Digitalisierungsentwicklungen in der Versicherungswirtschaft
1. Hintergründe und Trends der Digitalisierung:
Die verstärkte Nutzung mobiler Endgeräte sowie von Social Media, die zunehmende Verbreitung des Internets der Dinge sowie der Anstieg der Internetgeschwindigkeit und die wachsenden Erfassungs- und Analysemöglichkeiten von Daten (Big Data) eröffnen neue Ansätze in der Ausgestaltung von Geschäftsmodellen. Diese neuen Möglichkeiten der Digitalisierung sowie die Akzeptanz und intensive Nutzung durch den Kunden führen dazu, dass kundenspezifische und anlassbezogene Angebote in Echtzeit realisiert werden können. Zudem vereinfacht die Digitalisierung die Kommunikation mit dem Kunden sowie die effiziente Leistungsabwicklung.
2. Aktueller Stand der Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft
Neue Kommunikationskanäle, wie z.B. das mobile Internet, Apps oder Facebook, werden verstärkt von einer Vielzahl von Versicherern genutzt. Die Versicherer integrieren damit jene Kommunikationskanäle in ihren Kommunikationsmix, die von den Kunden immer stärker im Alltagleben eingesetzt werden. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, z.B. in Form von Versicherungs-Apps, sollen auch dem Kundenwunsch nach höherer Transparenz hinsichtlich bestehender Versicherungsverträge nachkommen. Hierbei stehen insbesondere Informationen über die Kosten, den Stand der Schadenbearbeitung (Schadentracking) und Einsparungs- und Wechselmöglichkeiten im Kundenfokus. Zudem sollen neue Angebote den gestiegenen Kundenwunsch nach Selbstverwaltungsmöglichkeiten erfüllen. Gleichzeitig führt die vermehrte Nutzung verschiedener Kommunikationsmedien seitens des Kunden dazu, dass die Verzahnung aller Kommunikationskanäle im Sinne eines Omnichannel-Managements zunehmend an Bedeutung gewinnt. Eine weitere Entwicklung, die die Digitalisierung ermöglicht, ist das Angebot von verhaltensbasierten Tarifen, die aktuell in ersten Formen in der Kfz-Versicherung (Telematik-Tarife) in Deutschland Einzug halten. Im Versicherungsvertrieb vereinfacht die Digitalisierung das Angebot von situativen Deckungen, die sich i.d.R. durch einen kurzen, zeitlich begrenzten Deckungsschutz auszeichnen. Die Bedarfserkennung von situativem Versicherungsschutz (z.B. auf der Skipiste oder im Ausland) mittels des GPS-Signals mobiler Endgeräte als auch die Kaufabwicklung über dasselbe Medium führen dazu, dass situative Deckungen in Echtzeit und bedarfsorientiert angeboten und abgeschlossen werden können. Des Weiteren treten vermehrt sog. digitale Versicherungsmakler in den Versicherungsmarkt ein. Als Differenzierungsmerkmal gegenüber den etablierten Anbietern bieten die digitalen Makler die Möglichkeit, alle relevanten Kundenprozesse, wie z.B. die Beratung, den Abschluss, die Schadenmeldung, die Kündigung oder den Wechsel des Versicherers, digital über eine App oder eine Onlineanwendung durchzuführen. Das Geschäftsmodell digitaler Versicherungsmakler zeichnet sich i.d.R. dadurch aus, dass der Vertriebsprozess bewusst einfach und unter Eingabe nur weniger Kunden- sowie Risikomerkmale erfolgt und die verbindliche Deckungsentscheidung innerhalb kürzester Zeit getroffen wird. Die neuen Vertriebsansätze nutzen verstärkt auch externe Datenquellen, um trotz weniger Kundenangaben eine risikoadäquate Tarifierung durchführen zu können. Sie zielen im Besonderen auf veränderte Nutzenkriterien einer Vielzahl von Kunden ab, die schnelle und abschließende Prozesse bevorzugen, und berücksichtigen zudem die Tatsache, dass die langwierige Eingabe einer Vielzahl von Kunden- und Risikomerkmalen auf mobilen Endgeräten zu einer erhöhten Abbruchquote führen. Auch im Schaden- und im Bestandsmanagement führt die Digitalisierung dazu, dass Prozesse und Entscheidungen zunehmend automatisiert werden. Durch die bessere Verknüpfbarkeit und Auswertbarkeit von Daten wird zudem die Effektivität der Betrugserkennung gesteigert.
3. Neue Möglichkeiten in der Versicherungswirtschaft durch die Digitalisierung
In welcher Form und wie schnell die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung in die Versicherungswirtschaft Einzug finden werden, hängt im Besonderen von der technischen Weiterentwicklung, der Kundenakzeptanz und den Regelungen zum Datenschutz ab. Die Anwendungen z.B. im Bereich vernetztes Haus (Internet der Dinge, vernetzte Überwachungs- und Sicherheitstechnik), im digitalen Gesundheitsmanagement (Gesundheitsüberwachung mittels digitaler Technik, z.B. durch Wearables) und in der Mobilität (Telematik, eCall, autonomes Fahren) eröffnen heute schon die Möglichkeit, kontinuierlich Daten über die versicherte Sache oder die versicherte Person zu erfassen und auszuwerten. Hierdurch können in Echtzeit mittels Präventionsmaßnahmen die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit reduziert und im Fall eines Schadeneintritts durch Notfall- bzw. Schadenmanagementmaßnahmen die Schadenausbreitung eingegrenzt werden. In der Sachversicherung können dadurch neben der Verringerung von Sachschäden auch die Wahrscheinlichkeit von Nachfolgeschäden, wie Betriebsunterbrechungen oder Mietausfällen, vermindert werden. Die Digitalisierung erlaubt somit das Angebot neuer Formen von Dienstleistungen, bei denen neben dem Risikotransfer z.B. auch weitere Elemente des Risikomanagements, wie die Risikovermeidung (Prävention) und die Risikominderung (Schadeneingrenzung), angeboten werden können. Der Schadenerwartungswert und damit die Kosten für den Versicherungsschutz können hierdurch gesenkt werden. Anderseits entstehen durch die Vernetzung neue Risiken (sog. Cyberrisiken) und entsprechende Absicherungsbedarfe. Die kostengünstige Erfassung einer Vielzahl von z.T. neuen Verhaltens- und Risikodaten erlaubt es, den Kundenbedarf besser zu identifizieren und zusätzliche Erkenntnisse über das Risiko in die Prämienkalkulation und in die Zeichnungsentscheidung einzubeziehen. Diese neuen Informationen können die Qualität und die Schnelligkeit des Antragsprozesses erhöhen und nehmen auch Einfluss auf die Versicherbarkeit von Risiken sowie auf die Höhe von Risikozu- bzw. -abschlägen. Zudem bietet die Möglichkeit, nach Vertragsabschluss Daten zu erfassen und Verhaltensweisen zu überwachen, weitere Ansatzpunkte für Prämienanpassungen und aktive Beeinflussungen des Kundenverhaltens. Durch die umfassendere Datengrundlage bei Vertragsabschluss sowie durch die kontinuierliche Erfassung von Risikodaten nach Vertragsabschluss können somit das auch Änderungsrisiko und das Irrtumsrisiko verringert werden.
Autor(en): Prof. Dr. Florian Elert