Ein Versicherungsvertreter riet seinem Kunden zur Kündigung der alten Kapitallebensversicherung. Das hatte ein gerichtliches Nachspiel.
Das Oberlandesgericht (OLG, siehe Bild) Hamm (Urteil vom 27.9.2023, Az. 20 U 22/23, VersR 24/2023, 1570-1574, NRW-Rechtsprechungsdatenbank) hat einem Kunden überwiegend Recht gegeben, der sich gegen die Umdeckung einer alten Lebensversicherung zur Wehr setzte.
Umdeckung nach mehreren Beratungen
Der Kunde hatte im Jahr 2000 eine Kapitallebensversicherung (KLV) abgeschlossen und 2018 gekündigt. Die monatlichen Beiträge von knapp 28 Euro wurden vom Vater des Klägers gezahlt. 2007 schloss er zudem beim selben Versicherer eine Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) ab.
Der Umdeckung 2018 waren mehrere Beratungsgespräche vorausgegangen, bei denen der Vater des Kunden als Zeuge anwesend war. Ergebnis waren eine Kündigung der alten KLV und eine Herabsetzung der Beiträge zur jüngeren Renten- und BUZ-Versicherung. An deren Stelle wurde eine fondsgebundene Rentenversicherung mit BUZ neu abgeschlossen mit rund 100 Euro Monatsbeitrag, für die wiederum der Vater aufkommen sollte.
Keine Nachteilsaufklärung
Aus der zum 31. Oktober 2018 gekündigten KLV floss ein Rückkaufswert von rund 6.540 Euro. 5.000 Euro davon wurden über Umwege in einen Bausparvertrag eingezahlt, der zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie abgeschlossen worden war. Durch diese Zuzahlung konnte die Zuteilung des Bausparvertrags beschleunigt werden. Vom restlichen Rückkaufswert soll der Vater eine Urlaubsreise finanziert haben.
Knackpunkt an der Umdeckung war, dass der Versicherungsvertreter den Kunden nicht über die Nachteile der Kündigung der alten KLV aufgeklärt hatte. Insbesondere verlor der Kunde einen Anspruch auf einen Garantiezins von vier Prozent sowie Steuervorteile.
Zu der Beratung wurden zwei Protokolle erstellt. Zur Kündigung der alten KLV gab es nur ein rudimentär ausgefülltes Formular zur Vertragsveränderung, in dem elektronisch „Beratungsverzicht“ angekreuzt worden war. Die Erklärung enthielt die übliche, allgemeine Nachteilsaufklärung des Verzichts und wurde vom Kunden unterschrieben.
Vergeblich Wiederinkraftsetzung verlangt
Zur neu abgeschlossenen Versicherung wurde im Beratungsprotokoll sehr pauschal unter „Wünsche und Bedürfnisse“ vermerkt, es gehe um „Vorsorge für das Alter“. Außerdem wurde angekreuzt, der Kunde zeige eine Risikobereitschaft in der höchsten, verfügbaren Risikostufe und bei Fondsanlagen der zweithöchsten Risikostufe. Dass im Gegenzug eine andere Lebensversicherung gekündigt oder beitragsfrei gestellt werden sollte, und dass dies „oft mit erheblichen Nachteilen verbunden sein“ kann, hätte der Vertreter zwar ankreuzen können, hat dies aber nicht getan.
Im Jahr darauf verlangte der Kunde Auskünfte vom Versicherer und legte dann Beschwerde bei dessen Vorstand ein. Dabei behauptete er, vom Vertreter falsch beraten worden zu sein und erklärte einen Rücktritt von der neu abgeschlossenen Versicherung. Der gekündigte Altvertrag solle hingegen wieder in Kraft gesetzt werden. Der Versicherer jedoch wies das Ansinnen zurück, einen Beratungsfehler könne er nicht erkennen.
In erster Instanz war der Kunde nicht erfolgreich. Aber das OLG Hamm bewertete die Situation anders. Danach muss der Versicherer grundsätzlich auf Schadenersatz haften, das Handeln seines Versicherungsvertreters muss er sich zurechnen lassen. Entscheidend dabei ist die fehlende Aufklärung über die Nachteile der Kündigung des Altvertrags. Zudem vermutete das Gericht ein beratungsgerechtes Verhalten des Kunden, was der Versicherer hätte widerlegen müssen.
