KI-Strategie muss alle Sparten einbeziehen

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Beziehungsstatus? Es ist nicht mehr kompliziert! Einst als Widersacher beäugt, versuchen sich traditionelle Versicherer und Insurtechs inzwischen im gegenseitigen Balltanz. Als Königsweg wird dabei die Ausrichtung auf Künstliche Intelligenz beworben, wie auf der Fachmesse “Insure NXT” zu sehen war.

Partystimmung in Köln, Buzzwords inklusive: Customer Centricity, Omnichannel, DevOps-Kultur, Mindset-Shift, Co-Creation oder Cross Industry-Partner. Willkommen auf der Versicherungsmesse “Insure NXT”. In persönlichen Gesprächen mit Ausstellern und Besucherinnen und Besuchern wurde trotz verführerisch klingender Worthülsen und rheinischer Fröhlichkeit schnell deutlich, dass es in Wirklichkeit um existenzielle Fragen geht: Sorgt der Wettbewerbsdruck, von innen und außen, dafür, dass Versicherer isolierte Risikoträger werden, die unsichtbar im Hintergrund operieren? 

Verliert die Assekuranz also ihre Kundenschnittstelle? Und wo bleiben situativ datengetriebene Produkte und Serviceleistungen, die Kundinnen und Kunden als innovativ und relevant wahrnehmen? Schlagwörter rund um Künstliche Intelligenz - wie Machine Learning, Deep Learning, neuronale Netze - zogen sich allenthalben wie ein roter Faden durch die Veranstaltung.

Zwischen Faszination und Ernüchterung

So sparten denn schon die Titel der Vorträge nicht mit Bescheidenheit: Von einer “KI-Revolution in der Versicherungsbranche” war die Rede, von “Demystifizierung und Nutzen generativer KI und ChatGPT” und der Frage “KI, Cloud, neue Kooperationen: Wie das klassische Geschäftsmodell Versicherung überlebensfähig bleibt”. Keine andere Branche sei aufgrund ihres Datenschatzes so prädestiniert für KI wie die Assekuranz, sagte Christina Ellringmann, Senior Partner bei Bain & Company. Joerg Bienert, Präsident des KI Bundesverbandes, blickte bereits auf die nächste technologische Welle: humanoide Roboter, die in menschlicher Form in nahezu jeder Umgebung eingesetzt werden könnten.

Signal Iduna-Vorständin Daniela Rode berichtete von einem KI-Wissensmanager in der Krankenversicherung, der noch dieses Jahr operativ einsatzbereit sein soll. Der Wissensmanager wurde mit Handbüchern, Arbeitsanweisungen und Bedingungen gefüttert. Für die Umsetzung hat Signal Iduna eine strategische Partnerschaft mit Google Cloud geschlossen. “Für eine erfolgreiche Implementierung generativer KI empfehle ich den Versicherungsunternehmen, mit einem gestuften Trainingsmodell für Mitarbeitende und Führungskräfte zu beginnen”, empfahl Hamidreza Hosseini, Geschäftsführer der KI-Firma Ecodynamics.

Vertrauen als Maßstab

So verschieden die Perspektiven möglicher Anwendungsfälle von KI auf die Branche beleuchtet wurden, so einig waren sich die Referentinnen und Referenten in der Aussage, dass KI keine temporäre Modeerscheinung ist - sie ist gekommen, um zu bleiben, hieß es unisono. Und dieser Einschnitt sei keineswegs nur auf die Assekuranz begrenzt. Kaum ein Lebensbereich werde in Zukunft ohne KI, der neuen Basistechnologie, auskommen. Breiter Konsens herrschte auch in der Bedingung für einen erfolgreichen KI-Einsatz: nämlich das Vertrauen der Kundinnen und Kunden zu gewinnen. 

Den scharfen Wettbewerb um dieses Vertrauen, so war auf den Messeständen zu hören, werden jene Unternehmen gewinnen, die es schafften, das Leben der Verbraucherinnen und Verbraucher zu erleichtern. Auch in der “kulturellen” Überlegung zeigten sich Vortragende und Fachbesucher überzeugt. Also, dass eine KI-Strategie nicht als bloße Technik-Strategie angesehen werden dürfe, sondern alle Sparten und Fachbereiche betreffe. Somit müsse eine wirksame KI-Strategie auch als Unternehmensstrategie verstanden und umgesetzt werden. Denn erst, wenn intern das Wissen und die Bereitschaft zur Veränderung anerkannt werde, könnten Versicherer von der “KI-Dividende” profitieren.

Deutliche Zurückhaltung von Investoren zu spüren

An zündenden Ideen der Insurtechs mangelt es jedenfalls nicht. Zum dritten Mal wurden auf der Messe die “Innovators Award” verliehen. Die Branchenpreise in drei Kategorien belohnten innovative Produkte, Services, Geschäftsmodelle und Projekte, die die Versicherungswirtschaft nachhaltig verändern können. Und Unterstüzung können die Gründerinnen und Gründer tatsächlich gut gebrauchen, wie sie berichteten. Sorgenfalten bereitet ihnen nämlich die Bürokratie, der Fachkräftemangel, ein schwieriger Zugang zu offenen Daten und seit 2022 aufgrund des Zinsanstiegs eine deutliche Zurückhaltung von Investoren. Die kindliche Trotzphase haben die Start-ups indes schon vor 2022 abgelegt, zielen die meisten doch ohnehin nicht auf eine direkte Konkurrenz mit einer Volllizenz der Aufsicht. 

Allein diese Tatsache erleichtert Kooperationen mit den etablierten Versicherern, die die Jungunternehmer aufs Tanzparkett locken: mit umfangreichen Datenmengen, hoher Solvenz und jahrzehntelanger Fachexpertise. Beim Messerundgang wurde deutlich, dass die Stärke der jungen, digitalen Unternehmen in der Spezialisierung liegt, einzelne Teile der Wertschöpfungskette umzukrempeln, zum Beispiel den Antragsprozess, vertriebliche Kundenzugangswege, das Schadenmanagement oder die Dokumentenverarbeitung. Konsolidierungstendenzen in der Start-up-Szene wollte niemand so recht bestätigen. Lieber sehen sich die Gründerinnen und Gründer als Chamäleon - bei ausbleibendem Erfolg wandeln sie ihr Geschäftsmodell um.

 

 

Autor(en): Umar Choudhry

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