„Eine ganz klare Trennung zwischen Provisionsvermittlung und Honorarberatung“ glaubt Staatssekretär Gerd Billen vom Justiz- und Verbraucherschutzministerium mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Umsetzungsgesetz der IDD zu schaffen. Mit ein wenig Fantasie kann man auch das Gegenteil erkennen.
Die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) wird dazu genutzt, das Ziel der großen Koalition umzusetzen, die Honorarberatung zu fördern. Unverändert leidet aber die Debatte um die fehlende Begriffsklarheit, was eine „Honorarberatung“ überhaupt sein soll.
Was ist eine Honorarberatung?
Nach dem vergangene Woche von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf, soll der „Versicherungsberater“ (§ 34d Abs. 2 GewO) gewerbsmäßig „bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen (…) rechtlich“ beraten, also eine dem Rechtsanwalt vergleichbare, nicht vom Vermittlungserfolg erfolgsabhängige Tätigkeit ausüben.
Zusätzlich soll der Versicherungsberater „die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen“ übernehmen dürfen. Darunter ist eine erfolgsabhängige Tätigkeit zu verstehen, die typischerweise auch nach der Höhe des Erfolgs, sprich dem vermittelten Umsatz, vergütet wird. Normalerweise nennt man das Vermittlung, und diese kann entweder vom Versicherer beauftragt durch einen Vertreter oder vom Kunden beauftragt durch einen Makler erfolgen.
Wirklich scharfe Grenzen?
Der Gesetzentwurf soll nun scharfe Grenzen zwischen „Provisionsvermittlung“ und „Honorarberatung“ beziehungsweise wohl viel häufiger „Honorarvermittlung“ ziehen. Das dürfte schwer werden, wie einige fiktive Fallgestaltungen (mit fiktiven Zahlen) zeigen. Möglicherweise können die Kunden und auch die Vermittler im neuen System übervorteilt werden:
Fall 1
Ein Kunde wendet sich an einen Versicherungsvermittler und beantragt eine Versicherung. Der Vermittler wird durch eine Provision bezahlt, wie es in der Gewerbeordnung für Vermittler grundsätzlich vorgeschrieben werden soll. Anschließend besucht der Kunde eine Beratung in der Verbraucherzentrale oder bei einem Versicherungsberater, vielleicht in Form eines Insurtech-Unternehmens im Internet, und erfährt, dass er denselben Versicherungsvertrag billiger haben kann.
Er müsse nur die Honorarvereinbarung unterschreiben, die dann dem Versicherer vorgelegt und dieser aufgefordert wird, gemäß § 48c Absatz 1 VAG, unverzüglich 80 Prozent der für den Vertrag vorgesehenen „Zuwendungen“ (Provisionen und ähnliche Kosten) dem Prämienkonto des Kunden gutzuschreiben. Wie der Versicherer mit einer bereits ausgeschütteten Provision und den vertraglichen Ansprüchen der Vermittler hierauf umgeht, muss nicht das Problem der Kunden und ihrer Berater sein.
Fall 2
Ein Kunde wie in Fall 1 geht schon vor Abschluss in eine Versicherungsberatung, lässt sich eine Bescheinigung ausstellen, dann vom Vermittler beraten und eine Versicherung beantragen. Parallel legt er dem Versicherer die Bescheinigung über die erfolgte Beratung vor und verlangt nach § 48c Absatz 1 Satz 6 VAG die Prämiengutschrift. Notfalls kann der Berater die Bescheinigung auch rückdatieren, und sie wurde dann angeblich vergessen sofort vorzulegen.
Fall 3
Ein Kunde lässt sich vom Versicherungsberater eine Lebensversicherung zum Nettotarif mit 100.000 Euro Beitragssumme empfehlen. Der Berater verlangt für die Vermittlung 60 Promille von 100.000 Euro gleich 6.000 Euro Honorar. Dem Kunden rechnet er vor, dass der Nettotarif so vorteilhaft ist, dass er in 30 Jahren 10.000 Euro mehr Leistung erhält. Der Kunde ist begeistert, 4.000 Euro Gewinn durch den Besuch des honorigen Versicherungsberaters statt eines gierigen Provisionsvermittlers gemacht zu haben. Dass die 6.000 Euro heute etwa 15.000 Euro in 30 Jahren entsprechen und er in Wahrheit 5.000 Euro weniger erlangt als beim Provisionsvermittler, kann der Kunde mangels Kenntnissen in der Zinseszinsrechnung nicht erkennen.
