Jahr virtuell veranstaltete.
Der Verbandschef appellierte an Versicherer, Verbände und Dienstleister, sich an einen Tisch zu setzen und einheitliche Vorlagen zu erarbeiten. Die meisten Vermittler hätten nicht die Manpower sich mit ESG oder Regulierung zu beschäftigen. Deutliche Kritik gab es in der Diskussion an der Initiative „Nachhaltiger Vermittlerbetrieb“ des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK). So wurde in der Diskussion gefordert, dass das Siegel des BVK überprüfbar sein müsse. Bisher handelt es sich um eine reine Selbsterklärung, bei dem der Vermittlerbetrieb lediglich die formalen Voraussetzungen erfüllen muss.
Kein Öko-Zeugs, sondern ein nicht mehr revidierbarer Trend
Stefan Frigger, Geschäftsführer der BVK Dienstleistungsgesellschaft, verteidigte die Brancheninitiative. „Den Beratungsprozess kann man normieren, aber nicht die Nachhaltigkeit eines Vermittlerbetriebs.“ So wäre ein Vermittler selbst dann noch nachhaltig, wenn er sich aufgrund seiner Bedenken gegenüber der Umweltschädlichkeit von E-Auto-Batterien für ein SUV-Fahrzeug als Firmenwagen entscheide. Zudem befürchtet Frigger, dass bei einer Zertifizierung die Normen von den Vermittlervertrieben unterlaufen würden. Grundsätzlich rät der BVK-Lobbyist den Mitgliedsunternehmen, sich intensiv mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. „Das ist nicht so ein Öko-Zeugs, sondern ein nicht mehr revidierbarer Trend“, so Frigger.
Könnten bis August höchsten „Grundsprachfähigkeit“ zu ESG-Kriterien erlernen
Die Aussage des so genannten Brundtland-Berichts „Nachhaltige Entwicklung bedeutet die Befriedigung der Bedürfnisse in der Gegenwart, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigend können", sollten Vermittler als Leitspruch verinnerlichen. Diese intergenerationelle Gerechtigkeit wäre zudem eine gute Basis, um über private Altersvorsorge zu beraten. Trotzdem sieht auch Frigger, dass bis August die meisten Vermittler höchsten eine „Grundsprachfähigkeit“ zu ESG-Kriterien erlernen könnten. Daher rät er den Vermittlern, regelmäßig TV-Werbung anzuschauen. Hier würde der gesellschaftliche Wandel zu Nachhaltigkeit deutlich vor Augen geführt. Es gäbe fast kein Produkt mehr, dass ohne eine solche Werbung auskomme.
Talanx baut Produkte per Verhaltensökonomie
Eindrucksvoll schilderte Anja Schmidt, Manager Best Practice Lab bei Talanx, wie der Versicherungskonzern weltweit in Teamwork die Verhaltensökonomik zur besseren Vermarktung von Versicherungsprodukten nutzt. Dabei wird in regelmäßigen Tests und Befragungen untersucht, wie Menschen im Widerspruch zur Modellannahme des Homo oeconomicus eher irrationale Entscheidungen treffen. Ermittelt wurden fünf Verhaltenstypen, die je nach Kontext unterschiedlich auf Angebote reagieren. Die Entscheidungssituationen werden zerlegt und neu entwickelte Verkaufsansätze umfangreich getestet. Untersucht wird nicht nur das Verhalten von Kunden, sondern auch das von Vermittlern. Im Ergebnis könnten dann vor allem viel zielgruppenorientiertere Prämienmodelle entwickelt werden.
Persönliche Vermittlung automatisieren
Die Wachstumsstrategie von Wefox Insurance stellte David Stachon, neuer Chief Operating Officer (COO), vor. So würden Versicherungsprodukte in kleine Legosteine zerlegt und dann wieder für das jeweilige Land „zusammengebaut“. Basis dafür sei eine digitale Plattform, die für jedes Land und jedes Produkt dann automatisch Zahlungssystem, rechtliche Regeln und Produktinhalte generiere. Trotzdem will das Insurtech weiterhin am persönlichen Vertrieb festhalten. „Bei einfachen Produkten brauchen wir aber keinen Versicherungsfachmann mehr“, erläuterte Stachon. Hier reichten Mitarbeiter in einem Call Center aus. Wefox übernimmt interessante Vertriebe in einem Land und automatisiert sie. „Wir erreichen in der Regel dann einem Mehrumsatz von rund 35 Prozent“, behauptet der Manager. Das würde die Vermittler schnell motivieren, ihre Vorbehalte gegen technische Systeme fallen zu lassen.
2021 seien Bruttoeinnahmen von 310 Millionen Euro erzielt worden. 2022 werde sich dieses Ergebnis mehr als verdoppeln. Ende 2021 hat Wefox in Deutschland den Assekuradeur assona GmbH gekauft, der vor allem über den Fachhandel Versicherungen für E-Bikes, Fahrräder und Elektronikgeräte verkauft. „Wir ersparen Vermittlern, die mit uns kooperieren, Zeit und Aufwand", erläuterte Stachon. So würden Leads klassisch über ein Call-Center von einem Agenten in ein bis zwei Minuten generiert. Mit der Wefox-Plattform sei das ohne menschliche Fehlerquellen in fünf bis zehn Sekunden möglich.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek