„Pflege-Bahr“ – die geförderte Pflege-Vorsorge
1. Die staatliche Förderung – Grundsätze und Ziele
Aus einer Vielzahl von repräsentativen Umfragen der letzten Jahre geht hervor, dass mit 85 % die große Mehrheit der Menschen in Deutschland das Thema Pflege für sehr wichtig hält (BMG, 2014) und dass rund 90 % der Befragten im Pflegefall so lange wie möglich selbstbestimmt und im häuslichen Umfeld leben möchten (MLP-Gesundheitsreport, 2014). Gleichzeitig fühlen sich aktuell nur 38 % der deutschen Bevölkerung für den Pflegefall finanziell ausreichend abgesichert (MLP-Gesundheitsreport, 2014). Die gesetzliche Pflegeversicherung ist von ihrer Konzeption als „Teilkaskoabsicherung“ gedacht, mit der die pflegebedingten Kosten eben nur teilweise abgedeckt werden. Dabei können und sollen die Leistungen der Pflegeversicherung die familiäre, nachbarschaftliche oder sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Damit die Menschen in Deutschland im Pflegefall selbstbestimmt entscheiden können, wie sie gepflegt werden, ist eine ergänzende private Vorsorge unverzichtbar. Der Gesetzgeber sah daher im Jahr 2012 mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG) die staatliche Förderung dieser privaten Vorsorge als notwendig an, um einen Beitrag zur langfristigen Finanzierbarkeit vor dem Hintergrund der in einem Teilleistungssystem notwendigen Eigenvorsorge zu leisten.
Seit dem 1.1.2013 werden daher private Pflegezusatzversicherungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, staatlich bezuschusst. Auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland ist dies ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen und generationengerechten Ausgestaltung der Pflege. Wer mit einer Pflegezusatzversicherung ergänzend privat vorgesorgt hat, kann die finanziellen Belastungen im Fall der Pflegebedürftigkeit besser abfedern. Verträge über eine Pflegezusatzversicherung, die bestimmte gesetzlich festgelegte Voraussetzungen erfüllen, werden deshalb mit 5 Euro monatlich bzw. 60 Euro jährlich gefördert.
2. Förderfähige Pflegezusatzversicherungen
Die Fördervoraussetzungen für private Pflegezusatzversicherungen sind darauf ausgelegt, dass möglichst viele Menschen in Deutschland – unabhängig von ihrem Alter und weitestgehend unabhängig von ihrem Gesundheitszustand – eigenverantwortlich für den Pflegefall vorsorgen können. Dies bedeutet, dass alle volljährigen Personen, die in der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung versichert sind und daraus noch keine Leistungen beziehen oder bezogen haben, eine förderfähige Pflegezusatzversicherung abschließen können. Für die Versicherer gilt insoweit Kontrahierungszwang, d.h. sie müssen jedem Antragsteller, der diese Voraussetzungen erfüllt, einen Versicherungsvertrag anbieten. Weitere wichtige Fördervoraussetzungen sind:
- Gesundheitsprüfungen, Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse sind nicht zulässig. Die Höhe der Versicherungsprämie hängt daher ausschließlich vom Eintrittsalter des Versicherungsnehmers bei Vertragsabschluss und vom vertraglich vereinbarten Leistungsumfang ab.
- Die Versicherungsleistungen sind Geldleistungen (Pflegemonatsgeld oder Pflegetagegeld). Für jeden Pflegegrad sind Leistungen vorzusehen, im Pflegegrad 5 mindestens ein Pflegemonatsgeld von 600 Euro. Der Umfang und die Ausgestaltung des Tarifs sind von den Versicherern innerhalb der gesetzlichen Vorgaben ausgestaltbar und können von den Kunden frei gewählt werden. Dabei sehen die gesetzlichen Vorgaben eine Begrenzung des Leistungsniveaus nach oben und unten vor. So darf die Leistung nur maximal das Doppelte der gesetzlichen Pflegeversicherung umfassen. Für die Mindestleistung des „Pflege-Bahr“ gilt folgende Staffelung: für den Pflegegrad 1 = 10 %, den Pflegegrad 2 = 20 %, den Pflegegrad 3 = 30 % den Pflegegrad 4 = 40 % und den Pflegegrad 5 = 100 % der jeweils vereinbarten Pflegerente.
