Kritik an Nachhaltigkeitsregulatorik

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Der Regelungswust wächst immer noch weiter – wie Vermittler und Berater dennoch konstruktiv damit umgehen können.

Die Kritik an der Vielzahl komplexer, verschachtelter Regulierungen der Europäischen Union rund um die Nachhaltigkeit wächst, und das auch nicht nur aus dem Mund von Lobbyisten, die sich von Berufs wegen über zu viel Regulierung aufregen. So zitierte das Handelsblatt schon im November den Chef der deutschen Finanzaufsicht, Marc Branson, „ich denke, die Taxonomie war gut gemeint, aber sie ist nicht der Weg zum Ziel“. Den Hauptnutzen hätten bislang die Beratungsunternehmen, denen die Regulatorik eine Sonderkonjunktur verschaffe.

Sogar im schweizerischen Davos ist die Regelungswut zum Thema des Weltwirtschaftsforums geworden, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am letzten Mittwoch berichtete. „ESG ist ein zu weit gefasster Begriff“, wird der Präsident der USB Asset Management, Suni Harford, zitiert. Stein des Anstoßes ist in dem umfassenden Nachhaltigkeitsbegriff der europäischen Regulatorik mit den Elementen Umwelt (E), Soziales (S) und Governance (G) das Thema Soziales. Während die Umweltziele noch hinreichend klar beschrieben werden und auch aus ökonomischer Sicht bedeutsam sind, weil der Schutz der natürlichen Ressourcen auch für ein erfolgreiches Wirtschaften notwendig ist, bleibt das „S“ vage und angreifbar. Hier gibt es keinen Kulturkreis- oder nicht einmal länderübergreifenden Konsens, wann Unternehmen mit ihren Beschäftigten fair und angemessen umgehen und sich als „sozial nachhaltig“ bezeichnen dürfen.

Überblick über komplexes Regelungswerk

Die Nachhaltigkeits-Regulatorik ist inzwischen weit gediehen und zum 1. Januar 2024 um eine Facette reicher geworden. In der Abbildung wird versucht, einen mit Sicherheit nicht vollständigen Überblick zu geben, welche Regulatorik von welcher Betroffenengruppe anzuwenden ist.

Zunächst geht es um alle Unternehmen der Realwirtschaft, einschließlich auch Finanzdienstleistungsunternehmen wie unter anderem Banken, Fondsgesellschaften, Lebensversicherungsunternehmen und deren Vermittlern. Diese Unternehmen sollen der Öffentlichkeit über ihre Nachhaltigkeit berichten, und zwar in einer standardisierten und damit untereinander vergleichbaren Weise. Das ist das Ziel der Regulierung der nichtfinanziellen Berichterstattung, wie sie bereits für bestimmte Großunternehmen und Finanzdienstleister seit 2014 vorgeschrieben und seit letztem Jahr auf zahlreiche weitere Unternehmen ausgedehnt worden ist. Die Corporate Sustainability Reporting Directive muss allerdings noch national umgesetzt werden und sieht eine gestaffelte Anwendung auf eine deutlich größere Anzahl von Unternehmen vor.

Letztlich werden aber wohl mehr oder weniger alle Unternehmen erfasst werden, selbst die eigentlich ausgeklammerten Kleinstunternehmen. Denn in der Lieferkette sind sie oft gezwungen, ihren von der CSRD erfassten Abnehmern Fragen zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Leistungen zu beantworten.

Besondere Pflichten für Finanzdienstleister

Finanzdienstleister, die Anlagen oder Versicherungsanlageprodukte konzipieren, vertreiben, vermitteln und beraten, sind zusätzlich durch die Offenlegungsverordnung („SFDR“) und Delegierte Verordnungen betroffen, die sich aus den allerdings bisher nicht entsprechend angepassten Richtlinien MiFID II und IDD ableiten.

Wesentliche Pflichten sind die Offenlegung der Strategien im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken auf der Homepage, zur Produktinformation und Beratung und Vertrieb. Außerdem musste der Produktgenehmigungsprozess bei der Konzeption von Anlagen und von Versicherungen um Nachhaltigkeitsrisiken erweitert werden, das aber gilt auch für alle Arten von Versicherungen mit und ohne Anlageelementen.

Definitionen der EU bisher nur für Umweltziele

Die Basis ist die Definition des Begriffs der Nachhaltigkeit durch die Taxonomieverordnung (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020R0852). Die beschäftigt sich allerdings nur mit Umweltzielen, also dem Buchstaben E von ESG. Sie befasst sich mit insgesamt sechs Umweltzielen.

Bis vor kurzem waren nur die ersten beiden davon – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – durch sogenannte Level II-Vorgaben – eine Delegierte Verordnung – näher ausdefiniert. Für die restlichen vier Umweltziele gibt es seit Anfang diesen Jahres ebenfalls eine Delegierte Verordnung. Im Ergebnis kann man deshalb sagen, dass die Umwelt-Nachhaltigkeit im Sinne der Europäischen Union definiert ist und Unternehmen sich danach selbst bewerten und die Ergebnisse offenlegen können. Das gilt auch für die Finanzdienstleister, die wiederum die nichtfinanziellen Berichte der Unternehmen auswerten und zum Beispiel den Anteil Taxonomie-konformer Anlagen bestimmen und ihren Kunden mitteilen.

Nachhaltigkeitskriterien Beenken 2024

Fokus auf Umweltziele und damit Taxonomiekonformität

Für Vermittler und Berater ist die Komplexität des Themas hoch. Gleichwohl ist es eine gute Botschaft, dass wenigstens die Umweltziele der EU nunmehr näher definiert sind. In der Anlage- bzw. Versicherungsanlage-Beratung muss der Kunde danach gefragt werden, ob er bestimmte Nachhaltigkeitspräferenzen hat. Darunter sind wahlweise oder kombinierbar die Mindestanteile der Taxonomie-Konformität, der ESG-Einstufung nach SFDR oder bestimmte Ausschlüsse von Nachhaltigkeitsrisiken („PAIs“).

Eine gute Idee könnte daher sein, dem Kunden zu erläutern, dass die Taxonomiekonformität und damit das Erfüllen von Umweltzielen inzwischen festgestellt werden kann und das Risiko von Greenwashing stark zurückgeht, anders als bei der sozialen Nachhaltigkeit. Die große Mehrheit der Kunden versteht unter Nachhaltigkeit ohnehin ausschließlich ökologische Aspekte oder enger gefasst die Bekämpfung des Klimawandels, wie eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt.

Das erklärte Ziel der EU ist, dass Europa bis 2050 klimaneutral wird und dafür private Anlagemittel umgeschichtet werden müssen, um die Transformation der Realwirtschaft zu finanzieren. Da wäre es kontraproduktiv, dieses Ziel wegen unklarer Begriffsdefinitionen von „Soziales“ und „Governance“ aus dem Auge zu verlieren. Besser, es lassen sich zunehmend Kunden für Anlagen in Taxonomie-konforme und damit Umwelt-Investments gewinnen, als dass das Thema Nachhaltigkeit als Angst vor falscher Beratung und Greenwashing-Vorhaltungen umgangen und dem Kunden nahegelegt wird, in der Beratung tunlichst „keine Nachhaltigkeitspräferenzen“ anzugeben.

Autor(en): Matthias Beenken

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