Branche zeigt Flagge

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Politisch neutral bleiben oder angesichts der aktuellen Entwicklung eindeutig Stellung gegen Rechtsextremismus beziehen? Bislang galt in der Branche ersteres, doch jetzt gibt es immer mehr Versicherer und ihre Chefs, die Flagge zeigen.  

Auslöser des Paradigmenwechsels sind wohl die vielen Demonstrationen mit Hunderttausenden Menschen in Deutschland, die sich für die Demokratie, für Grundrechte und für ein Miteinander positionierten – gegen Hass, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Das Thema war sogar der Einstieg auf der diesjährigen Jahresmedienkonferenz des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Präsident Norbert Rollinger wörtlich: „Die Unzufriedenheit gegenüber dem Staat darf nicht dazu führen, verfassungsfeindliche Parteien zu unterstützen.“ Die Demokratie müsse gegenüber Verfassungsfeinden wehrhaft bleiben. Auch GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen machte deutlich, dass das Programm der AfD schlecht für Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand sei. Und: „Wer aus der EU austreten und den europäischen Binnenmarkt verlassen will, der schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland und damit seinen Beschäftigten massiv.“

Der Vorstandsvorsitzende des Provinzial Konzern, Wolfgang Breuer, brachte es in einem Post auf LinkedIn zum Thema parteipolitische Neutralität auf den Punkt: „Die Provinzial ist parteipolitisch neutral. Wir sind aber nicht neutral, wenn die zentralen Werte unseres Gemeinwesens in Frage gestellt werden.“ Und: „In diesem Jahr wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Es ist die beste und menschenfreundlichste Verfassung, die Deutschland je hatte.“

Für Offenheit und Toleranz

Auch Martin Gräfer, Vorstand der Bayerischen, hält es für wichtig, sich auch in der Versicherungsbranche gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Man müsse sich menschenfeindlichen Ideologien und Ressentiments zum Schutz unserer vielfältigen und demokratischen Gesellschaft entschieden entgegenstellen – auch am Arbeitsplatz, ist er überzeugt. Das gelte auch als Unternehmen. „Wir positionieren uns deshalb unmissverständlich für Offenheit, Toleranz und gegen jede Form der Diskriminierung. Deshalb haben wir auch die Charta der Vielfalt unterschrieben“, so Gräfer. Daher habe auch er in München gegen Rechtsextremismus demonstriert. Die Branche müsse einen Ort bieten, an dem sich niemand aufgrund seiner Herkunft, Kultur oder Orientierung ausgegrenzt fühle. Das gelte nach innen unter Kolleginnen und Kollegen aber auch nach außen den Kundinnen und Kunden gegenüber.

„Besorgniserregender Rechtsruck“

Umso erschreckender ist das Ergebnis der regelmäßigen Frage im Rahmen des 16. AfW-Vermittlerbarometers (befragt wurden 1.077 Vermittler): „Wenn heute Bundestagswahl wäre, wen würden Sie wählen?“ An erster Stelle läge die CDU/CSU mit 33 Prozent (minus zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahresbarometer) vor der FDP mit 25 Prozent (minus sieben Prozent). Den dritten Platz belegt jedoch die AfD mit einer knappen Verdopplung auf 21 Prozent (plus zehn Prozentpunkte). „Ein besorgniserregender Rechtsruck“, meint AfW-Vorstandsmitglied Norman Wirth.

Allerdings wurde die Befragung Ende 2023 durchgeführt, also vor den Demonstrationen und vor dem Treffen von AfD-Mitgliedern mit Rechtsextremisten, in dem offenbar die „Remigration“, sprich Rückführung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund besprochen wurden. Bündnis 90/Die Grünen fallen auf neun Prozent (minus ein Prozent), während SPD und Linke jeweils nur zwei Prozent erhalten. Andere Parteien würden acht Prozent der Vermittlerstimmen erhalten.

„Wir sehen bereits seit Jahren, dass die Vermittlerinnen und Vermittler vor allem der Union und den Liberalen als Vertreter und Wahrer Ihrer Interessen vertraut“, kommentiert der AfW-Vorstand das Ergebnis. SPD und Grüne sind wohl bei den Vermittlern unten durch, da sie für die Abschaffung des Provisionssystems und der privaten Krankenversicherung stehen. Der AfD-Zuwachs spiegele laut Wirth das allgemeine Stimmungsbild der Bevölkerung wider und weniger die Branchenthemen.

 

Ende des deutschen Wirtschaftsmodells

Gegen die AfD wird derzeit in erster Linie wegen ihrer allgemeinpolitischen Vorstellungen protestiert. Dabei würden die Wirtschaftspläne der Partei bei einer Umsetzung Millionen Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Ein EU-Austritt Deutschlands wäre „das Ende des deutschen Wirtschaftsmodells und würde Millionen Arbeitsplätze in Deutschland zerstören“, sagt der DIW-Chef Marcel Fratzscher. Und Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), bestätigt: „Ohne die EU steht das deutsche Exportmodell unmittelbar vor dem Kollaps.“  

Ähnlich desaströs ist der Plan, dass Deutschland aus dem Euro aussteigen und zur D-Mark zurückkehren soll. Hauptgrund: Die Exporte ins EU-Ausland würden sich stark verteuern, dabei ist Deutschland von diesen stark abhängig. „Unternehmen müssten dann ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagern“, glaubt Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank.

Auch beim Thema Einwanderung wären bei Umsetzung der AfD-Pläne Deutschlands Wirtschaftsführer nicht begeistert. Aktuell können Deutschlands Unternehmen 1,73 Millionen Stellen nicht besetzen. „Ohne Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland werden wir unseren Wohlstand nicht halten“, sagt deshalb die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

„Genießt es!“

Ein schönes Beispiel zu dem Thema: Ammar Ghouzi, ärztlicher Leiter der Notaufnahme der Schön Klinik in Düsseldorf, zeigte sich in einem Post bei LinkedIn beim Blutspenden. Er habe eine Frage als integrierter Deutscher mit Migrationshintergrund: „Liebe AfD! Was machen wir mit den hunderten Litern an Blut und Plasma, die ich bereits gespendet habe? … Man hat mich damals nicht gefragt, wer mein Blut haben darf. Und wenn doch, hätte ich einfach gesagt: Alle! Auch Ihr dürft es haben. Und genießt es. Es ist voll sauber. Kein Alkohol, ich war noch nie krank, habe noch alle Organe und bin schon vier Mal den Marathon gelaufen. Sollte einer von eurer Gesinnung mein Blut bekommen haben, dann Gratulation! Und wie machen wir es jetzt mit der Retransfusion?“

Autor(en): Bernhard Rudolf

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