Versicherer nicht als nachhaltige Akteure eingestuft

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Das Thema Nachhaltigkeit ist bei Verbraucherinnen und Verbrauchern weiterhin präsent, scheint aber viele Menschen zunehmend zu polarisieren oder zu ermüden. Versicherer scheinen im aktuellen Umfeld kaum Chancen zu haben, sich über nachhaltig ausgerichtete Produkte zu differenzieren. Zudem darf Nachhaltigkeit aus Sicht der Kundinnen und Kunden bei Versicherungen nichts kosten. Das belegt die neue Umfrage der Management- und Technologieberatung Bearing Point. Die Kunden sehen ihr Versicherungsunternehmen, sein Verhalten und die Produkte als Einheit – hierauf müssen Versicherer reagieren, meint das Beratungsunternehmen. 

Mehr als jede(r) zweite Befragte glaubt, dass Nachhaltigkeit das Handeln der Gesellschaft beeinflusst. Bei Unternehmen sehen das nur noch 43 Prozent. 47 Prozent der Befragten geben an, ihr persönliches Handeln durch Nachhaltigkeitsziele beeinflussen zu lassen. elf Prozent mit einer Antwort „ja, sehr“ stehen 16 Prozent mit „nein, überhaupt nicht“ gegenüber.

Bürger reagieren mit Verzicht, bewussterem Handeln und Einsparungen

Konkrete Beispiele des eigenen Handelns sind eher mit Umweltschutz und Ressourcenschonung verbunden, welches sich dann mit eigenem Verzicht, bewussterem Handeln und Einsparung ausdrückt. Das mag einem generellen Verhalten in der Krise entgegenkommen, spiegelt aber auch Sichtweisen im Hinblick auf das gewünschte Verhalten von Versicherungsunternehmen wider.

Dass Versicherungsunternehmen eine wichtige Rolle bei der Förderung von Nachhaltigkeit spielen sollen, bejahen nochmals deutlich weniger Verbraucher als in den Vorjahren. Stimmten 53 Prozent der Deutschen noch im Vorjahr zu, Versicherungen sollten mit ihren Produkten nachhaltiges Verhalten fördern, sind es im Jahr 2023 nur noch 39 Prozent. Bei der Befragung im Jahr 2021 waren es sogar noch 71 Prozent, die das bejahten. 

Giso Hutschenreiter, Partner bei Bearing Point und Versicherungsexperte: „Unsere Gesellschaft ist bei Nachhaltigkeit zunehmend polarisiert und bringt zunehmend Skepsis gegenüber Unternehmen generell und bei Versicherungen nochmals verstärkt auf. Versicherungsunternehmen müssen sich offenbar eher als Ganzes präsentieren und dabei Fairness und Glaubwürdigkeit in ihre Nachhaltigkeitsstrategie integrieren.“

Immer weniger sind bereit, Leistungseinbußen oder höhere Prämien hinzunehmen

Mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung bei Produkten, haben sich auch hier die Zustimmungswerte erneut verschlechtert. In der Gesamtbevölkerung wären in Deutschland nur noch 26 gegenüber 32 Prozent (im Jahr 2022) bereit, für mehr Nachhaltigkeit auf Versicherungsleistungen zu verzichten. Dabei ist die Akzeptanz bei den 18- bis 24-Jährigen fast doppelt so hoch wie bei den über 55-Jährigen. Gefragt nach der Bereitschaft zur Zahlung einer höheren Prämie für einen nachhaltigen Zweck, wären nur 22 Prozent (27 Prozent im Vorjahr) der Deutschen dazu bereit. Rund zwei Drittel lehnen inzwischen eine erhöhte Prämie ab, um damit eine nachhaltige Produktausrichtung abzubilden.

Konkret bei denen nachgefragt, die zu einem eigenen Beitrag bereit wären, können sich jeweils ein gutes Drittel einen Verzicht bei Ersatzleistungen (zum Beispiel Austauschteile beim Auto), Einschränkungen bei Dienstleistungen oder – in diesem Jahr erstmalig abgefragt – die Sicherstellung von Sozialstandards vorstellen. Letzteres ist ein Hinweis auf Faktoren, die bislang neben dem „E-Environment“ in ESG von vielen Unternehmen noch zu wenig adressiert werden.

„Unsere Umfrage legt nahe, dass Kunden kein Vertrauen in die Nachhaltigkeitsbemühungen von Versicherungen haben. Die Rechtfertigung einer höheren Prämie oder eines Leistungsverzichts fällt umso schwerer. Für Versicherungsunternehmen ist das kein einfaches Umfeld: Nachhaltigkeit ohne eine ernsthafte Grundlage läuft Gefahr, als Greenwashing demaskiert zu werden”, so Giso Hutschenreiter.

Das Angebot nachhaltiger Produkte wird wohl immer unwichtiger

Dass Produkte mit nachhaltiger Ausrichtung bereits grundsätzlich im Markt angeboten werden, glauben nur noch 36 Prozent der Befragten (gegenüber 47 Prozent im Vorjahr). Für nur noch 19 Prozent (Vorjahre: 29 Prozent 2022 und 34 Prozent 2021) würde das Angebot nachhaltiger Produkte die Versicherungswahl beeinflussen, während dies jetzt 60 Prozent verneinen (Vorjahr: 51 Prozent). Der Anteil der 18- bis 34-Jährigen schließt das gegenüber den anderen Altersklassen weniger kategorisch aus.

Geht es um die Renditeerwartung ist der Anteil der Versicherungskunden auf 36 Prozent gestiegen (Vorjahr: 32 Prozent), die keine Veränderung der Rendite eines nachhaltigen Anlageprodukts erwarten. Die 20 Prozent, die mit einer Veränderung rechnen, glauben inzwischen aber nur noch zu 38 Prozent  an eine höhere Rendite. Das waren 2022 noch 46 Prozent.

Ausblick für die nächsten zwei bis drei Jahre uneinheitlich

Bei der erstmalig in diesem Jahr gestellten Frage zum Ausblick der Verbraucher zeigt sich ein uneinheitliches Bild. „Die Bedeutung von Nachhaltigkeit nimmt zu und wird insgesamt eher einen positiven Einfluss auf mein persönliches Umfeld haben“ bestätigen 24 Prozent. 15 Prozent sehen eine eher negative Auswirkung, 24 Prozent glauben, dass das Thema an Bedeutung verliert (insbesondere im Kontext andauernder Krisen) und weitere 23 Prozent erwarten keine Veränderungen.

Giso Hutschenreiter zieht folgendes Fazit: „Nicht nur regulatorische Vorgaben zwingen Versicherer zu Veränderung, sondern sie wissen, dass sie ihre Anlagepolitik und die Risikoselektion verändern müssen. Die Kunden scheinen diesen Weg mit seinen daraus erwachsenden Konsequenzen nicht mitgehen zu wollen. In der Kundenkommunikation scheint ein genereller Strategiewechsel zum Thema Nachhaltigkeit weg vom Einzelprodukt hin zum Unternehmen und grundsätzlichen Handeln angezeigt.“

Autor(en): versicherungsmagazin.de

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