Der Umsetzungstermin der Versicherungsvertriebsrichtlinie rückt näher. Doch das Nachdenken über Änderungen erschöpft sich derzeit oft noch in operativen Details. Dabei ist mehr erforderlich.
"Die EU-Richtlinie IDD sowie die Digitalisierung der Branche erfordern eine strategische Neuausrichtung von Vertrieb und Marketing", so begründete die deutsche Helvetia vergangene Woche eine Veränderung im Zuschnitt ihrer Vorstandsressorts. Ab 1. Januar soll Jürgen Horstmann, bisher Spartenvorstand Leben, als "Vertriebs- und Marketingchef aller deutschen Helvetia Gesellschaften" nicht nur für die Lebens-, sondern auch für die bisher unter anderer Leitung stehende Sachversicherung verantwortlich sein.
Ressortzuschnitt versus bestmögliches Kundeninteresse
Eigentlich müsste es bald eine Flut solcher Mitteilungen geben. Denn wenn man sich mit der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD näher befasst, kann man an einer Botschaft nicht vorbeigehen: Alles Handeln eines Versicherungsvertreibers, allen voran eines Versicherers, bemisst sich danach, ob dabei das bestmögliche Interesse des Kunden gewahrt wird. In § 1a VVG wird ab 23. Februar 2018 dieser Grundsatz festgeschrieben sein.
Das bestmögliche Interesse des Kunden macht aber in der Realität selten an Ressortgrenzen Halt, insbesondere nicht an Spartengrenzen. Ein Beispiel: Das Einkommen eines Arbeitnehmers kann bei Fortfall durch Krankheit oder Unfall mittels Krankentagegeld-, Berufsunfähigkeits-, Unfall- und Pflegeversicherungen abgesichert werden. Betroffen sind hier alle drei Hauptsparten der Branche, Lebens-, Kranken- und Schaden-/Unfallversicherungen.
Viele Versicherungsvorstände sind aber nach wie vor nach dem Vorbild der im Versicherungsaufsichtsgesetz verankerten Spartentrennung zugeschnitten. Jede Sparte hat ihren eigenen Chef. Der Vertriebsvorstand verantwortet meist nur noch den Absatz der von den Sparten entwickelten Produkte. Kundenorientierung und Marktnähe werden damit gerade nicht gefördert.
Kunden- sind nicht gleich Vermittlerinteressen
Vielmehr orientiert sich die Produktentwicklung wiederum an traditionellen Spartengrenzen, sowie gegebenenfalls noch an den Bedürfnissen des Vertriebs. Aber auch die Bedürfnisse des Vertriebs sind selten vollständig deckungsgleich mit denjenigen der Kunden.
Im Gegenteil, Vertriebsbedürfnisse können in klarem Konflikt zum Kundeninteresse stehen. Ein Beispiel aus einer Maklerveranstaltung: Auf die These, dass Versicherungsmakler als treuhänderähnlicher Sachwalter der Kunden in deren bestmöglichem Interesse keine überzogenen Vergütungen in der Lebensversicherung annehmen oder durch ihre Pools kassieren lassen sollten, meldete sich ein Teilnehmer. Er meinte, dass es ja wohl Aufgabe des Lebensversicherers sei, seine höchstmögliche Vergütung irgendwie so zu verbuchen, dass sie wohl den Kunden nicht belastet.
Das kann funktionieren, allerdings nur im Märchen von dem Dukatenesel. Abschlusskosten fallen aber nicht durch Schwanzziehen einem märchenhaften Esel aus dem Hinterteil. Die Esel in dieser Geschichte sind die Kunden, denen die Abschlusskosten letztlich bei ihrer Überschussbeteiligung fehlen.
Was brauchen die Kunden, und wie findet man das heraus?
Spartenegoismen äußern sich auch in anderer Weise. So werden Versicherungsprodukte entwickelt und vertrieben, die nur Ausschnitte dessen leisten, was der Kunde erwarten kann. Einen besonderen Boom dank der Internet-Startups erleben solche zeitbefristeten und stark leistungsbegrenzten Deckungen, die jedenfalls kein existenzielles Risiko des Kunden erfassen. Ein weiteres Beispiel sind Restschuldversicherungen, bei denen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht festgestellt hat, dass bei diesen teilweise die Hälfte und noch mehr der Prämie an die vermittelnde Bank als Provision fließt. Das ist offensichtlich nicht im bestmöglichen Interesse der Kunden und führte zu besonderen Verbraucherschutzregeln für den Vertrieb von Restschuldversicherungen in Deutschland.
Die Richtlinie verlangt von Versicherern und Vermittlern, die eigenständig Versicherungsprodukte entwickeln, hierbei einen besonderen Produktgenehmigungsprozess einzuführen. Dabei sollen der Zielmarkt definiert und dessen einschlägige Risiken untersucht werden. Das heißt, dass eine Marktforschung und später fortlaufend Marktbeobachtung durchgeführt werden müssen, um die Bedürfnisse der Kunden im Zielmarkt zu verstehen und Veränderungen rechtzeitig wahrzunehmen,
Eine Spartenressort-Gliederung im Versicherungsvorstand ist keine gute Voraussetzung für eine spartenübergreifende Umsetzung eines solchen Prozesses. Es ist an der Zeit, traditionelle funktionale Gliederungen im Ressortzuschnitt durch objektorientierte, hier kundenorientierte Merkmale abzulösen. Die Zielmärkte könnten ein guter Ansatzpunkt für einen Ressortzuschnitt sein.
Autor(en): Matthias Beenken