Online shoppen, Einkäufe digital bezahlen oder sich virtuell austauschen – all dies gehört mittlerweile nicht mehr nur für die Generationen Y und Z zum Alltag. Dass die Finanz- und Versicherungsbranche beim Thema Digitalisierung an einigen Stellen noch Nachholbedarf hat, ist nichts Neues.
Geschuldet ist dies auch der Komplexität der Prozesse und der Vielzahl der Beteiligten an einem Versicherungsvorgang. Doch es kommt Bewegung in den Markt: Viele Versicherer haben erkannt, dass sie interne Prozesse bis hin zum Vermittler digitalisieren müssen, um effizienter und profitabler zu werden.
M&A-Aktivitäten für schnellere Digitalisierung
Impulse für mehr Digitalisierung kommen zunächst von außen: Der Kampf um die Kundenschnittstelle wird immer wichtiger – denn eine digitale Infrastruktur ist auch ein essenzieller Vertriebskanal, speziell um jüngere Zielgruppen nicht an Wettbewerber zu verlieren. Hier müssen die Versicherungsunternehmen über den eigenen Tellerrand hinausschauen, denn sie stehen zunehmend in Konkurrenz mit den aufstrebenden und innovativen Insurtechs, die den Versicherungsmarkt umkrempeln und damit die digitale Transformation beschleunigen.
Insurtechs haben es sich zur Aufgabe gemacht, das digitale Angebot innerhalb der Versicherungsbranche zu erweitern. Dieses Know-how fehlt häufig gerade bei den alteingesessenen Versicherern. Hier öffnen sich neue Möglichkeiten für Übernahmen durch die Versicherer, die sich durch Zukäufe das Wissen in diesen Bereichen einverleiben können.
Chancen für den Vermittler
Durch Zukäufe gehen Versicherer einen weiteren Schritt in Richtung "digitalere Angebote", nicht nur hin zum Online-Vertrieb von Policen. Denn auch für Vermittler bieten sich enorme Chancen, wenn die notwendige Infrastruktur von Versicherungsunternehmen zur Verfügung gestellt wird. Denn wichtig ist: Neben dem wachsenden digitalen Angebot wird auch in Zukunft der direkte Kontakt und Vertrieb von Mensch zu Mensch bestehen bleiben. Doch auch die Prozesse im klassischen Vertrieb können bei geschicktem Einsatz der richtigen IT-Lösungen effizienter gestaltet werden.
Schnelle Informationen in Echtzeit
Damit der klassische Vertrieb von der Digitalisierung profitiert, benötigt er spartenübergreifende und hochindividuelle Angebotsinformationen – in Echtzeit im Verkaufsgespräch. Fragt ein Kunde im Gespräch beispielsweise nach Rabatten, muss der Versicherungsmakler wissen, welche Höhe des Rabatts einerseits wirtschaftlich für das Unternehmen und andererseits zufriedenstellend für den Kunden ist.
Kann er anhand eines Programms vor Ort berechnen, wie hoch die Abschlusswahrscheinlichkeit bei Gewährung verschieden hoher Rabatte ist, so kann er dem Kunden ein individuell angepasstes Angebot unterbreiten und mit dem sehr wahrscheinlichen Abschluss rechnen. Gerade in margenschwachen Segmenten, wie dem Kraftfahrtgeschäft, steckt mit solchen Möglichkeiten mehr Gewinn für Unternehmen und Kunden.
In den wenigsten Fällen erhalten die Vermittler aktuell die hierzu notwendige Unterstützung.
Erst wenn solche Prozesse etabliert werden, fällt die Mauer zwischen dem Aktuariat des Versicherers, welches über individuelle Risiko- und Verhaltensinformationen und -vorhersagen verfügt, und dem Vermittler am Point of Sale, der bislang durch den Zugriff auf das Tarifbuch und starre Rabattregeln agieren muss.
Fazit
Somit bietet die Digitalisierung auch dem klassischen Vertrieb neue Möglichkeiten. Benötigt werden vor allem IT-Lösungen, die im Hintergrund komplexe Risiko-, Kundenverhalten- und Tarifinformationen berechnen und diese dem Vermittler verständlich aufbereitet und geeignet kombiniert in Echtzeit zur Verfügung stellen. Nur so wird eine intelligente Vertriebsunterstützung künftig gewährleistet.
Dr. Gero Nießen ist Director bei Willis Towers Watson in Köln und dort spezialisiert auf Pricing und Produktmanagement in der P/C-Versicherung.
Autor(en): Gero Nießen