Sozialsystem wird unfinanzierbar

740px 535px

Nach aktuellen Prognosen werden im kommenden Jahr die Sozialversicherungsbeiträge von derzeit etwa 40 auf mehr als 42 Prozent des Bruttolohns ansteigen. Die Lohnzusatzkosten gefährden mittlerweile den Standort Deutschland.

Schon heute zählen die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu den höchsten der Welt. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also die Pflichtbeiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, liegt bei etwa 40 Prozent. Ein weiterer Anstieg würde vor allem Arbeitsplätze gefährden – mit weitreichenden Folgen für die Sozialkassen und Steuereinnahmen. Der Wirtschaftsweise Professor Martin Werding warnte im „Handelsblatt“ davor, dass die Kosten die immer noch einigermaßen gute Arbeitsmarktentwicklung aus dem Tritt bringen könnten.

Ausgaben in GKV steigen dynamisch

Alleine die gesetzlichen Krankenkassen werden für einen signifikanten Anstieg der Sozialbeiträge sorgen. Aufgrund der starken Zunahme der Ausgabendynamik zeichne sich bis zum Jahresende trotz Beitragserhöhungen ein Defizit von 3,5 bis sieben Milliarden Euro ab, schätzt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Und das, obwohl mittlerweile über 20 Krankenkassen in diesem Jahr unterjährig bereits ihren Zusatzbeitrag erhöht haben. Nach Berechnungen des BKK-Dachverbands wird sich der Zusatzbeitrag bis zum kommenden Jahr von heute 1,7 auf mindestens 2,3 Prozentpunkte erhöhen. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) rechnet sogar mit einem Anstieg von bis zu 0,8 Prozentpunkten.

„Teuerster Gesundheitsminister aller Zeiten“

Angesichts der Prognosen für 2025 warnt der GKV-Spitzenverband vor einer Kostenlawine. Er rechnet damit, dass zusätzlich zum GKV-Beitrag auch der Beitragssatz in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) im kommenden Jahr um mindestens 0,2 Beitragssatzpunkte steigen muss. Bei den Krankenkassen sieht man die Schuld bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). So nennt ihn die Vorstandschefin des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, den „teuersten Gesundheitsminister aller Zeiten“. Denn statt auf die Ausgabenbremse zu treten, damit die Sozialbeiträge nicht weiter aus dem Ruder laufen, wolle der Minister das Geld der Beitragszahlenden weiter mit vollen Händen ausgeben. Laut einer Studie des IGES-Instituts, Berlin, droht den gesetzlichen Krankenkassen bis 2035 ein Beitragssprung von durchschnittlich 16,3 auf 19,3 Prozent. Wird nichts Grundlegendes verändert, würden die Gesamtbeiträge dann sogar auf 48,6 Prozent des Bruttolohns steigen.

Umsteuern ist gefragt

„Die rote Linie ist deutlich überschritten“, warnen die Familienunternehmer in einem Brandbrief an den Bundeskanzler. Sie fordern jetzt von der Bundesregierung ein Notfallkonzept, um die Sozialabgabenquote wieder unter 40 Prozent Lohnzusatzkosten zu bringen. „Wir brauchen dringend nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung“, schrieben die Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft in ihrer Gemeinsamen Erklärung zur Stärkung des Standorts. Die finanziellen Belastungen der Beitragszahler sind mittlerweile sehr hoch, auch wenn gerade die Beiträge zur GKV mehr oder weniger unmerklich vom Lohn abgeführt werden.

Mehr Nachhaltigkeit gefragt

Führende Ökonomen sprechen sich für eine stärkere Rolle der kapitalgedeckten Vorsorge aus. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung sind notwendig. Doch die Politik denkt in sehr kurzen Perioden, alle vier Jahre wird neu gewählt. Die notwendigen Reformen sind aber in der Regel unpopulär und langfristig angelegt. In der GKV muss man wieder auf eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik kommen, wie es Ulrike Elsner fordert, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen. Es darf aber auch die Frage gestellt werden, warum wir in Deutschland 96 Krankenkassen brauchen, die zu über 95 Prozent identische, da gesetzlich vorgeschriebene Leistungen anbieten.

Rentenreform verpasst

Eine Reform der Rentenpolitik wurde über Jahrzehnte verschlafen. Dass in der Rentenversicherung nicht schon vor 20 Jahren eine Kapitaldeckungskomponente eingeführt wurde, sei ein großes Versäumnis der Babyboomer-Generation, meint denn auch die Vorsitzende des „Rats der Wirtschaftsweisen“, Professor Monika Schnitzer. Auch das Generationenkapital oder das Altersvorsorgedepot können die Finanzierungslücke der gesetzlichen Rentenversicherung durch den demografischen Wandel nicht schließen. Es muss klar sein: Wer nicht selbst vorsorgt, landet in der Altersarmut. Die Politik scheint zu einer groß angelegten Reform nicht in der Lage zu sein. Und für immer höhere Bundeszuschüsse fehlt das Geld – in allen Zweigen der Sozialversicherung.

 

 

 

Autor(en): Bernhard Rudolf

Alle Branche News