Der Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW) schaut regelmäßig nach, wie so die Stimmung unter seinen Mitgliedern ist. Jüngst hat er dies wieder getan mit seiner GVNW-Mitgliederumfrage. Ein wichtiges Ergebnis: Die Stimmung ist schlecht. Der Grund: Der Dialog mit den Industrieversicherern ist gestört.
Schon der Titel des „Renewal 2020/2021“ – „Verhärtender Markt“ - lässt erahnen, dass aktuell nicht alles rund läuft. In den Interviews für den Report wurden diverse Punkte abgefragt, die einen unschönen Trend in der Industrieversicherung erkennen lassen (siehe hierzu auch die unten stehende Grafik): Höhere Prämien, reduzierte Kapazitäten, gestörte Kommunikation. Die Untersuchungsergebnisse im Einzelnen. Höhere Prämien mussten 100 Prozent der Mitglieder 2020 verkraften, reduzierte Kapazitäten mussten 84,1 Prozent der Befragten hinnehmen. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, kommentierte Alexander Mahnke von der Siemens AG und Vorsitzender des GVNW-Vorstandes, diesen hohen Prozentsatz der Kapazitätskürzungen für die Betroffenen.
Ähnlich hoch auch der Prozentsatz beim Punkt „ Einführung zusätzlicher Ausschlüsse und andere Deckungseinschränkungen“: 73, 2 Prozent. Auch noch ein anderer Prozentsatz sagt viel darüber aus, wie das aktuelle Verhältnis der Industrielenker und der Versicherungsverantwortlichen ist. 58,5 Prozent der versicherten Unternehmen klagen über eine „schlechte und/oder verspätete Kommunikation mit den Versicherern“. Nur bei zwei Punkten sieht es nicht ganz so düster aus, bei der Schadenregulierung und der (Nicht-)verfügbarkeit von Versicherungsdeckungen. So klagen in der Umfrage 31,7 Prozent darüber, dass Versicherungsdeckungen nicht verfügbar sind und eine „schwierige Schadenregulierung“ monieren 14,6 Prozent der Industrieunternehmen.
Großteil sieht Reputation der Industrieversicherer im Keller
Diese schwierigen Rahmenbedingungen für die Industrieunternehmen führen dazu, dass sie den Industrieversicherern ein schlechtes Zeugnis ausstellen: 79 Prozent der Befragten gaben an, dass sie „die Reputation der Industrieversicherer“ als „sehr schlecht“ einstufen, als „schlecht“ bewerteten sechs Prozent der GVNW-Mitglieder die Versicherer und nur magere zehn Prozent vergaben hier ein „befriedigend“.
Knapp 100 GVNW-Mitglieder haben an der Umfrage teilgenommen, meistens Vertreter aus großen Firmen, auch DAX-Unternehmen, und Firmen aus dem gehobenen Mittelstand. Der Verband ist zufrieden mit der Teilnehmerbereitschaft, weniger natürlich mit den Ergebnissen der Untersuchung.
Müssen endlich wieder auf Augenhöhe verhandeln
Auch Christian Böhm von der Freudenberg SE und stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes zeigt sich bei der Präsentation der Umfrage missgestimmt über das Verhältnis mit der Versicherungswirtschaft. Er meint, dass „der Versicherungsmarkt dringend seine Reputation verbessern muss“ und die versicherungsnehmende Wirtschaft sowie die Versicherer wieder „auf Augenhöhe“ verhandeln müssen.
Vor allem die Beitragserhöhungen und/oder die Kapazitätseinschränkungen bei der Cyber-Versicherung stimmen Böhm missmutig, so würden er und viele seiner Kollegen aus der Industrie oft nicht nachvollziehen können, warum sie schon wieder höhere Beiträge entrichten müssten oder Leistungseinschränkungen hinnehmen müssten. Die Preise bei den Cyber-Policen würden immer mehr nach oben getrieben werden. Sicher seien sie in ihren Anfängen noch sehr günstig kalkuliert worden, vielleicht zu günstig eingepreist worden, der aktuelle Anstieg sei aber nicht mehr nachvollziehbar. Auch die andere Entwicklung, dass der Preis zwar gleichbleibe, das Versicherungsangebot aber Schritt für Schritt gestutzt werde, Kapazitäten manchmal auf eine Viertel der Anfangsleistung heruntergefahren würden, sei „nicht mehr nachzuvollziehen“.
