Ohne Rückversicherer wäre Vieles nicht möglich in der Welt der Erstversicherer. Neben der reinen Risikotragungsfunktion übernehmen diese Spezialisten längst weitaus mehr Aufgaben und bedrohen sogar ab und zu das Geschäftsmodell des traditionellen Erstversicherers.
Die Rückversicherung ist selbst für die meisten in der Versicherungsbranche Tätigen ein weitgehend unbekanntes Feld, das Spezialisten überlassen wird. Dabei werden Rückversicherer in vielfältiger Weise benötigt, allein schon um Erstversicherer überhaupt gründen zu können und die fehlenden Risikoausgleiche im Kollektiv zu Beginn zu ersetzen. Auch der etablierte Erstversicherer braucht Rückversicherungsschutz, um herausragende Einzelrisiken ebenso absichern zu können wie gesamte Portfolien, deren Schadenverlauf nicht immer exakt der Kalkulation folgt.
Rückversicherer konkurrieren auch mit Erstversicherern
Rückversicherer bieten aber auch ein bedeutendes Know-how in der Kalkulation von Risiken und der Entwicklung von Tarifen. Neue Risikoarten wie das Thema Cyber lassen sich nur so in den Griff bekommen. Im Naturkatstrophenbereich, wo sich die Risiken nicht von Landesgrenzen aufhalten lassen, liefern die global tätigen Rückversicherer die nötigen Basisdaten.
Zunehmend treten Rückversicherer allerdings auch unter Umgehung der Erstversicherer selbst als Risikoträger auf und helfen beispielsweise so genannten Insurtechs, neue Kundenklientele zu erschließen, die kein traditionelles Nachfrageverhalten aufweisen. Die Insurtechs liefern dazu das entsprechende Know-how, wie die Kundenschnittstelle und die anschließenden Prozesse zu gestalten sind, der Rückversicherer das notwendige Fachwissen in der Tarifierung. Ein marktüblicher Erstversicherer dazwischen würde mit seinen konventionellen Prozessen das Geschäftsmodell ausbremsen und viel zu viel Aufwand verursachen, neue Schnittstellen zwischen Insurtech und Versicherer zu schaffen.
Basis ist ein Fachwirt-Lehrwerk
Um die Welt der Rückversicherung näher zu verstehen, gibt es nun ein aktuelles Handbuch, das auf fast 600 Seiten rechtliche und wirtschaftliche Grundlagen dieser Branche, Formen und Arten der Rückversicherung, Preiskalkulation, Abrechnung, Rechnungslegung und viele andere Themen beleuchtet. Tatsächlich ist das Buch so neu nicht, denn es basiert auf teilweise rund zwei Jahrzehnte alten Schulungsunterlagen aus dem Versicherungsfachwirt-Studiengang.
Das führt allerdings dazu, wie die Herausgeber im Vorwort freimütig einräumen, dass die Ursprungsautoren oft gar nicht mehr verfügbar sind. Auch Quellenangaben sind damit verloren gegangen, da solche für die Vorgängerwerke nicht dokumentiert werden mussten. Das hätte man allerdings im Rahmen einer grundlegenden Überarbeitung durchaus aufholen können.
Vor allem für Praktiker bei Versicherern und Vermittlern geeignet
So kann sich das Handbuch Rückversicherung nicht ganz entscheiden, ob es noch ein Lehrbuch sein will, wofür es mehr Quellenangaben sowie weiterer Elemente wie Lernziele und Lernerfolgskontrollen bedürfte. Um ein wissenschaftliches Werk im engeren Sinn handelt es sich jedoch auch nicht.
Das ändert aber nichts daran, dass das Buch einen sehr breiten und gleichzeitig tiefen Einblick in die fremde Welt der Rückversicherung bietet, das vor allem für Praktiker sehr geeignet ist. Auch die rechtlichen und die mathematischen Grundlagen gehen nur so weit in die Tiefe, dass zwar nicht der Aktuar, aber doch der interessierte Mitarbeiter oder Vermittler eines Erstversicherers nach der Lektüre ein hinreichendes Verständnis für die Gestaltungsfragen von Rück- und damit auch Erstversicherungsschutz entwickeln kann. Aktuelle Themenstellungen wie beispielsweise der Umgang mit den Berichtspflichten nach Solvency II fehlen ebenfalls nicht.
So bleibt nur zu hoffen, dass die selbstbewusste Preisgestaltung einer Verbreitung des Werks nicht allzu sehr im Weg steht.
Lesetipp
Andreas Schwepcke, Alexandra Vetter (Hrsg.): Handbuch der Rückversicherung, 578 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-89952-812-1, 99,99 Euro, als E-Book 84,99 Euro, Verlag Versicherungswirtschaft Karlsruhe.
Autor(en): Matthias Beenken