Immer mehr Versicherungen werden digital vermittelt. Das zeigt eine Auswertung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Dargestellt werden Neuabschlüsse nach Vertragsstückzahl und nach vermittelter Beitragssumme je Vertriebsweg. Insgesamt stiegen 2021 in allen Sparten mit Ausnahme der Lebensversicherung die digitalen Abschlüsse von Versicherungsverträgen. Stark gestiegen ist der Online-Verkauf vor allem in der privaten Krankenversicherung. Hier stieg die digitale Vermittlung von Policen von rund elf Prozent auf 15 Prozent an. In Sach-, Unfall- und Haftpflichtversicherung liegt der digitale Anteil am Neugeschäft nun bei rund 16 Prozent, in der Kfz-Versicherung sogar bei 24 Prozent und in der Rechtsschutzversicherung bei knapp 13 Prozent aller Verträge. Einen Trend zu mehr Online-Verkauf zeigt sich vor allem für Sach-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen: Hier wurden im vergangenen Jahr 16,4 Prozent aller Policen im Neugeschäft digital abgeschlossen, also direkt über eine App oder eine Webseite. Im Jahr 2020 waren es 14,6 Prozent und 2019 erst 9,4 Prozent. Demgegenüber werden weiterhin nur wenige Policen in der Lebensversicherung (3,4 Prozent) digital vermittelt.
Das meiste Neugeschäft erzielen Vertreter
Nach der Vertriebswegestatistik liegt der digitale Anteil sogar nur bei 3,3 Prozent der Beitragssumme. Wahrscheinlich werden hier vor allem Risikolebensversicherungen abgeschlossen, während Altersvorsorgeprodukte als Push-Geschäft weiterhin überwiegend von Einfirmenvertreter persönlich an Frau oder Mann gebracht werden. Laut der GDV-Statistik lag der Anteil der Einfirmen- und Mehrfachvertreter in der Lebensversicherung nach Summe bei 45,9 Prozent. Auch teure private Krankenversicherungen sind im Wesentlichen persönliches Geschäft. Hier lag der Anteil der Ausschließlichkeit 2021 bei 52,2 Prozent. Deutlich dominieren Einfirmen- und Mehrfachagenten auch in der Auto- und Rechtsschutzversicherung. In allen Sparten sind Versicherungsmakler auf Rang zwei. Allein in der Kfz-Versicherung liegt der digitale Direktvertrieb inklusive Vergleichsportale bei 19,4 Prozent der Beitragssumme. In der Sach-, Unfall- und Haftpflichtversicherung liegt der Anteil laut Umfrage sogar nur bei 2,8 Prozent. Hier werden laut GDV häufig Versicherungen gleichzeitig mit anderen Produkten gekauft – beispielsweise separate Fahrradversicherungen.
Methodische Probleme bei GDV-Umfrage
Fraglich ist jedoch, ob die Branchenabfrage hinsichtlich des Online-Verkaufs nicht methodisch problematisch ist. So weiß der GDV nicht, aus welchen Gründen die Versicherungsunternehmen die Rubrik "Sonstige" gewählt haben. Diese Auffangkategorie konnte gewählt werden, wenn "die anderen vorgegebenen Vertriebswege nicht passen" würden. Möglicherweise steckt in dieser Rubrik auch eine Kombivermittlung, die digital und durch persönlichen Kontakt zustande kam. In der Krankenversicherung beträgt der Anteil dieser Rubrik fast 13 Prozent.
Laut GDV würde der Vertrieb zunehmend digitale Tools zur Kommunikation und Interaktion mit den Kunden nutzen. Trotzdem ist der Branchenverband der Meinung, dass die verstärkte Digitalisierung nicht zu einer wahrnehmbaren Marktanteilsverschiebung unter den verschiedenen Vertriebswegen führt. Tatsächlich dürfte aber die immer stärkere digitale Kommunikation die Unterschiede zwischen persönlicher und digitaler Vermittlung nivellieren und Insurtechs, Vergleichsportalen und reinen Online- Vermittlern den Einstieg in einen immer stärkeren automatisierten Vertrieb ebenen.
Verbände sehen Entwicklung gelassen
Vermittlerverbände sehen die Zukunft aber trotzdem positiv. „Die Umfrage belegt doch, dass beratungsintensive Produkte nicht signifikant mehr online abgeschlossen werden. Gerade unsere Mitglieder, die einen umfassenden Beratungsansatz haben, sind nicht so sehr gefährdet“, erläutert Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM). Unternehmer würden sich nicht an einem Samstagmorgen hinsetzen und Inhalts-, Betriebsunterbrechung- und Cyberschutz für die Firma eindecken. Die meisten Kunden des BDVM würden die Verantwortung für die "richtige" Versicherung gerne teilen. Zudem würden BDVM-Makler durch digitale Abschlussstrecken von Assekuradeuren, etwa beim Cyberschutz, eher gestärkt und nicht aus der Kundenschnittstelle gedrängt. Jenssen: „Ich sehe deshalb bei den klassischen Maklern mit dem Fokus auf freie Berufe, Gewerbe und Industrie und auf Privatkunden mit komplexerer Risiko-Situation keine gravierenden Auswirkungen“. Rechtsanwälte würden auch nicht dadurch überflüssig, weil im Internet praktisch alle Rechtsfragen abgerufen werden können. Eine Vielzahl von Personen wüsste nämlich gar nicht, wonach sie überhaupt sucht oder suchen sollte.
Zahl der Vermittler dürfte weiter sinken
Auch der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) sieht die Entwicklung gelassen. Viele Kunden würden sich zwar online über Versicherungen informieren, abgeschlossen werde aber größtenteils immer noch beim Versicherungsvermittler des Vertrauens. „Wir haben es schon seit Jahren mit einem hybriden Kundenverhalten zu tun“, erläuterte auf Anfrage BVK-Präsident Michael Heinz. Die Kunden würden Versicherungsvermittler als persönliche Ansprechpartner nach wie vor und trotz des Internets sehr schätzen, vor allem bei der Schadenregulierung. Trotzdem könnte die Zahl der Vermittler weiter abnehmen. Würde das im gleichen Umfang wie in den vergangenen zehn Jahren passieren, reduzierte sich die heutige Zahl der 190.000 Vermittler und Versicherungsmakler bis 2032 auf 130.000 bis 120.000 Berufsträger. Doch solche Prognosen sind laut BVK unsicher. So könnte die Attraktivität des Berufstandes für Jüngere steigen, weil viele Ältere in den Ruhestand gehen.
Autor(en): Uwe Schmdt-Kasparek