Die Absenkung des Höchstrechnungszinses in der Lebensversicherung von 0,9 auf 0,25 Prozent ab nächstem Jahr lässt die Wirkung von Kosten in Lebens- und Rentenversicherungen noch einmal mehr wie unter einem Brennglas beobachten. Alle Versicherungen, bei denen gesetzlich wie bei Riester ein Beitragserhalt vorgeschrieben oder aber wie bei allen "klassischen" Lebensversicherungen mit Garantien über einen Deckungsstock der Beitragserhalt wünschenswert ist, können die branchenüblichen Kosten nicht mehr tragen.
Das zeigt ein näherungsweises Beispiel. Ein Lebensversicherer, der seine Lebensversicherungen mit durchschnittlich hohen Kostenquoten von 44 Promille Abschluss- und 2,0 Prozent Verwaltungskosten (gerundete, bilanzielle Kostenquoten nach Map-Report 917 für das Jahr 2019) kalkuliert, kann derzeit noch einen Beitragserhalt zusagen. Der wird mit Hilfe der 0,9 Prozent Höchstrechnungszins nach ungefähr 18 Jahren erreicht. Bei 0,25 Prozent Höchstrechnungszins gelingt das nicht mehr. Garantiert wird der Kunde dauerhaft weniger ausgezahlt erhalten, als er eingezahlt hat.
Nettotarif unabdingbar
Die einzige Chance, auch unter dem neuen Höchstrechnungszins einen Beitragserhalt darzustellen, bietet ein Nettotarif. Wenn dadurch die Abschlusskostenquote des Versicherers auf beispielsweise zehn Promille gesenkt werden kann - ganz ohne Abschlusskosten kann kein Versicherer arbeiten, weil er weiterhin Werbung machen, den Vertrieb organisieren und die Anträge prüfen und policieren muss -, dann ist ein Beitragserhalt gerade noch nach rund 26 Jahren möglich.
Volkswohl Bund will Riester als Honorartarif
Diese Lösung scheint auch Volkswohl Bund-Chef Dietmar Bläsing vorzuschweben. Gegenüber der "Zeitschrift für Versicherungswesen" (Heft 11/2021) lobte er die Riester-Rente als ein gutes Produkt für Personen, die von den hohen Förderquoten profitieren können, insbesondere für Geringverdiener, "die es dringend nötig haben".
Um die Riester-Rente auch künftig noch anbieten zu können, kündigte er Planungen an, "dass wir Riester über einen Honorartarif anbieten werden". Voraussetzung seien neben der Absenkung der Abschluss- auch günstige Verwaltungskosten. Allerdings hat das Bundesfinanzministerium die Chance vertan, hier durch Verbesserungen im hochkomplizierten Zulageverfahren für Besserung zu sorgen.
Kosten senken allein löst das Problem nicht
Die Hebelwirkung der Kosten ist geringer, als es Verbraucherschützer oft glauben machen wollen. Ein Beispiel: Selbst ein außerordentlich kosteneffizienter Versicherer mit 30 Promille Abschlusskosten- sowie 1,0 Prozent Verwaltungskostenquote schafft zwar deutlich schneller einen Beitragserhalt. Im klassischen Bruttotarif zum bisherigen Höchstrechnungszins erreicht er den nach ungefähr 13 Jahren und damit fünf Jahre früher als der oben beschriebene, durchschnittliche Versicherer.
Aber bei 0,25 Prozent reicht es ebenfalls nicht mehr, selbst diese sehr niedrigen Kosten durch Zinserträge garantiert aufzuwiegen. Beim Nettotarif mit angenommen zehn Promille Abschlusskosten wirkt sich die halbierte Kostenquote mit ebenfalls fünf Jahren schneller erreichtem Beitragserhalt aus - nach 21 statt 26 Jahren.
Nettotarif heißt nicht unbedingt Honorar
Der Nettotarif muss allerdings keineswegs zwingend im Honorarvertrieb verkauft werden. Es gibt auch Mischmodelle aus Honorar- und Provisionsvertrieb, die sogenannten Kostenausgleichs- oder Vergütungsvereinbarungen. Im deutschen Markt haben die sich allerdings einen schlechten Ruf erarbeitet, weil sie von einigen Akteuren missbraucht wurden, um überhöhte Vermittlungskosten von oft um die 80 Promille der Beitragssumme durchzusetzen, und das zusätzlich unter Ausschluss einer Stornohaftung.
Selbst aktuell gibt es noch vereinzelt solche Gewinnmaximierungsmodelle. Eine der Verbraucherzentrale Hamburg vorliegende, im Jahr 2020 abgeschlossene Kostenausgleichsvereinbarung mit einem Strukturvertrieb zur Vermittlung einer Lebensversicherung an einen deutschen Versicherer sieht immer noch üppige 59 Promille, zu tilgen über fünf Jahre, und keine Stornohaftung vor.
Es gibt auch positive "britische Varianten"
In Großbritannien dagegen handelt es sich um die vorherrschende Vergütungsform. Knapp die Hälfte der Vermittler berechnen ihre Abschluss- und deutlich mehr als die Hälfte auch ihre laufenden Gebühren nach diesem Prinzip, so der Financial Advice Market Review 2017 der britischen Finanzaufsicht und des britischen Finanzministeriums.
In vernünftiger Ausgestaltung wäre das eine Alternative zum Bruttotarif. Auf diesem Weg bliebe es möglich, dass die Kunden die sehr beliebten Beitragsgarantien weiterhin erhalten können, aber auch der Vertrieb für seine Leistung angemessen bezahlt wird. Bei vielen anderen Finanzdienstleistungen werden ebenfalls Vertriebskosten außerhalb des eigentlichen "Produkts" berechnet und als zusätzliche Gebühren erhoben. Es ist eine Umgewöhnung für den Lebensversicherungsvertrieb, aber Anpassungsfähigkeit hat die Branche immer wieder bewiesen - an Regulierungen ebenso wie aktuell an die Corona-Pandemie.
Autor(en): Matthias Beenken