- Bei der Feststellung des Leistungsfalls müssen sich die Versicherungsunternehmen an die Feststellungen der zuständigen Pflegekasse halten. Kommt es zum Leistungsfall, kann der Versicherte frei über das Geld verfügen.
- Die Wartezeit bis zum Beginn einer Leistungspflicht darf höchstens fünf Jahre betragen.
- Der monatliche Mindestbetrag, der vom Versicherungsnehmer selbst zu zahlen ist, um die staatliche Zulage in Höhe von 5 Euro zu erhalten, beträgt 10 Euro.
- Abschluss- und Verwaltungskosten dürfen die gesetzlich vorgegebenen Grenzen nicht überschreiten. Mit dem Zweifachen der auf den ersten Monat entfallenden Bruttobeiträge (in Bezug auf die unmittelbaren Abschlusskosten) bzw. 10 % der Bruttoprämie (in Bezug auf die mittelbaren Abschluss-, Schadenregulierungs- und sonstigen Verwaltungskosten) liegen diese Grenzen deutlich unter den marktdurchschnittlichen Abschluss- und Verwaltungskosten für private Versicherungsverträge.
3. Förderverfahren
Die staatliche Zulage beträgt monatlich 5 Euro bzw. 60 Euro im Jahr und ist für alle förderfähigen Verträge gleich hoch. Pro Person kann nur ein Vertrag gefördert werden. Dabei erhalten die Versicherungsnehmer die Zulage automatisch. Sie müssen hierfür keinen gesonderten Antrag stellen. Diese Aufgabe und die damit verbundenen Formalitäten übernimmt das Versicherungsunternehmen.Ausschließlich auf entsprechenden Antrag des Versicherungsunternehmens wird die staatliche Zulage für das zurückliegende Beitragsjahr durch eine zentrale Stelle bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ausgezahlt und dem förderfähigen Vertrag gutgeschrieben.So kann das Zulageverfahren in einem weitgehend automatisierten Verfahren bürokratiearm durchgeführt werden.
4. Marktdurchdringung
Im Jahr 2015 boten 28 Versicherungsunternehmen Policen über die geförderte Pflegezusatzversicherung an. Im März 2015 hatten bereits über 580.000 Personen eine förderfähige Pflegezusatzversicherung abgeschlossen (Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., Stellungnahme, 2015). Allein im Jahr der Einführung wurden mehr geförderte private Pflegezusatzversicherungen abgeschlossen als in den 30 Jahren zuvor, in denen es bereits die Möglichkeit einer privaten Zusatzversicherung gab (vgl. PKV publik 3/2015). Insgesamt ist der Aufbau dem Anfang bei der Riester-Rente vergleichbar, womit das Thema Pflege endgültig mitten in unserer Gesellschaft angekommen ist (vgl. Leienbach, V., Direktor des PKV-Verbands, Versicherungswirtschaft heute, 14.1.2015).