Auch Antje Mertens von der Mahle GmbH und Mitglied des GVNW-Vorstandes bekümmert die aktuelle „Art und Weise der Kommunikation“ zwischen beiden Parteien und fordert ein baldiges „Zurück an den runden Tisch“. Diese Rückkehr zum Dialog sei vor allem deshalb so wichtig, weil es seitens der Versicherer an einer „vernünftigen Risikobewertung mangele“. Hier gebe es Handlungsbedarf. Es sei sicher für alle Beteiligten recht aufwändig, das Risiko richtig einzuordnen, die versicherungsnehmende Wirtschaft sei zu diesem Kraftakt aber bereit. Bei der Bewertung des Risikos sei es auch wichtig „sich den gesamten Kostenblock anzusehen“, ergänzte Mahnke.
Immer mehr Industrieunternehmen suchen nach Alternativen
In Anbetracht des immer schwierigeren Verhältnisses zwischen den Playern, Industrieunternehmen und Versicherer, prüfen wohl immer mehr Industrieunternehmen, welche alternativen Risikotransferlösungen ihnen offenstehen. In der aktuellen Umfrage würden gut zwei Drittel der Firmen – 66,3 Prozent - genauer gesagt nach derartigen Lösungen suchen. Eine davon sind Captives. Eine derartige Form des Alternativen Risikotransfers bringt den Unternehmen zwar mehr Unabhängigkeit und lässt sie bei ihrer Preisbestimmung flexibler agieren, sie ist bei Gründung und auch im laufenden Geschäft aber oft mit großem Aufwand verbunden – vor allem in Deutschland.
Was sind eigentlich Captives?
"Ein Captive ist eine Versicherungsgesellschaft, die von einem nicht in der Versicherungswirtschaft tätigen Unternehmen (oder von einer Unternehmensgruppe) gegründet wurde. Form des Alternativen Risikotransfers zur (konzerneigenen, aber rechtlich externen) Selbstversicherung. Eine Erstversicherungs-Captive (Direct Insurance Captive) übernimmt direkt die Risiken des Unternehmens beziehungsweise Konzerns. Eine Rückversicherungs-Captive (Reinsurance Captive) übernimmt die Risiken des Unternehmens beziehungsweise Konzerns über einen zugelassenen Erstversicherer im Rahmen eines Frontings. Eine Pure Captive deckt ausschließlich die Risiken des eigenen Unternehmens. Werden auch Risiken fremder Unternehmen versichert, so wird von einer Broad Captive beziehungsweise Open-Market Captive gesprochen.
Ziel dieser Sicherungsform: Neben der Gewinnung von (zusätzlicher) Deckungskapazität auch für neuartige Risiken und eines Zugangs zum internationalen beziehungsweise globalen Rückversicherungsmarkt als Versicherungsgesellschaft ist es vorrangiges Ziel, das Kapitalmanagement zu optimieren. Hierzu zählen Effizienzgewinne, indem das Unternehmen bestimmte Risiken selbst trägt und damit durch Preisvorteile bei der Selbstversicherung von Konzernrisiken Kosten einspart" (Begriffsdefinition laut Gabler Versicherungslexikon).
Makler bei den Industrieunternehmen gut angesehen
Immerhin einen Lichtblick gibt es wohl in der leicht verfahrenen Situation: das Verhältnis der Industrieunternehmen zu ihren Maklern. Diesen wird seitens der GVNW-Mitglieder ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Details: 31 Prozent der befragten schätzen die Leistung ihres betreuenden Maklers als „sehr gut“ ein, ordentliche 45 Prozent erachten die Maklerleistung als „gut“, mit der Note "befriedigend" bedenken 20 Prozent der Unternehmen ihren Makler, nur vier Prozent sind nicht zufrieden und stufen ihr Maklerunternehmen als „schlecht“ ein (siehe hierzu auch die unten stehende Grafik).
Bildquellen: GVNW, Versicherungsmagazin
Autor(en): Meris Neininger