Fall 4
Der Kunde aus Fall 3 gerät an einen Versicherungsberater, der keinen Zugang zu Nettotarifen hat und stattdessen einen Bruttotarif empfiehlt. Dafür kann er dem Kunden eine Prämiengutschrift über fünf Jahre lang jeweils 800 Euro in Aussicht stellen. Großzügig berechnet er auch nur 3.000 Euro Honorar, sodass der Kunde einen überzeugenden finanziellen Vorteil aufgrund der Ersparnis von 4.000 Euro Prämien hat. Nach fünf Jahren fällt dem Versicherungsberater auf, dass es für diesen Kunden eine noch besser geeignete Versicherung gibt, und die bisherige besser gekündigt werden sollte. Zwar muss der Kunde dafür noch einmal 3.000 Euro bezahlen, aber das wird mit dem Argument einer erneuten Prämiengutschrift von fünfmal 800 Euro leicht vom Tisch gewischt.
Fall 5
Der Kunde aus Fall 3 kündigt nach einem Jahr, weil er feststellt, dass der Vertrag ihn finanziell überfordert. Der Rückkaufswert beträgt 1.900 Euro. Das Honorar von 6.000 Euro unterliegt keiner gesetzlichen Stornohaftung, anders als die Provision des Versicherungsvermittlers. Unter dem Strich hat der Kunde mit dem Vertragsabschluss 3.333 Euro Prämie plus 6.000 Euro Honorar minus 1.900 Euro Rückkaufswert gleich 7.433 Euro verloren. Beim Bruttotarif wären es 3.333 Prämie minus einen etwas geringeren Rückkaufswert von 1.600 Euro gleich 1.733 Euro Verlust gewesen.
Fall 6
Der Kunde lässt sich vom Versicherungsberater eine Versicherung vermitteln und zahlt dafür ein Vermittlungshonorar in Höhe der Prämienersparnis. Nach zwei Jahren hat der Kunde eine Frage zum Vertrag und benötigt eine neue Beratung. Hierfür wird ein Stundenhonorar fällig. Ein weiteres Jahr später tritt ein Leistungsfall ein, auch hier kostet die Unterstützung erneutes Stundenhonorar. Sollte der Kunde dies nicht zahlen wollen, kann er an einen Versicherungsmakler weiterempfohlen werden. Der kann dann zwar per Maklervertrag die Arbeit machen, aber kein Honorar dafür verlangen, da Makler künftig Verbrauchern keine Honorare mehr in Rechnung stellen dürfen.
Eine Courtage ist auch nicht mehr drin, denn die im Vertrag vorgesehenen Vermittlungskosten wurden bereits per Prämiengutschrift an den Kunden ausgeschüttet. Der Provisionsmakler wäre übrigens weiter zur Leistung gegenüber dem Kunden verpflichtet gewesen, auch ohne neue Vergütung.
Bild: ©forkart photography / fotolia
Die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) wird dazu genutzt, das Ziel der großen Koalition umzusetzen, die Honorarberatung zu fördern. Unverändert leidet aber die Debatte um die fehlende Begriffsklarheit, was eine „Honorarberatung“ überhaupt sein soll.
Was ist eine Honorarberatung?
Nach dem vergangene Woche von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf, soll der „Versicherungsberater“ (§ 34d Abs. 2 GewO) gewerbsmäßig „bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen (…) rechtlich“ beraten, also eine dem Rechtsanwalt vergleichbare, nicht vom Vermittlungserfolg erfolgsabhängige Tätigkeit ausüben.
Zusätzlich soll der Versicherungsberater „die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen“ übernehmen dürfen. Darunter ist eine erfolgsabhängige Tätigkeit zu verstehen, die typischerweise auch nach der Höhe des Erfolgs, sprich dem vermittelten Umsatz, vergütet wird. Normalerweise nennt man das Vermittlung, und diese kann entweder vom Versicherer beauftragt durch einen Vertreter oder vom Kunden beauftragt durch einen Makler erfolgen.
Wirklich scharfe Grenzen?
Der Gesetzentwurf soll nun scharfe Grenzen zwischen „Provisionsvermittlung“ und „Honorarberatung“ beziehungsweise wohl viel häufiger „Honorarvermittlung“ ziehen. Das dürfte schwer werden, wie einige fiktive Fallgestaltungen (mit fiktiven Zahlen) zeigen. Möglicherweise können die Kunden und auch die Vermittler im neuen System übervorteilt werden:
Fall 1
Ein Kunde wendet sich an einen Versicherungsvermittler und beantragt eine Versicherung. Der Vermittler wird durch eine Provision bezahlt, wie es in der Gewerbeordnung für Vermittler grundsätzlich vorgeschrieben werden soll. Anschließend besucht der Kunde eine Beratung in der Verbraucherzentrale oder bei einem Versicherungsberater, vielleicht in Form eines Insurtech-Unternehmens im Internet, und erfährt, dass er denselben Versicherungsvertrag billiger haben kann.
