Verschiedene Praxisbeispiele zeigen, dass die Versicherungsbranche im Bereich Schaden- und Leistungsbearbeitung nicht immer gut aussieht.
„Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln“, heißt es im § 1a VVG. Und als „Vertriebstätigkeit“ gilt auch „Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall“.
Einzelfälle, die sich aber einprägen
Als Fachjournalist und Lehrender im Bereich Versicherungswirtschaft mit wohlwollender Haltung zur Branche ist es interessant zu beobachten, wie diese Vorgabe des Gesetzgebers gelebt wird. Verschiedene Erfahrungen aus den vergangenen beiden Jahren fallen allerdings ernüchternd aus.
Es handelt sich dabei um Einzelfälle. Diese erheben keinerlei Anspruch auf Repräsentativität für alle Erfahrungen mit der Schadenregulierungsleistung von Versicherungsunternehmen. Insofern ist das nachfolgende Bild subjektiv. Aber es ist menschlich, von eigenen Erfahrungen auf diejenigen anderer Kunden zu schließen.
Und da es sich um Erfahrungen mit vier verschiedenen Versicherungsunternehmen handelt, die völlig unabhängig voneinander agieren, fällt es schwer, sich jedes einzelne Verhalten nachsichtig als rein zufälliges Pech einzuordnen.
Kunde verloren
Beispiel 1: Bei einem Umzug wurde ein wenige Monate zuvor erworbener Massivholztisch durch nachlässige Verpackung beschädigt. Der Schaden als solcher war unstrittig und wurde vom Spediteur der Haftpflichtversicherung gemeldet, der Tochtergesellschaft eines großen Versicherungskonzerns. Das Möbelhaus sowie ein Schreiner machten Angebote von gut 2.000 Euro für entweder die Wiederbeschaffung oder eine Reparatur.
Der Versicherer schaltete einen sogenannten Schadenmanager ein. Die Schadenbesichtigung erfolgte per Handy-Konferenz, in der die Beschädigungen des Tischs gezeigt werden sollten. Das mutete bereits sehr umständlich an.
Das anschließende „Gutachten“ kam auf eine Wertminderung von 150 Euro. Auf Nachhaken wurde dieses auf 250 Euro nachgebessert. Die Sache landete vor Gericht und wurde dort auf einen Großteil der tatsächlichen Schadensumme verglichen. Auf dem Weg dahin wurden Anwalts-, Gerichts- und Rechtsschutzkosten verursacht und zahlreiche belastende Gespräche geführt – unnötig und nicht einmal im „bestmöglichen Interesse“ des Versicherungsnehmers. Denn der hat im Ergebnis einen langjährig treuen Kunden verloren.
Vier Monate für einen Routineschaden
Beispiel 2: In einer Eigentumswohnung kam es zu einem Leitungswasserschaden, ausgehend von einer Nachbarwohnung. Auch hier schaltete ein anderer großer Versicherungskonzern ein Schadenmanagement-Unternehmen ein. Der Schaden war mit einer Öffnung des Fliesenspiegels, Trocknung und anschließender Reparatur von Fliesen und Bodenbelag zu beseitigen, für gute Handwerker ein relativ kleiner Routineauftrag.
Die Wiederherstellung in einen bewohnbaren Zustand dauerte allerdings vier Monate. Neben dem Personalmangel waren auch eine Reihe Abstimmungspannen ursächlich. Material wurde nicht rechtzeitig beschafft und musste personalintensiv nachbesorgt werden. Falsche Handwerker wurden zu bereits erledigten Gewerken entsandt anstelle der fälligen. Im bestmöglichen Interesse des Versicherungsnehmers war das nicht.
IT-Ausfall und Beleidigungen
Beispiel 3 betrifft zwei verschiedene private Krankenversicherungen, die mit überlangen Bearbeitungszeiten von Leistungsfällen sowie mit Ablehnungen und Kürzungen auffallen, die zumindest Fragen aufwerfen.
Und wenn beim Versuch telefonischer Klärung das Callcenter des einen Krankenversicherers auf einen Komplettausfall seiner Informationstechnik verweist oder bei dem anderen Versicherer der Anrufende auf Fragen zu einer Leistungsablehnung hin von der Versicherungsmitarbeiterin beleidigt wird, kann man auch das kaum als ein Handeln im bestmöglichen Interesse verstehen.
Wer schnell zahlt, zahlt doppelt
Die Versicherungsbranche sollte sich keine Blößen bei ihren Schaden- und Leistungsprozessen geben. Seit mindestens zehn, eher 15 Jahren wird über eine Digitalisierung der Branche gesprochen und von neuartigen Schadenprozessen der Insurtech-Neugründungen berichtet. Das sollte überlange Bearbeitungszeiten ebenso reduzieren wie in Routinefällen eine effiziente und kundengerechte Abwicklung gewährleisten.
In der Berufsausbildung der Versicherungskaufleute Ende der 1980er Jahre gab es dazu einen Merksatz: „Wer schnell zahlt, zahlt doppelt.“ Auch wenn man damals noch von Kundenerwartungen statt heute von Customer Experience oder UX gesprochen wurde, ist dieser Merksatz ausweislich aller Marktforschungsergebnisse (z.B. Bain, PWC) immer noch richtig. Es wird Zeit ihn (wieder) mit Leben zu füllen.
Autor(en): Matthias Beenken