Autofahrer bewußt über den Tisch gezogen?

Seit einigen Jahren bieten die Versicherer bei Verkehrsunfällen eine Direktregulierung für den Geschädigten an. Soll heißen: Der Kfz-Haftpflichtversicherer des Verursachers meldet sich beim Opfer und bietet schnelle und unbürokratische Schadenregulierung an. Von jährlich rund 3,5 Millionen Kfz-Haftungsfällen werden 90 Prozent in direktem Kontakt mit dem „gegnerischen“ Versicherer entschädigt, sagte Rechtsanwalt Dr. Frank Häcker, Aschaffenburg, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des (DAV) bei einem Fachgespräch in Berlin.

Der gegnerische Versicherer hat naturgemäß nicht das Interesse des Unfallopfers im Auge, sondern will die Schadensquote gering halten, behauptet Häcker. Damit verzichten zahlreiche Unfallgeschädigte auf Ansprüche, die ihnen laut Gesetzgebung und Rechtsprechung zustehen. Als besonders drastische Bereiche nennt der Fachanwalt für Verkehrsrecht gekürzte Stundenverrechnungssätze, eine verringerte Dauer des Nutzungsausfalls, die Kürzung der Mehrwertsteuer bei älteren Fahrzeugen, Abrechnung auf Totalschadenbasis trotz Weiternutzung des Fahrzeugs, den Abzug eines höheren Restwertangebots trotz Weiternutzung, den gekürzten Ersatz von Schutzkleidung und die verweigerte Bezahlung von "Haushaltsführungsschäden".

Vollständige Zahlung auch bei fiktiver Reparatur
Als Beweis führte Häcker unter anderem einen Fall von Marktführer Allianz an. Dessen Kunde hatte einen Unfall verursacht, worauf die Allianz eine Direktregulierung für den Geschädigten anbot. Der ging darauf ein, ließ den Wagen aber nicht reparieren, sondern rechnete den Haftpflichtschaden als fiktive Reparatur ab. Dazu setzte er die üblichen Stundensätze seiner Nissan-Werkstatt an. Nach einem Sachverständigengutachten im Auftrag der Allianz überwies der Versicherer 300 Euro weniger, da ein anderer regional ansässiger Fachbetrieb den Schaden für weniger Geld vollständig repariert hätte. Der Kunde bestand jedoch auf voller Regulierung, zumal die Rechtsprechung auch bei fiktiver Reparatur die vollen Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt vorsieht ("Porsche-Entscheidung" des BGH vom 29. April 2003, Az.: VI ZR 398/02). Zugleich verweist Häcker gern auf eine Entscheidung des Landgerichts Aschaffenburg, wonach Kosten des Transports von der Markenwerkstatt zum Lackierer und zurück ("Verbringungskosten") auch bei fiktiver Reparatur zu bezahlen sind (Az.: 2 S 203/07). Damit hat Anwalt Häcker die Allianz konfrontiert. Folge: Man überwies unverzüglich den Restbetrag.

Geschädigte sind oft unwissend über ihre Ansprüche
Was ohne Anwalt passiert wäre, liegt auf der Hand: Der Versicherer hätte durch Direktregulierung mindestens 300 Euro gespart. Hochgerechnet auf alle 3,15 Millionen Direktregulierungen könnte die Assekuranz selbst bei einer lapidaren Summe von 300 Euro pro Schaden jedes Jahr rund 9,45 Millionen Euro einsparen. Durch Verzicht auf einen Verkehrsrechtsanwalt bleiben zahlreiche Geschädigte unwissentlich auf weiter gehenden Forderungen sitzen. "Viele Geschädigte kennen ihre Ansprüche gar nicht und werden vom gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer auch nicht ehrlich aufgeklärt", kritisiert Rechtsanwalt Jörg Elsner, Vorsitzender der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Als weiteres Beispiel nennt der DAV den Ersatz von Schutzkleidung. Dort nehmen die Versicherer ebenso wie bei Motorradhelmen, Kindersitzen oder Brillen gern einen Abzug bei der Entschädigung vor – frei nach dem Grundsatz „neu für alt“. Sie ziehen also den Restwert ab, weil alles ja noch benutzt werden könne. „Falsch“, sagt Anwalt Häcker, zumal aus Sicherheitsgründen Helme und Kindersitze immer ausgetauscht werden sollten. So sieht es das Landgericht Darmstadt auch bei der Erstattung von Schutzkleidung, die nach einem Unfall auf Neupreisbasis zu erfolgen hat (Urteil vom 28. August 2007; Az.: 13 O 602/05).

Neuer Unfallservice im Netz
Da die Höhe des Schadens nur selten eindeutig feststeht, sollte ein Verkehrsrechtsanwalt hinzugezogen werden, den die Kfz-Haftpflichtversicherung des Verursachers bezahlen muss. "Günstig ist auch eine Verkehrs-Rechtsschutzversicherung", rät Häcker, zumal die Schuldfrage mitunter unklar ist. Um Unfallopfern schnell und unkompliziert zu helfen, haben die DAV-Verkehrsanwälte einen neuen Unfallservice installiert (). Diese Internetplattform ermöglicht Kfz-Unfallopfern die Schadensmeldung per Internet. Dann mailt er sie dem Anwalt, den er sich vorher online in seiner Nähe ausgesucht hat. Der Anwalt meldet sich dann beim Geschädigten und reguliert in dessen Auftrag und Interesse den Schaden. „So kommt der Geschädigte schnell und vollständig an sein Geld“, erläutert Elsner. Der DAV hofft, den Anteil der Direktregulierung mittelfristig auf 75 Prozent zurückzudrängen.

Foto: GDV

Autor(en): Detlef Pohl

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