Der Visa-Missbrauch, der jetzt Bundesaußenminister Joschka Fischer zu schaffen macht, war bei Versicherern in Deutschland ein offenes Geheimnis. Sie reagierten teilweise mit Ablehnung des zuvor automatisch gewährten Reiseschutzes für Einreisewillige in die Bundesrepublik. Vor allem später illegal Eingeschleuste aus der Ukraine hatten die Affäre ins Rollen gebracht.

Die Allianz, ihre Reiseversicherungs-Tochter Elvia, die HanseMerkur-Versicherung und der ADAC gehörten zum Kreis derer, die zu Einreise-Visa für Osteuropäer Versicherungsschutz gewährten. Als erster war der ADAC bereits seit 1995 involviert.

Der Automobilclub klinkte sich damals in eine Initiative des Weltverbands der Automobilclubs AIT in Genf ein. Das so genannte „Carnet de touriste“ vermittelte der ADAC als Reisedokument. Das Versicherungsprodukt, mit dem auch mögliche Abschiebekosten gedeckt werden sollten, kam direkt vom AIT. Die Police wurde von diversen Automobilclubs direkt in Osteuropa – zunächst vornehmlich im Baltikum – verkauft. Die Schadenquote von 0,02 Prozent blieb gering, selbst als das Geschäft in die Ukraine überschwappte.

Dann kam der Versicherungsvermittler Heinz Martin Kübler 2001 auf die Idee, über seine Reiseschutz AG in Weinsberg / Baden-Württemberg einen „Reiseschutzpass für Osteuropäer“ zu konzipieren. Was lag näher, als sich das Deckungskonzept von der Allianz zu holen, bei der er von 1984 bis zum Jahr 2002 als Generalvertreter unter Vertrag stand. Angeregt wurde er durch den Erlass des Bundesaußenministeriums, das seit 2001 solche Dokumente erlaubte.

Die Haftpflicht-Versicherung für Küblers Reiseschutz-Pass kam von der Allianz, die Reisekranken-Versicherung von der Elvia. Für Rückführungskosten bürgte der damalige Allianz Generalvertreter gegenüber dem Amt von Joschka Fischer selbst.

Die Allianz hegte anfangs kein Misstrauen, dass irgendetwas an dem Reiseschutzdokument nicht stimmen könnte. „Wir haben uns an der offiziellen Politik der Bundesregierung orientiert“, lautet die Allianz Erklärung. Es sollte ursprünglich nur um den Austausch von Wissenschaftlern und Studentengruppen gehen. Bei der Allianz betrachtete man die Anfänge als Pilot-Projekt, zumal es sich um ein sehr kleines Geschäftsaufkommen gehandelt habe.

Doch Mitte des Jahres 2002 kamen bei der Allianz Zweifel auf. Die Seriosität Küblers stand auf dem Prüfstand. Im September 2002 meldeten sich schließlich die Ermittlungsbehörden bei der Allianz und hinterfragten Küblers Konzept. Das bewirkte die Kündigung Küblers im November desselben Jahres. Es war aufgefallen, dass Kübler seinen Dokumentationspflichten zu den Reisen gegenüber der Allianz nicht mehr nachkam. Abrechnungs-Unregelmäßigkeiten vergrößerten das Problem. Das bedeutete das Ende der Geschäftsbeziehung.

Während sich die Allianz konsequent und unmittelbar von Kübler und seinen Reiseschutz-Passaktivitäten trennte, dauerte es noch weitere fünf Monate, bis das Bundesaußenministerium reagierte. Ende März 2003 schließlich kam der Erlass heraus, der die Unzulässigkeit solcher Reiseschutz-Versicherungen als alleiniges Reisedokument für Osteuropäer manifestierte.

Mit der HanseMerkur in Hamburg trat im Jahr 2002 ein weiterer Versicherer auf die Bildfläche. Sowohl Innen- als auch Außenministerium waren auf die mittelständische Assekuranz-Gesellschaft zugekommen, damit sie das Geschäft mit den Reiseschutzpässen aufgreife. Alles verlief reibungslos. Die Pässe wurden über Makler und Reisebüros vertrieben. Und da auf Veranlassung der beiden Bundesministerien die Vertriebspartner der HanseMerkur vom Bundesgrenzschutz „durchleuchtet“ und für gut befunden wurden, nahm das Geschäft seinen Lauf. Ein HanseMerkur Vorstandsmitglied schaute sogar bei der Visa-Stelle der deutschen Botschaft in Kiew vorbei. Ungereimtheiten konnte er nicht feststellen.

Heute gilt Heinz Martin Kübler als eine der Schlüsselfiguren in der Affäre um den Visa-Missbrauch im großen Stil. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages versucht sich in der Feststellung, ob sich Kübler Fehler und Versäumnisse von Regierungsmitgliedern bis hin zu Joschka Fischer zunutze gemacht haben könnte. Wie sich der Bundesaußenminister aus der Affäre ziehen wird, bleibt abzuwarten.

Autor(en): Ellen Bocquel