Die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde hat eine Konsultation für neue Leitlinien gestartet, mit deren Hilfe Aufsichtsbehörden in allen EU-Staaten die praktische Umsetzung der neuen Eignungsprüfung begleiten können.
Hintergrund der geplanten, neuen Leitlinien für die Beaufsichtigung von Versicherungsvertreibern ist die erweiterte Befragung der Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenzen und der Eignungsprüfung beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. Spätestens ab 2. August 2022 ist die Änderungs-Verordnung der EU-Kommission 2021/1257 anzuwenden, durch die unter anderem die Delegierte Verordnung 2017/2359 ergänzt worden ist. Danach sollen Versicherer und Vermittler ihre Kunden danach fragen, ob sie entweder ökologische oder allgemeiner nachhaltige Anlagen wünschen und in welchem Ausmaß, oder ob sie bestimmte nachhaltigkeitsbezogene Risiken vermeiden wollen.
Öffentliche Konsultation unter Zeitdruck
Diese Abfrage soll zur Produktauswahl und Beratung genutzt werden, und zwar nicht nur beim erstmaligen Verkauf von Versicherungsanlageprodukten. Vielmehr sollen die Nachhaltigkeitspräferenzen auch bei der fortlaufenden Beratung beachtet werden, beispielsweise anlässlich von Fondswechseln.
Die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA gibt der Öffentlichkeit bis zum 13. Mai Gelegenheit, Stellung zu den geplanten Leitlinien zu nehmen. Die Leitlinien sollen zügig noch vor dem 2. August in Kraft treten und dienen als Empfehlung an die nationalen Aufsichtsbehörden, diese zu übernehmen.
Für Deutschland wirft das erneut das Problem auf, dass es nicht die eine Aufsichtsbehörde gibt. Denn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist zwar Mitglied der EIOPA, aber nur für die Versicherer und indirekt für deren erlaubnisfreien Vertreter zuständig. Parallel müssten 16 Landeswirtschaftsministerien diese Leitlinien ebenfalls implementieren und dafür sorgen, dass die unter ihrer Rechtsaufsicht stehenden 79 Industrie- und Handelskammern das Gleiche tun.
Verbrauchern die Begriffe erklären
Die geplanten Leitlinien erscheinen vergleichsweise pragmatisch. Es gibt sieben einzelne Leitlinien.
Eine erste Leitlinie verlangt, dass Versicherer und Vermittler ihren Kunden zunächst erläutern, was es mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ auf sich hat. Denn für Verbraucher seien die neuen Produktkategorien ungewohnt. Die Erläuterung der Begriffe soll „in einer Sprache erfolgen, die klar, knapp, verständlich und nicht irreführend“ ist. Noch pragmatischer wäre es allerdings, wenn die Aufsichtsbehörden selbst eine solche Erläuterung entwickeln und veröffentlichen würden.
Mit oder ohne Staatsanleihen?
Die zweite Leitlinie befasst sich mit der Befragung des Kunden. Vorgeschlagen wird, den Anteil an nachhaltigen Anlagen zweigeteilt zu erfragen, und zwar entweder als Anteil an allen Anlagen oder als Anteil an allen Anlagen außer Staatsanleihen. Parallel sollen die Anbieter gemäß der vierten Leitlinie zwei „Key Performance Indicators“ veröffentlichen, also genau diese beiden Kennzahlen, damit im Beratungsprozess eine leichte Zuordnung der geeigneten Anlagen zu den Wünschen des Kunden ermöglicht wird.
Der Kunde soll zudem hinsichtlich des Anteils an gewünschten, nachhaltigen Anlagen stets nach Mindestanteilen statt nach festen Bandbreiten „von x bis y Prozent“ gefragt werden, damit nicht Anlagen mit deutlich höheren Anteilen an Nachhaltigkeit ausgeschlossen werden aus der Produktauswahl. Wenn der Kunde keine konkreten Prozentangaben macht, sollen die Beratenden ihm helfen und ihm vorschlagen, sich auf standardisierte Mindestanteile von zum Beispiel „mindestens zehn Prozent, mindestens 20 Prozent, mindestens 30 Prozent und so weiter.“ festzulegen. Legt der Kunde sich trotzdem nicht fest, soll der Beratende einen angemessenen Vorschlag machen und dokumentieren, der dem grundsätzlichen Nachhaltigkeitsinteresse des Kunden entgegenkommt.
Erst die allgemeine Eignung, dann die Nachhaltigkeit
Nach der dritten Leitlinie sollen die erfragten Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen einer regelmäßigen Überprüfung der Versicherungsanlage während der Vertragslaufzeit ebenfalls aktualisiert werden.
Die fünfte Leitlinie macht einen pragmatischen Vorschlag zur Priorisierung der verschiedenen Kundenwünsche, die im Rahmen einer Eignungsprüfung auch bisher schon erhoben und berücksichtigt werden mussten. EIOPA schlägt ein zweistufiges Vorgehen vor: In der ersten Stufe soll die Eignungsprüfung wie bisher ablaufen. Das heißt, der Kunde wird nach seinem Wissen und Erfahrungen mit Anlagen, der finanziellen Situation und den Anlagezielen befragt. Auf der Basis werden geeignete Versicherungsanlageprodukte identifiziert. Im zweiten Schritt werden die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden berücksichtigt und die Auswahl der in Frage kommenden Versicherungsanlagen weiter eingegrenzt.
Komplexe Optimierungen vermieden
Dieses Vorgehen löst die „Trade-off-Probleme“, die sonst entstehen könnten. Beispielsweise könnte der Kunde sich eine hohe Nachhaltigkeit, aber ebenso eine hohe Rendite, eine hohe Sicherheit und eine Liquidierbarkeit wünschen. Nun müsste der Beratende versuchen herauszufinden, auf wie viel Rendite, Sicherheit, Liquidierbarkeit der Kunde zugunsten der Nachhaltigkeit der Anlage zu verzichten bereit wäre – ein komplexes Optimierungsproblem.
Nach der sechsten Leitlinie soll der Vertreiber in den Fällen, in denen er kein zu den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden passendes Angebot machen kann, der Kunde aber daraufhin zu einer Anpassung seiner Präferenzen bereit ist, „alle relevanten Informationen“ über die Umstände der Anpassung der Nachhaltigkeitspräferenzen und der Gründe dafür dokumentieren.
Schließlich möchte EIOPA mit der siebten Leitlinie sicherstellen, dass alle Angestellten von Versicherungsgesellschaften und Vermittler, die Versicherungsanlageprodukte vertreiben, die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, um die Nachhaltigkeits-bezogene Eignungsprüfung und Beratung durchführen zu können.
Akzeptanz steigern durch schlanken Prozess
Die Vorschläge der EIOPA vor allem zum Beratungsprozess sollten auch in den brancheninternen Leitlinien berücksichtigt werden. So entwickelt derzeit ein Arbeitskreis des DIN-Instituts einen neuen Anhang zur bestehenden DIN-Norm 77230 zur Finanzanalyse von Privatkunden, in dem ein Prozessvorschlag für die Ermittlung und Umsetzung der Nachhaltigkeitspräferenzen gemacht wird.
Ein erster Entwurf dieses Anhangs wirkt komplexer als das, was EIOPA offenbar vorschwebt. Für die Akzeptanz der neuerlichen Pflichten im Vertrieb dürfte es jedoch entscheidend sein, den Prozess möglichst schlank und effizient zu gestalten.
Autor(en): Matthias Beenken