Autodiebe wenden neue Verschiebetaktik an

Eine neue kriminelle Pkw-Zerlege-Masche könnte eine Reaktion auf einen Markt sein, der billige Ersatzteile fordert, urteilen Fachleute. Kriminologen und Versicherer müssen sich mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass Autos jetzt seltener als Ganzes, sondern Kotflügel für Kotflügel verschoben werden.

Elektronische Wegfahrsperren hatten Mitte der neunziger Jahre für einen starken Rückgang der Pkw-Diebstähle gesorgt. Doch neuerdings kennen Autodiebe auch den Dreh, wie sie die Elektronik umgehen und trotzdem den fahrbaren Untersatz illegal ins Ausland verschieben können.

Hehlerei mit Fahrzeugteilen statt mit ganzen Karossen ist angesagt. Karsten Linke von der Abteilung Geldwäsche und Kriminalitätsbekämpfung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) brachte Journalisten kürzlich beim GDV-Presseforum der Schaden- und Unfall-Versicherer mit seinem Vortrag zur neuen "Zerlegetaktik" zum Staunen. "Es ist kaum zu glauben, dass aus den zerlegten Fahrzeugteilen irgendwo im Ausland wieder völlig neue Fahrzeuge entstehen, denen nichts anzusehen ist."

Mit dem Rückgang der Autodiebstähle in den vergangenen Jahren haben sich nach GDV-Angaben neue Formen der Kriminalität entwickelt. Für preiswerte Ersatzteile besteht ein großer Markt. "Deshalb werden gestohlene Fahrzeuge häufig in abgelegenen Hallen restlos zerlegt. Der Teileverkauf ist risikoarm und häufig profitabler als der Verkauf am Stück", erklärte Karsten Linke. Dabei gehe es nicht nur um teure Fahrzeugteile wie Navigationsgeräte, die bei Gebrauchtwarenbörsen im Internet auftauchen und deren Verkäufer meist in Osteuropa sitzen; verkauft werde praktisch alles, was sich aus Autos ausbauen lässt: Türen, Scheinwerfer, Sitze.

Die Versicherer hier zu Lande haben große Probleme, bei Schadenleistungen die kriminellen Handlungen für gestohlene Autos oder Teile zurückzuverfolgen. Nicht nur die Teilestrategie, sondern ein weiterer Trend bereitet ihnen Kopfzerbrechen: das so genannte Homejacking. Hier gehen die Autodiebe gezielt vor und stehlen die Original-Autoschlüssel. Um an die begehrte Ware zu kommen, brechen sie in Wohnungen und Häuser ein, um dort den Autoschlüssel zu entwenden. Linke: "Aus diesem Grund setzt sich der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft mit seiner Abteilung Kriminalitätsbekämpfung immer intensiver für Prävention, Abwehr und Aufklärung von Straftaten ein." Bei geschätzten drei Milliarden Euro Schäden durch Versicherungsbetrug sei dies eine durchaus lohnende Aufgabe. Ziel ist es, die Zusammenarbeit des GDV und der einzelnen Versicherungsunternehmen zu optimieren sowie die Aus- und Fortbildung zu intensivieren.

Hinter dem "ganz normalen" Autodiebstahl steckt in der Praxis ein Verbrechenskatalog der besonders ausgeklügelten Art. Bei Fahrzeugverschiebung führe der Weg der Gangster vor allem nach Osteuropa, den nahen und Mittleren Osten sowie auf den Balkan und nach Afrika. Doch auch die Unterschlagung von Fahrzeugen und Leasingbetrug sei an der Tagesordnung.

Durch die Zerlege-Aktivitäten würden zudem bewusst Dubletten von Fahrzeugen hergestellt, wodurch das Auto in verschiedenen Ländern eine unterschiedliche Identität erhalte. Wenn mehrere gleiche Pkw gestohlen werden, bleiben nach dem Zerlegen und neu Zusammensetzen meist auch noch bestimmte Teile übrig, die im Teilehandel sehr willkommen sind.

Mehr und mehr verschiebe sich dabei das Täterbild von kleinkriminellen Gelegenheitstätern hin zur organisierten Kriminalität von national und international operierenden Banden mit einer arbeitsteiligen Organisationsstruktur, betonte Linke. "Da gibt es Drahtzieher, Spezialisten für elektronische Wegfahrsperren, Zerleger, Lagerhalter, Zwischenhändler und Verwerter." Die national arbeitenden Tätergruppen bestehen meist aus kleineren Banden und haben oft einen beruflichen Bezug zu Kraftfahrzeugen. Die internationalen Banden sind hingegen deutlich größer und agieren äußerst arbeitsteilig, so dass die Täter oft nur sehr wenige andere Bandenmitglieder kennen.

Autor(en): Ellen Bocquel

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