Was ist mir im Leben wichtig? Das fragen viele beruflich stark engagierte Menschen erst, wenn ihre Gesundheit ruiniert oder ihre Ehe zerrüttet ist. Wer dauerhaft ein erfülltes Leben führen möchte, beruflich und privat, sollte sich die Sinnfrage früher stellen.
Vielen Berufstätigen macht ein Leben unter Hochdruck Spaß. "Denn aus neuen Herausforderungen erwachsen auch neue Eindrücke und Erfahrungen", sagt Dr. Georg Kraus, Managementberater aus Bruchsal. "Und selbstverständlich freuen sie sich auch über die finanzielle und soziale Anerkennung, die sie für ihr Engagement erfahren."
Wichtiges ist selten dringend
Zugleich verdichtet sich aber bei immer mehr Berufstätigen das Gefühl: Egal, wie sehr ich mich anstrenge, es fällt mir immer schwerer, allen Anforderungen gerecht zu werden. Wenn ich im Beruf die geforderte Leistung bringe, kommt mein Privatleben zu kurz. Wenn ich hingegen meiner Familie und meinen Hobbys die gewünschte Zeit einräume, komme ich beruflich nicht weiter. Ich kann noch so gut mit meiner Zeit haushalten, es bleiben meist genau die Dinge liegen, die wirklich wichtig sind.
Das ist kein Zufall. "Denn das, was in unserem Leben wirklich wichtig ist, ist selten dringend." Darauf weist Nikola Doll, Coach in Neustadt an der Weinstraße, hin. Es ist nie dringend, joggen zu gehen. Es wäre aber gut für unsere Gesundheit. Es ist nie dringend, mit den Kindern zu spielen. Es wäre aber positiv für ihre Entwicklung. Es ist nie dringend, sich Zeit für ein Gespräch mit dem Lebenspartner zu nehmen. Es wäre aber wichtig für die Beziehung. Es ist nie dringend, sich zu fragen: Welche Ziele habe ich in meinem Leben? Es wäre aber von Vorteil, damit wir nicht eine Sinnkrise geraten.
Gleichgewicht der Lebensbereiche herstellen
Weil die wirklich wichtigen Dinge selten dringend sind, merken laut Sabine Prohaska, Managementtrainerin aus Wien, viele beruflich stark engagierte Männer und Frauen erst spät: Mein Leben ist nicht im Lot. Oft kommt diese Erkenntnis zu spät: Die Ehe ist kaputt, der Kontakt zu den Kindern abgerissen, die beruflichen Schwierigkeiten nehmen zu statt ab. "Dann ist eine Sinnkrise nicht mehr weit."
Kein Wunder also, dass das Thema Work-Life-Balance seit einigen Jahren boomt. Bei ihm geht es im Wesentlichen um die Frage: Wie kann ich das erforderliche Gleichgewicht zwischen den vier Lebensbereichen "Arbeit und Leistung", "Körper und Gesundheit", "Familie und Kontakt" sowie "Sinn und Kultur" bewahren? Denn diese beeinflussen sich laut Nikola Doll wechselseitig:
• Wer krank ist, kann weder sein Leben in vollen Zügen genießen noch ist er voller Leistungskraft.
• Wer unter Einsamkeit leidet, ist weder "quietschfidel" noch kann er seine Energie voll im Beruf einsetzen.
• Wer sich im Job nur gehetzt und gestresst fühlt, bringt nach einem zwölf-Stunden-Tag wenig Geduld für seine Kinder auf.
Das heißt: Nur wer ein Leben in Balance führt, ist auf Dauer zufrieden, motiviert und leistungsfähig.
Dies haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb bieten sie ihren Mitarbeitern zunehmend auch Seminare und Trainings zu Themen an, die beruflich und privat relevant sind. So zum Beispiel Selbst- und Stressmanagement-Seminare. Oder Rückentrainings. Sogar Massagen werden den Mitarbeiter bei einigen Unternehmen offeriert.
Sinnfrage nicht ausklammern
Kaum berücksichtigt wird bei diesen Fördermaßnahmen meist der Bereich "Sinn und Kultur". Dabei wäre dies wichtig, betont Sabine Prohaska. "Denn wenn wir das, was wir in den drei anderen Lebensbereichen tun, nicht als sinnhaft erfahren, empfinden wir unser gesamtes Leben irgendwann als öd und leer." Die Folge: Wir gehen mit angezogener Handbremse durchs Leben. Selbst die einfachsten Dinge fallen uns schwer. Deshalb rät sie allen beruflich stark engagierten Menschen: "Fragen Sie sich regelmäßig, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist – und zwar bezogen auf alle vier Lebensbereiche."
Wichtig ist es laut Georg Kraus auch, sich zu fragen: Welche (Grund-)Einstellung habe ich zum Leben? Ist es für mich ein Dschungel, in dem jeder jeden frisst? "Wenn ja, dann werden Sie gegenüber Ihren Mitmenschen stets ein gewisses Misstrauen empfinden und irgendwann vermutlich allein durchs Leben gehen." Oder geht es für Sie im Leben darum, immer der Schnellste zu sein? "Dann werden Sie laufen und laufen, bis Sie sich irgendwann wie ein Hamster im Laufrad drehen." Das heißt: Unsere Einstellung zum Leben prägt unser Handeln und bestimmt mit, was uns widerfährt. Deswegen sollten wir ab und zu auch unsere Lebensmaximen überdenken.
Das eigene Tun überprüfen
Umgekehrt gilt: Die besten Lebensmaximen nutzen uns wenig, wenn sie sich nicht in unserem Handeln widerspiegeln. Deshalb empfiehlt Nikola Doll: "Fragen Sie sich regelmäßig: Stimmt mein Handeln mit meinen Lebenszielen und -maximen überein? Kann ich es zum Beispiel vor mir verantworten, Mitarbeiter permanent unter Druck zu setzen, nur weil ich als Führungskraft selbst unter Druck stehe?" Und überlegen Sie sich: Worin zeigt sich für mich ein erfülltes statt gefülltes Leben? Darin, dass ich bei der Arbeit unentbehrlich bin? Oder darin, dass ich auch Zeit für mich, meine Familie und Freunde sowie Hobbys habe?
Klar sollte beruflich stark engagierten Menschen laut Sabine Prohaska sein: "Die Antworten auf diese Fragen fallen nicht vom Himmel. Eine Lebensvision lässt sich nicht zwischen zwei Geschäftsterminen entwickeln. Hierfür muss man sich Zeit nehmen." Ihr Tipp: Ziehen Sie sich ab und zu für einige Zeit aus der Hektik des Alltags zurück, um den roten Faden in Ihrem Leben (wieder) zu finden. Und wann geht das besser als in der Zeit zwischen den Jahren?
Autor(en): Lukas Leist