Assistance-Services sind für Kunden nicht mehr so wichtig, trotzdem erwarten sie von Versicherern durchaus individuelle Angebote für zusätzliche Dienstleistungen. Das belegen Ergebnisse des "Assistance Barometers" von Europ Assistance und der Wiesbadener Hochschule Rhein-Main, die sich mit den Meinungen von Versicherern und Vermittlern decken, und in VM exklusiv veröffentlicht werden. Versicherungsmagazin befragte Professor Matthias Müller-Reichart, Studiendekan der Wiesbaden Business School und Studiengangsleiter Insurance and Finance an der Hochschule Rhein-Main, zu den Ergebnissen der Untersuchung.
Das Assistance-Barometer erscheint bereits im elften Jahr. Assistance-Dienstleistungen sind inzwischen im Markt etabliert. Was sind aus Ihrer Sicht die drei interessantesten Veränderungen, wenn man die Aussagen der Vermittler und der Versicherer zum Geschäftsmodell der Assistance im Vergleich der vergangenen Jahre sieht?
Matthias Müller-Reichart: Für einen Vergleich der Assistance-Affinität von Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlern lassen sich nur die letzten fünf Jahre heranziehen, da die Vermittlerbefragung erst seit dieser Zeit zur Befragungsreihe hinzugestoßen ist. In diesen fünf Jahren ist aber zwischen Unternehmen und Vermittlern eine fundamental diametrale Entwicklung der Sichtweise zu Assistance-Leistungen festzustellen. Befragt nach der Bedeutung der Assistance für das Geschäftsmodell stellen wir bei Versicherungsunternehmen einen abnehmenden, bei Versicherungsvermittlern einen deutlich zunehmenden Trend fest.
Konsequent meinen immer mehr Versicherungsvermittler, dass Assistance ihre Versicherungsproduktion steigert, während Versicherungsunternehmen diesen Effekt über die letzten fünf Jahre nicht erkennen. Schlussendlich haben aus Sicht der Versicherungsunternehmen die Hindernisse für ein Assistance-Angebot eher zugenommen, Versicherungsvermittler vergegenwärtigen dagegen deutlich abnehmende Hindernisse für ein derartiges Angebot.
Ergebnisse der diesjährigen Erhebung zeigen, dass die Service-Erwartungen der Kunden zwar gestiegen sind – mehr bezahlen möchten sie für Assistance-Leistungen jedoch meist nicht. Haben Versicherer bei Vermittlern zu wenig Aufklärungsarbeit geleistet, damit diese Kunden vom Mehrwert der Assistance überzeugen?
Matthias Müller-Reichart: Laut aktuellem Assistance-Barometer bieten 95 Prozent aller Versicherungsunternehmen Assistance-Leistungen als Bestandteil eines Versicherungsproduktes an. Ergo erhält der Kunde einen Bündelpreis für das Gesamtkonzept und kann den Teilpreis der Servicekomponente nicht erschließen. Dies erklärt die Diskrepanz hoher Serviceerwartung bei fehlender Zahlungsbereitschaft. Hätte man die Assistancekomponente von Anfang an als Stand-alone-Lösung angeboten, hätte sich eine höhere Awareness zum Produkt und somit auch eine erhöhte Zahlungsbereitschaft entwickeln können. Somit ist dieses Auseinanderdriften nicht der Aufklärungsarbeit der Vermittler anzulasten, sondern allein in der Produktgestaltung als Kuppelprodukt zu sehen.
Etliche Vermittler bieten ihren Kunden gar keine Assistance-Leistungen in Versicherungsprodukten mehr an. Worauf führen Sie dies zurück?
Matthias Müller-Reichart: Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre konstatieren nur 30 Prozent der Vermittler, dass ein mangelnder Provisionsanreiz einen Hinderungsgrund für den Assistance-Verkauf darstellen könnte. Wenn mehr als zwei Drittel der Vermittler offenbar keine materiellen Hintergründe für ein fehlendes Assistance-Angebot erkennen lassen, muss ich schlussfolgern, dass diese Vermittler möglicherweise mit der Erläuterung der Problemlösungsphilosophie eines Assistance-Ansatzes überfordert sind oder ihnen diese Erläuterung zu viel Verkaufszeit angesichts hoher Produktionsziele kosten würde.
