Die Zinspolitik Europas hat den Zinseszins als willkommenen Helfer beim Aufbau einer kapitalgedeckten Vorsorge ruiniert. Warum es dennoch keine Alternative gibt.
Noch schaffen es die Lebensversicherer, durchaus attraktive Überschussdeklarationen von durchschnittlich knapp 2,5 Prozent anzubieten. Allerdings waren es auch einmal über sieben Prozent - das ist jedoch 20 Jahre her. Dafür war zunächst vor allem die Börsenkrise Anfang der 2000er Jahre verantwortlich. Mit der Finanzkrise 2007/2008 beschleunigte sich der Verfall der Zinserträge, die um 2007 herum immer noch im Marktdurchschnitt bei deutlich über vier Prozent lagen.
Niedrige Inflation reicht nicht mehr als Ausgleich
Parallel zur Finanzkrise ging allerdings auch die Inflation zurück. Damit wurde es zeitweise relativ wieder günstiger, Altersvorsorgevermögen anzusparen. Doch auch dies ist erst einmal vorbei. Der Absicht der Europäischen Zentralbank entsprechend ist die Inflation seit drei Jahren wieder gestiegen und bewegt sich in Deutschland in einem Korridor zwischen einem und zwei Prozent. Erklärtes Ziel ist sogar noch mehr.
Die fatale Wirkung der wieder angestiegenen Inflation ist jedoch, dass für dasselbe Altersvorsorgevermögen, angepasst um die Inflation, heute ein ungefähr doppelt so hoher Sparbetrag nötig ist als noch vor 20 Jahren. Damit wird deutlich, dass die Haushaltskonsolidierung der Staaten vor allem zulasten der Vorsorgesparer geht.
Ernüchterndes Beispiel
Ein Beispiel: Ein Vorsorgesparer will über 30 Jahre ein Vermögen nach heutigem Wert von 100.000 Euro für die Rente aufbauen. Nach derzeitiger Inflationsrate entspricht dies rund 152.000 Euro in 30 Jahren. Nach der Inflationsrate des Jahres 2009 hätten allerdings 109.000 Euro gereicht.
Wird dieses Kapital mit dem marktdurchschnittlich deklarierten Zins abzüglich angenommen 1,5 Prozentpunkten für Kosten (Abschluss- und Verwaltungskosten) verzinst, hätte im Jahr 2000 eine jährliche, vorschüssige Sparrate von 2.160 Euro ausgereicht. Im Jahr 2019 lag diese unter gleichen Annahmen bei 4.431 Euro oder 105 Prozent mehr.
Je niedriger der Zins, desto günstiger die Rente
Dennoch gibt es keine wirklichen Alternativen. Im Gegenteil, je niedriger der Marktzins ist, desto günstiger ist das kollektive Sparen und Entsparen in der Rentenversicherung. Auch wenn das gegen die Intuition vieler Medien und Verbraucherschützer zu gehen scheint, braucht es nicht einmal finanzmathematisches Knowhow, folgende Überlegung nachzuvollziehen.
Wer kollektiv spart, muss - gemeinsam mit den anderen Rentenversicherten seiner Kohorte - nur das Sparguthaben ansparen, das für eine Rente bis zur durchschnittlichen Lebenserwartung reicht. Wer aber auf anderen Wegen individuell spart, braucht ein Kapital, das länger reicht. Denn es gehört zum Wesen eines Durchschnittsalters, dass es auch - viele - Menschen gibt, die älter werden. Idealerweise sollte sich das Kapital gar nicht verzehren, sondern die Rente nur aus den Zinsen dargestellt werden. Genau da liegt aber das Dilemma in einer Welt der Niedrig- bis Negativzinsen. Selbst wenn man einen Verzehr bis zum Alter 100 oder 110 einplant, ist das bei nominalen Werten (also ohne Zins) nun einmal teurer als wenn das Geld nur bis zu einer Lebenserwartung von zum Beispiel 90 Jahren reichen muss.
Arbitrage-Lösung überzeugt nicht
Auch die unter Verbraucherschützern populäre Arbitrage-Lösung hinkt. Danach soll der Sparer zunächst individuell und hoffentlich hoch rentierlich - Risikogesichtspunkte werden gerne unterschlagen - mit Aktien und Fonds sparen und sich erst zum Rentenbeginn in eine Rentenversicherung einkaufen. Das kann aber nur so lange vorteilhaft sein, wie die Kollektive der Rentenversicherten den nachträglichen Eintritt ins Kollektiv bereit sind zu subventionieren und die Neuversicherten an Überschüssen teilhaben zu lassen, die sie nicht selbst aufgebaut haben. In einer Nominalwelt gibt es aber immer weniger zu verteilen.
Insofern müssten eigentlich Rentenversicherungen gegen laufende Beitragszahlung boomen und die Sparraten generell erheblich steigen. Die Politik setzt allerdings völlig entgegengesetzte Signale. Die oben dargestellten Probleme der Niedrig- oder Negativzinsen werden überteuerten Vertrieben angedichtet und das Provisionsdeckelgesetz als angebliche Kur gegen die Zinsmisere vorgeschlagen. Dass dies die Rendite nur im sehr niedrigen Nachkommabereich verändert, haben zwar zwei finanzmathematisch fundierte Studien unabhängig voneinander nachgewiesen. Das scheint aber das Bundesfinanzministerium wenig zu interessieren.
Sparer müssen entlastet werden
Ein weiteres Mittel könnte eine deutliche steuerliche Entlastung der Bürger sein, und zwar vor allem des Mittelstands. Denn diese Haushalte haben den relativ höchsten Bedarf an privater, ergänzender Altersvorsorge, gleichzeitig aber nicht den finanziellen Spielraum, um wie oben dargestellt ein ausreichend hohes Privatvermögen aufzubauen. Hier ist die Rentenversicherung die wirtschaftlichste Form der Altersvorsorge.
Doch auch hier stellt sich die gegenwärtige Regierungspolitik, insbesondere die SPD-Führung, taub und überlässt es sogar der linken Konkurrenz, auf die verheerende Wirkung der kalten Progression hinzuweisen. Dadurch werden zunehmend normal verdienende Arbeitnehmer mit dem Spitzensteuersatz belastet. Zur Antwort gibt es nur die übliche Diffamierung angeblicher Millionäre, die sich einer gerechten Verteilung von Lasten entziehen würden. Dass die SPD damit ihre Kern-Wählerklientel vor den Kopf stößt, merken weder die neuen Vorsitzenden noch die altbekannten Führungsköpfe in den Ministerämtern. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für einen größeren Teil der Bevölkerung ab 2021 allein jedenfalls reicht bei weitem nicht, den tiefen Griff ins Portemonnaie der Vorsorgesparer zu mildern.
Neubesinnung ist nötig
Erschreckend ist, dass die Große Koalition und hier insbesondere die SPD noch nicht einmal mehr die Gewerkschaften auf ihrer Seite hat. Denn an denen scheiterte bislang ein weiterer Versuch, von den wahren Problemen der Altersvorsorge abzulenken: Verantwortlich sollen angeblich die teuren Garantien sein. Ohne die wäre kapitalgedeckte Altersvorsorge wieder hoch attraktiv. Nun gibt es aber seit mehreren Jahren die garantielose Nahles-Rente, und niemand will sie. Lehren werden daraus erkennbar keine gezogen.
Wie in vielen anderen Politik-Bereichen auch, braucht es in der Altersvorsorge endlich einer konzeptionellen Neubesinnung. Ein "weiter so"-Gewurstel hilft nur den Protestparteien.
Autor(en): Matthias Beenken