Gegenbeweis korrekter Aufklärung nicht angetreten
Dass der Kunde einen Beratungsverzicht unterschrieben hatte, führte gerade nicht zu einem Nachteil für ihn, im Gegenteil. Denn in dieser Fallkonstellation bestand eine Beratungs- und Dokumentationspflicht, und tatsächlich haben auch Beratungen stattgefunden. Hier hätte der Versicherer aufgrund einer faktischen Beweislastumkehr nachweisen müssen, dass er trotz unterschriebenen Beratungsverzichts die notwendige Beratung zu den Nachteilen der Kündigung der KLV geleistet hat. Auch eine künstliche Auftrennung in eine Kündigungsberatung einerseits und eine Neuabschlussberatung andererseits hilft dabei nicht, denn „die Kündigung des Altvertrags (…) steht mit dem Abschluss des Neuvertrags in einem untrennbaren Zusammenhang“.
Auch die Tatsache, dass der Kunde einen Teil des Rückkaufswerts für seine Baufinanzierung verwendet hatte, spricht nicht etwa für eine ausreichend geklärte Kundenbedarfssituation, die keiner weiteren Beratung bedurft hätte. Dem Vertreter, der als Zeuge im Verfahren aussagte, war klar, dass „eine bestehende Altersvorsorge für den Bausparvertrag zweckentfremdet“ werden sollte und hatte daher nach seiner Aussage eine neue Altersvorsorge-Absicherung empfohlen.
Kritik an schlechter Dokumentation
Auch die schlecht und unvollständig ausgefüllten Beratungsdokumentationen waren für den Versicherer und seinen Vertreter letztlich von Nachteil. „Das Protokoll verfehlt damit bereits im Ansatz Beratungsanlass und Beratungsinhalt, so dass von einer ordnungsgemäßen Errichtung keine Rede sein kann“, kritisiert das OLG.
Auch die Risikoeinstufungen hält das Gericht für nicht nachvollziehbar. Aus der Schilderung geht hervor, dass der Vertreter als Zeuge nicht nur nicht erklären konnte, wie er auf diese Einstufungen gekommen war, sondern sogar „erkennbar gereizt“ einräumen musste, dass diese Einstufungen wohl notwendig waren, um die empfohlene Versicherung überhaupt anbieten zu können.
Bei der Bemessung des Schadenersatzes räumt das OLG allerdings ein, dass der Schaden nicht in jeder Hinsicht genau bezifferbar ist, beispielsweise hinsichtlich der individuell sehr unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen. Auch muss sich der klagende Kunde Vorteile gegenrechnen lassen, die er aus dem erhaltenen Rückkaufswert, aus eingesparten Monatsbeiträgen und aus einer vergünstigten Baufinanzierung erhalten hat. Feststellungen dazu hat die Vorinstanz nicht gemacht. Deshalb war die Revision auch nicht vollständig, sondern nur überwiegend erfolgreich für den Kläger.
Das OLG hat im Ergebnis den Parteien empfohlen, sich vergleichsweise zu einigen. In Frage kämen entweder ein Schadenersatz in Geld oder eine Wiederinkraftsetzung des Altvertrags mit einer vom klagenden Kunden zu erbringenden Zahlung.
Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil reiht sich ein in eine Vielzahl von Fällen, in denen nachteilige Umdeckungen von Altverträgen im Mittelpunkt standen. Einmal mehr wird deutlich, dass Umdeckungen vor allem alter Lebensversicherungen nachteilig sind und Vermittler oder die Versicherer eine Aufklärung über diese Nachteile leisten und sie vollständig und unmissverständlich dokumentieren müssen.
Im konkreten Fall scheint der Vertreter nicht optimal geschult und angeleitet gewesen zu sein. So entsteht der Eindruck, dass er mit dem Ausfüllen der Beratungsdokumentationsformulare ebenso überfordert war wie mit einer regelgerechten Geeignetheitsbeurteilung nach § 7c VVG. Möglicherweise hätte ein Policendarlehen aus der KLV den angestrebten Zweck einer Optimierung der Baufinanzierung erfüllen können, ohne die KLV und deren Vorteile aufgeben zu müssen. Schließlich muss sich auch die Antragsabteilung des betroffenen Lebensversicherers fragen lassen, warum sie den Neuantrag in Kenntnis der Kündigung des Altvertrags durchgewinkt und keine Rückfragen gestellt hat.
Autor(en): Matthias Beenken