Insbesondere Makler oder Mehrfachagenten sowie Ausschließlichkeitsvertriebe bewerten die Zukunft der Assistance-Produkte optimistisch. Wie viel Potenzial steckt künftig in Mehrwertservices zu problemlösenden Produkten und Serviceleistungen?
Matthias Müller-Reichart: Die Bereitschaft der Bevölkerung, sich in persönlichen Angelegenheiten helfen zu lassen, ist doch mehr als offensichtlich. In zahlreichen Haushalten befinden sich mittlerweile Sprachassistenten wie Alexa, Chatbots erobern die digitale Kommunikation und ein Leben ohne Google ist bereits schwer vorstellbar. Die Menschen sind bereit, ihre persönlichen Daten zu investieren, um entsprechende Hilfestellungen zu erhalten. Dieses Umfeld kennzeichnet de facto eine Assistance-Gesellschaft, die verschiedene Assistance-Angebote, seien es Wearables, Telematikdienste, usw., aktiv sucht. Das Potenzial derartiger Problemlöser war meines Erachtens nie größer – die Versicherungswirtschaft muss dieses Potenzial angesichts ihrer zahlreichen Problemzonen wie Niedrigzins, Regulatorik, Digitalisierung der Prozesse oder Konkurrenz durch Insurtechs endlich aktiv ergreifen.
Mehr Versicherungsagenturen als in Vorjahren sind der Meinung, dass Assistance-Angebote die Versicherungsproduktion steigern. Welche Gründe gibt es, dass die Mehrzahl jedoch immer noch keinen vermarktbaren Nutzen in Assistance-Services sieht?
Matthias Müller-Reichart: Immerhin liegt die aktuelle Zustimmung der Vermittler zur Produktionssteigerungsfunktion der Assistance 14 Prozent-Punkte über dem bisherigen Mittelwert. Angesichts des beschriebenen Umfelds einer Assistance-Gesellschaft würde aber auch ich mir einen höheren Wert als knapp 40 Prozent erwarten. Aus meiner Sicht sind zahlreiche Vermittler immer noch im Mengengerüst ihrer Produktionsvorgaben gefangen und legen mehr Wert auf die Quantität der verkauften Versicherungsprodukte im Vergleich zu deren Qualität.
Assistance ist eindeutig ein qualitätssteigerndes Merkmal und trägt zur Kundenzufriedenheit bei – ergo sind bei Produkten mit Assistance-Komponenten auch geringere Stornoquoten zu erwarten. Diese kundenbindende Sichtweise des Assistance-Angebots muss sich bei Vermittlern erst noch etablieren.
Wohin geht die Reise bei der Assistance – werden wir zum Beispiel durch die Digitalisierung einen Push bei Assistance-Produkten erleben, der sich in Kundenbeziehungen auch monetarisieren lässt?
Matthias Müller-Reichart: Digitalisierung ist grundsätzlich ein Enabler und Treiber für individualisierte, personenfokussierte Leistungsangebote. Insofern wird der auf der individuellen Problemlösung aufbauende Assistance-Gedanke von der Digitalisierung profitieren. Andererseits lassen digitale Möglichkeiten die Erwartungshaltung des Kunden deutlich anwachsen, womit der Kunde digitale Leistungen vermehrt als Selbstverständlichkeit ansieht und die Gefahr besteht, dass die Zahlungsbereitschaft für Selbstverständlichkeiten gering ist. Die Digitalisierung wird Assistance final zu einem Kernproduktbestandteil eines Versicherungsproduktes machen, wobei die Servicekomponente von der materiellen Entschädigungskomponente des Versicherungsproduktes im Sinne der Erfüllung der Serviceerwartung getrennt dargestellt werden sollte.
In der aktuellen März-Ausgabe von Versicherungsmagazin können Sie im Beitrag "Premiumleistungen für anspruchsvolle Kunden" die Ergebnisse des 11. "Assistance-Barometers" nachlesen. Hier geht es wahlweise zum Heftarchiv oder zur eMag-Ausgabe.
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Autor(en): Eva-Susanne Krah