Nach gut zehn Jahren Rechtsstreit steht nun fest: Die von der AOK Rheinland/Hamburg als Wahltarife angebotenen Zusatzversicherungen sind unzulässig. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dies nun verkündet. Die Details.
Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen bei den Zusatzversicherungen den Privatversicherern keine direkte Konkurrenz machen. Das Bundessozialgericht in Kassel untersagt nun sämtliche entsprechenden Wahltarife der AOK Rheinland/Hamburg. Ein weiteres Urteil besagt zudem, dass dieselbe AOK nicht mehr mit Vergünstigungen bei bestimmten privaten „Vorteilspartnern“ werben darf.
So hat das Bundessozialgericht entschieden
Der genaue Wortlaut des Urteils: "Unternehmen der privaten Krankenversicherung haben Anspruch darauf, dass gesetzliche Krankenkassen das Bewerben und Anbieten von in ihrer Satzung geregelten Wahltarifen für Gestaltungsleistungen wie besonderen Auslandskrankenschutz unterlassen, soweit sie dadurch ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis erweitern. Das hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts in einem Revisionsverfahren entschieden (Aktenzeichen B 1 KR 34/18 R).
Der Senat hat die Revision der beklagten Krankenkasse zurückgewiesen und auf die Anschlussrevision des klagenden privaten Krankenversicherers der Beklagten das Bewerben und Anbieten aller angegriffenen Wahltarife untersagt. Hierfür kann sich die Klägerin auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch berufen. Die Regelungen über Gestaltungsleistungen für Krankenkassen kraft Satzung in Form von Wahltarifen (§ 53 Absatz 4 SGB V) und Leistungserweiterungen (§ 11 Absatz 6 SGB V) sind für die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung drittschützend.
Indem der Gesetzgeber selektiv und abschließend den Krankenkassen ermöglicht, zusätzliche freiwillige Leistungen in ihren Satzungen vorzusehen, schützt er zugleich die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung vor anderen, nicht von ihm autorisierten Marktzutritten. Die genannten Satzungsermächtigungen ziehen hierbei generelle Grenzen. Die gesetzliche Ermächtigung zum Wahltarif Kostenerstattung ermächtigt nicht zu einer Ausdehnung des Leistungskatalogs zum Beispiel um zusätzliche Auslandsleistungen, sondern lediglich zu einem Wahltarif mit einer höheren Kostenerstattung als nach dem gesetzlichen Grundmodell gewillkürter Kostenerstattung.
Soweit die Beklagte Wahltarife für Zahngesundheit und häusliche Krankenpflege vorsieht, missachtet sie, dass leistungserweiternde Gestaltungen nur als Leistungen für alle Versicherten einer Krankenkasse möglich sind, die mit dem allgemeinen Beitrag abgegolten werden."
AOK Rheinland/Hamburg nutzt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sofort
Die Wahltarife waren 2007 im Zuge des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführt worden. Wie die private Krankenversicherung basieren sie auf dem Kostenerstattungsprinzip, und die Ärzte können in Anlehnung an die GOÄ abrechnen.
Die AOK Rheinland/Hamburg hatte dies direkt mit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang April 2007 als bundesweit erste gesetzliche Krankenkasse genutzt. Art und Umfang dieses Angebotes sind bundesweit einmalig.
So bietet sie Tarife mit Kostenerstattung für eine Krankenbehandlung im Ausland, für Zuzahlungen sowie Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus, Zahnersatz und Zahnvorsorgeleistungen, kieferorthopädische Leistungen, Brillen sowie für ergänzende Leistungen der häuslichen Krankenpflege an. Nach eigenen Angaben hatten 2018 rund 500.000 Versicherte einen oder mehrere dieser Wahltarife abgeschlossen, überwiegend die Auslandsversicherung.
In der Vorinstanz Tarife noch für zulässig erklärt
Dagegen klagte die private Continentale Krankenversicherung. Die AOK Rheinland/Hamburg mache ihr hier unzulässige Konkurrenz. Dadurch werde die Berufsfreiheit der Privatversicherer verletzt. In der Vorinstanz hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen die Wahltarife für Zahnersatz oder höhere Leistungen bei der häuslichen Krankenpflege noch für zulässig gehalten.
Das BSG hat nun aber auch diese Tarife verworfen. Das Gesetz lasse hier zwar so genannte Satzungsleistungen zu, auf Wahltarife sei dies aber nicht übertragbar. Satzungsleistungen gelten für alle Versicherten und müssen bereits vom regulären Beitragssatz gedeckt sein.
Verband der Privaten Krankenversicherung begrüßt die Entscheidung
Zur Entscheidung des Bundessozialgerichts erklärt Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV): „Wir freuen uns, dass nach mehr als zehn Jahren Rechtsstreit nun das Bundessozialgericht die Rechtsauffassung des PKV-Verbandes bestätigt, dass derartige Wahltarife in gesetzlichen Krankenkassen rechtswidrig sind. Sie überschreiten den gesetzlichen Rahmen für Leistungen der GKV und führen zu unzulässigen Wettbewerbsverzerrungen. Solche Wahltarife sind systemfremd in der GKV und ein Übergriff in den funktionierenden privatwirtschaftlichen Zusatzversicherungsmarkt.
Das Gericht unterstreiche damit die Bedeutung der privaten Zusatzversicherung als sachgerechte Form der Absicherung von Leistungen, die über das Pflichtprogramm der GKV hinausgehen. Aus Sicht des PKV-Verbandes seien solche Wahltarife in der GKV ordnungspolitisch verfehlt. Außerdem bleibe der Verbraucherschutz auf der Strecke: Da Krankenkassen einen Wahltarif jederzeit schließen könnten, entfalle für die GKV-Versicherten der entsprechende Versicherungsschutz ersatzlos. Dies sei bei einer PKV-Zusatzversicherung nicht möglich, da sie ein lebenslanges Leistungsversprechens .
Kein echter Mehrwert für Kunden, nur Neukundenakquise
Auch das Bundesversicherungsamt (BVA) habe bereits bemängelt, dass Wahltarife in der GKV „zu häufig nicht zu der vom Gesetzgeber gewollten tatsächlichen Verbesserung der Versorgung“ führten. Sie würden „von Krankenkassen stattdessen immer wieder vor allem dazu genutzt, neue Mitglieder zu gewinnen oder aktuelle Mitglieder zu halten ohne für sie einen echten Mehrwert zu schaffen“.
Quellen: Ärzte-Zeitung, Bundessozialgericht, Verband der Privaten Krankenversicherung
Autor(en): Versicherungsmagazin