Er müsse nur die Honorarvereinbarung unterschreiben, die dann dem Versicherer vorgelegt und dieser aufgefordert wird, gemäß § 48c Absatz 1 VAG, unverzüglich 80 Prozent der für den Vertrag vorgesehenen „Zuwendungen“ (Provisionen und ähnliche Kosten) dem Prämienkonto des Kunden gutzuschreiben. Wie der Versicherer mit einer bereits ausgeschütteten Provision und den vertraglichen Ansprüchen der Vermittler hierauf umgeht, muss nicht das Problem der Kunden und ihrer Berater sein.
Fall 2
Ein Kunde wie in Fall 1 geht schon vor Abschluss in eine Versicherungsberatung, lässt sich eine Bescheinigung ausstellen, dann vom Vermittler beraten und eine Versicherung beantragen. Parallel legt er dem Versicherer die Bescheinigung über die erfolgte Beratung vor und verlangt nach § 48c Absatz 1 Satz 6 VAG die Prämiengutschrift. Notfalls kann der Berater die Bescheinigung auch rückdatieren, und sie wurde dann angeblich vergessen sofort vorzulegen.
Fall 3
Ein Kunde lässt sich vom Versicherungsberater eine Lebensversicherung zum Nettotarif mit 100.000 Euro Beitragssumme empfehlen. Der Berater verlangt für die Vermittlung 60 Promille von 100.000 Euro gleich 6.000 Euro Honorar. Dem Kunden rechnet er vor, dass der Nettotarif so vorteilhaft ist, dass er in 30 Jahren 10.000 Euro mehr Leistung erhält. Der Kunde ist begeistert, 4.000 Euro Gewinn durch den Besuch des honorigen Versicherungsberaters statt eines gierigen Provisionsvermittlers gemacht zu haben. Dass die 6.000 Euro heute etwa 15.000 Euro in 30 Jahren entsprechen und er in Wahrheit 5.000 Euro weniger erlangt als beim Provisionsvermittler, kann der Kunde mangels Kenntnissen in der Zinseszinsrechnung nicht erkennen.
Fall 4
Der Kunde aus Fall 3 gerät an einen Versicherungsberater, der keinen Zugang zu Nettotarifen hat und stattdessen einen Bruttotarif empfiehlt. Dafür kann er dem Kunden eine Prämiengutschrift über fünf Jahre lang jeweils 800 Euro in Aussicht stellen. Großzügig berechnet er auch nur 3.000 Euro Honorar, sodass der Kunde einen überzeugenden finanziellen Vorteil aufgrund der Ersparnis von 4.000 Euro Prämien hat. Nach fünf Jahren fällt dem Versicherungsberater auf, dass es für diesen Kunden eine noch besser geeignete Versicherung gibt, und die bisherige besser gekündigt werden sollte. Zwar muss der Kunde dafür noch einmal 3.000 Euro bezahlen, aber das wird mit dem Argument einer erneuten Prämiengutschrift von fünfmal 800 Euro leicht vom Tisch gewischt.
Fall 5
Der Kunde aus Fall 3 kündigt nach einem Jahr, weil er feststellt, dass der Vertrag ihn finanziell überfordert. Der Rückkaufswert beträgt 1.900 Euro. Das Honorar von 6.000 Euro unterliegt keiner gesetzlichen Stornohaftung, anders als die Provision des Versicherungsvermittlers. Unter dem Strich hat der Kunde mit dem Vertragsabschluss 3.333 Euro Prämie plus 6.000 Euro Honorar minus 1.900 Euro Rückkaufswert gleich 7.433 Euro verloren. Beim Bruttotarif wären es 3.333 Prämie minus einen etwas geringeren Rückkaufswert von 1.600 Euro gleich 1.733 Euro Verlust gewesen.
Fall 6
Der Kunde lässt sich vom Versicherungsberater eine Versicherung vermitteln und zahlt dafür ein Vermittlungshonorar in Höhe der Prämienersparnis. Nach zwei Jahren hat der Kunde eine Frage zum Vertrag und benötigt eine neue Beratung. Hierfür wird ein Stundenhonorar fällig. Ein weiteres Jahr später tritt ein Leistungsfall ein, auch hier kostet die Unterstützung erneutes Stundenhonorar. Sollte der Kunde dies nicht zahlen wollen, kann er an einen Versicherungsmakler weiterempfohlen werden. Der kann dann zwar per Maklervertrag die Arbeit machen, aber kein Honorar dafür verlangen, da Makler künftig Verbrauchern keine Honorare mehr in Rechnung stellen dürfen.
Eine Courtage ist auch nicht mehr drin, denn die im Vertrag vorgesehenen Vermittlungskosten wurden bereits per Prämiengutschrift an den Kunden ausgeschüttet. Der Provisionsmakler wäre übrigens weiter zur Leistung gegenüber dem Kunden verpflichtet gewesen, auch ohne neue Vergütung.
Bild: ©forkart photography / fotolia
Autor(en): Matthias Beenken