Retakaful
1. Begriff: Islamische Form der Rückversicherung, die Takaful-Gesellschaften (Takaful), aber auch nicht-islamischen (sog. konventionellen) Versicherern Rückdeckung bietet. Ebenso wie Takaful als islamische Form der Erstversicherung beruht auch Retakaful auf den Grundsätzen des islamischen Rechts (Shari’a), also auf (1) dem Zinsverbot, (2) dem Spekulationsverbot, (3) dem Verbot von Gharar („exzessiver“ Unsicherheit über den Vertragsgegenstand/Schaden, relevant etwa in der Betriebsunterbrechungsversicherung) sowie (4) auf allgemeinen islamischen Verboten (Schweinefleisch, Alkohol, Rüstungsindustrie). Und ebenso wie im Takaful unterhalten auch Retakaful-Gesellschaften ein „Shari’a-Board“ aus islamischen Rechtsgelehrten, das als religiöser Aufsichtsrat die Einhaltung dieser Shari’a-Anforderungen bez. der Produkte, Investments sowie Prozesse (v.a. Trennung von Versichertenfund und Aktionärsfund) überwacht und dies auch den Kunden und Aufsichtsbehörden gegenüber zertifiziert. In größerem Umfang wird Retakaful seit ca. 2006 zunehmend angeboten, viele technische Fragen sind aber noch im Fluss.
2. Funktionsweise (Retakaful-Modelle): Laut der Prüfungs- und Rechnungslegungsorganisation für islamische Finanzinstitute (Accounting and Auditing Organisation for Islamic Financial Institutions, kurz: AAOIFI), Standard Nr. 41, sollte Retakaful genau wie Takaful funktionieren, d.h. als Risikoteilung unter den Zedenten. Die im Retakaful angewandten Modelle entsprechen daher im Prinzip hinsichtlich der Vergütung und Vertragsarten (Mudharaba und Wakala) sowie den Investitionsregeln den im Takaful verwendeten Modellen. Das schon im Takaful auftretende Phänomen unvermeidbaren Risikotransfers über zinslose Kredite, die der Takaful-Operator im Defizitfall leisten muss (Qard), tritt allerdings im Retakaful noch viel stärker auf, da der Transfer von Risiken eine Hauptfunktion der Rückversicherung darstellt. Die aus diesen konkurrierenden Vorgaben resultierende Schwierigkeit, sich funktional von konventioneller Rückversicherung abzugrenzen, wird vom Markt und von verschiedenen Institutionen – AAOIFI, Islamischer Rat für Finanzdienstleistungen (Islamic Financial Services Board, kurz: IFSB), Malaysische Zentralbank – gesehen und Lösungen werden diskutiert. Vorschläge wie die Bildung eines einzigen landesweiten oder gar weltweiten Retakaful-Funds (mit Saldierung der technischen Ergebnisse sogar zwischen Konkurrenten, sog. Pooling) sollen die Solidaritätsbasis unterstreichen, unabhängig von technischer Effizienz. Die scheinbar entgegengesetzte Praxis wird von Retakaful-Operators angewandt, die Ergebnisse und Überschüsse pro Zedent und Vertrag berechnen (one-client-fund). Es erscheint jedoch wahrscheinlich, dass Retakaful-Gesellschaften, die einem Pooling zustimmen, erwartete Überschüsse pro Zedent vorab in die Rückversicherungsraten einpreisen und damit das Pooling unterlaufen. Die anderen wesentlichen Elemente der Shari’a-Konformität bleiben bei Retakaful erhalten: (1) islamisches Investment, (2) Partizipation des Kunden am Gewinn (außer im nicht-proportionalen Geschäft; auch dies ist noch ein offenes Thema), (3) Trennung der Geschäfte von konventioneller Versicherung und getrennte Verwaltung der Gelder im Retakaful-Fund, (4) Zinsverbot (auch in der Versicherungstechnik).
3. Institutionelle Ausgestaltung und praktische Verfahrensweisen:Retakaful-Operators können zu internationalen Rückversicherungsgruppen entweder als Tochtergesellschaften oder als Filialen bzw. Einheiten gehören (sog. window operations), wobei sie im letzteren Fall von der Rückversicherungskapazität und dem Rating der Mutter profitieren können. Die islamische Rechtstheorie favorisiert dagegen reine, d.h. juristisch selbstständige Retakaful-Operators, die als Aktiengesellschaften oder Limited-Töchter sowohl internationale als auch lokale (nicht notwendig selbst Shari’a-konforme) Teile von Unternehmensgruppen sein können, aber gewöhnlich geringer kapitalisiert und damit auch niedriger geratet sind als die Filialen großer Gruppen. Es ist zu beobachten, dass Takaful-Gesellschaften in ihrer Zessionspolitik durchaus nicht immer Retakaful gegenüber konventioneller Rückversicherung bevorzugen, da das Management auch nach Kapazität, Rating und technischer Unterstützung entscheidet – anders als von den Shari’a-Gelehrten vorgesehen. Auch die o.a. offenen technischen Fragen mögen dabei eine Rolle spielen, sowie schließlich die durch Einbeziehung konventioneller Rückversicherer viel größere Anbieterauswahl. 2014 wurden geschätzt zwei Drittel der Takaful-Prämien außerhalb von Retakaful zediert, wozu sich die Gesellschaften von den Shari’a-Boards Ausnahmegenehmigungen geben lassen, wobei mit äußeren Zwängen (sog. Dharura) aufgrund nicht ausreichender Retakaful-Kapazität argumentiert wird. Diese Stagnation der Nachfrage sowie der Kostendruck zeigen mittlerweile Auswirkungen, etwa in der Umwandlung von Retakaful-Töchtern in „window operations“ (Takaful) von bestehenden Rückversicherungsunternehmen.
Autor(en): Dr. rer. pol. Ludger Arnoldussen, Dr. oec. publ. Laila Neuthor