5. Fazit
Die Förderung privater Pflegezusatzversicherungen verbindet Leistungen des Staats mit eigenverantwortlichem Handeln der Bürgerinnen und Bürger. So viele Menschen wie nie zuvor haben heute die Möglichkeit, aktiv für den Fall der Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Menschen mit geringem Einkommen können durch den staatlichen Zuschuss die Beiträge für eine Pflegezusatzversicherung eher aufbringen. Menschen mit Vorerkrankungen, denen der Abschluss einer Pflegezusatzversicherung bisher verwehrt oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich war, können heute ebenfalls ohne Gesundheitsprüfung, Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse privat für das eigene Pflegerisiko vorsorgen. Damit leistet die geförderte private Pflegezusatzversicherung einen wichtigen Beitrag dazu, dass zukünftig mehr Menschen in Deutschland selbstbestimmt entscheiden können, wie und in welchem Umfeld sie im Pflegefall versorgt werden wollen. Der nachfolgenden Tabelle ist eine Übersicht der Pflege-Vorsorgeförderung zu entnehmen. Entgegen mancher Anfangskritik und Erwartungen haben sich verhältnismäßig viele jüngere Altersgruppen für einen „Pflege-Bahr“ entschieden. Etwa die Hälfte aller Verträge wurden von Menschen unter 50 Jahren abgeschlossen (vgl. PKV publik 4/2015).
Wie hoch ist die staatliche Förderung? |
5 EUR im Monat bzw. 60 EUR im Jahr. |
Was wird bezuschusst? |
Verträge über private Pflegezusatzversicherungen, die bestimmte Förderkriterien erfüllen. |
Wer kann eine förderfähige Versicherung abschließen? |
alle volljährigen Personen, die Mitglied der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung sind und daraus noch keine Leistungen beziehen oder bezogen haben. |
Wie hoch ist der Beitrag? |
abhängig vom Eintrittsalter und vertraglich vereinbarten Leistungsumfang. Risikozuschläge und Gesundheitsprüfungen sind unzulässig. Mindesteigenbeitrag: 10 EUR monatlich. |
Wie wird die Förderung beantragt? |
Versicherungsnehmer erhalten die Zulage automatisch; Beantragung und sonstige Formalitäten übernimmt das Versicherungsunternehmen. |
Wann werden Leistungen ausgezahlt? |
wenn die zuständige Pflegekasse Pflegebedürftigkeit festgestellt hat. |
Wie hoch sind die Leistungen? |
Richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung; verpflichtend sind Leistungen in jedem Pflegegrad, in Pfleggrad 5 mindestens 600 EUR. |
Tab.: Übersicht Pflege-Vorsorgeförderung.
Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.), Informationen zur Pflege-Vorsorgeförderung, Berlin 2015.
Literatur: Baltzer, C., Pflegeproblem rückt ins allgemeine Bewusstsein, Versicherungswirtschaft heute, 14.1.2015, in URL: http://versicherungswirtschaft-heute.de/politics/pflegeproblem-ruckt-das-allgemeine-bewusstsein/, Abruf: 20.8.2015; Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.), Aktuelles Meinungsbild zum Pflegestärkungsgesetz, Berlin 2014; Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.), Informationen zur Pflege-Vorsorgeförderung, in URL: http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/p-q/pflege-vorsorgefoerderung.html, Abruf: 20.8.2015; MLP AG (Hrsg.), MLP-Gesundheitsreport 2014, Wiesloch 2014; o.V., Mit Weitsicht – Die Zahl der Pflegezusatzversicherungen steigt auf über 3 Millionen, in: Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (Hrsg.), PKV publik, H. 3, Köln 2015, S. 8–9; o.V., Vorsicht Lücke – Die Pflegepflichtversicherung deckt nur einen Teil der tatsächlichen Kosten ab, in: Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (Hrsg.), PKV publik, H. 4, Köln 2015, S. 4–7; Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (Hrsg.), Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der Enquetekommission „Pflege in Baden-Württemberg zukunftsfähig und generationengerecht gestalten“, in URL: https://www.pkv.de/politik/stellungnahmen_zur_gesetzgebung/2013-2015/stellungnahme-oeffentliche-anhoerung-enquetekommission-pflege-in-baden-wuerttemberg-zukunftsfaehig-und-generationengerecht-gestalten/stellungnahme-oeffentliche-anhoerung-enquetekommission.pdf, Abruf: 20.8.2015, Köln 2015.