Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) haben sich mit Zweifelsfragen der Weiterbildung von Vermittlern und Vertriebsangestellten auseinandergesetzt.
„Fragen und Antworten zur Weiterbildungsverpflichtung nach § 34d Absatz 9 Satz 2 Gewerbeordnung (GewO) beziehungsweise
§ 48 Absatz 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)“ heißt das mit Stand 15. Oktober 2020 erschienene Papier von DIHK und BaFin. Darin geht es um die seit 23. Februar 2018 bestehende Pflicht im Vertrieb, sich mindestens 15 Stunden jährlich weiterzubilden.
Das Papier soll „leben“ und auch weiter angepasst werden. Daneben entstehen interne Anwendungshinweise, die die Industrie- und Handelskammern ihrer Arbeit zugrunde legen. Versicherer müssen im Rahmen von BaFin-Prüfungen damit rechnen, an dieser Auslegung des geltenden Rechts gemessen zu werden.
Schadenregulierung ist Vertrieb
Und die Festlegungen lassen durchaus aufhorchen. Beispiel Schadenregulierung: Nach einer bei den Versicherern populären Meinung zählt diese Tätigkeit nicht unter den Begriff „Versicherungsvertrieb“.
Das passt aber nicht zu der Definition „Versicherungsvertrieb“ der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD), die sowohl in das Versicherungsaufsichts- als auch das Versicherungsvertragsgesetz übernommen wurde. Dort heißt es: „Zur Vertriebstätigkeit gehören (...) Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall“. Dies sehen auch DIHK und BaFin so und schreiben daher, „bei der Schadensbearbeitung und -regulierung handelt es sich grundsätzlich um Versicherungsvertrieb“.
Bei produktakzessorischen Vermittlern, die nach § 34d Absatz 6 GewO von der Erlaubnis auf Antrag befreit wurden, sehen die Behörden grundsätzlich keine Weiterbildungspflicht – jedenfalls in Höhe von 15 Stunden. Ganz ohne Weiterbildung geht es dort nicht. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie „nur ein geringes Spektrum an Versicherungen anbieten“, reicht es aus, wenn „sie sich regelmäßig in einem Umfang von weniger als 15 Stunden pro Kalenderjahr fortbilden“.
Mehr als nur Sachkundeprüfungs-Inhalte anerkennenswert
Im Vorfeld der FAQ-Erstellung, bei der auch die Versicherungsbranche angehört wurde, war lange darum gerungen worden, welche Inhalte anerkennenswert sind. So gab es eine aus dem ersten, nicht realisierten Entwurf der Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV) abgeleitete Meinung, dass nur Bildungsinhalte anzuerkennen seien, die der Anlage 1 VersVermV entsprechen. In der Anlage geht es allerdings nur um Bildungsinhalte, die in der Sachkundeprüfung abgefragt werden.
Sie decken jedoch nicht das ganze Spektrum der Tätigkeiten im Versicherungs- und Rückversicherungsvertrieb ab, beispielweise Industrie-, Gewerbe- und Rückversicherungen. Das kommt nun in dem Satz, „die Anlage 1 ist jedoch nicht abschließend“, zum Ausdruck. Bei anderen Inhalten muss allerdings ein „Bezug zur Versicherungsvermittlung/-beratung“ erkennbar sein. Es wird zudem auf die Anlage 1 VAG verwiesen, in der ein kompletter Katalog aller Versicherungssparten enthalten ist.
Keine Werbe- und Motivationsveranstaltungen
Bei Produktinformationsveranstaltungen verlangen die Behörden, dass es sich „nicht um reine Verkaufs- oder Werbeveranstaltungen handelt“. Auch „Maßnahmen zur Umsatzplanung oder -motivation von vertrieblich Tätigen“ sind nicht anerkennenswert.
Vorsicht ist bei sonstigen Bildungsveranstaltungen geboten. „Weiterbildungen ohne konkreten Bezug zur Versicherungsvermittlung und -beratung“ können nicht anerkannt werden, heißt es unter Nennung von Beispielen wie „Themen zum Gesundheitsmanagement oder der mentalen Unterstützung des Lernenden“ oder „allgemein betriebswirtschaftliche Weiterbildungen zur Unternehmensführung“.
Diese Formulierungen stellen einen Kompromiss zwischen einer teilweise verfolgten Ablehnung nahezu aller Bildungsmaßnahmen, die unter dem Begriff „Agenturmanagement“ bekannt sind, und umgekehrt einer großzügigen Auslegung des Begriffs „personale Kompetenz“ dar, die in § 7 VersVermV ausdrücklich als Bildungsinhalt genannt wird.
Nahezu keine Ausnahmen möglich
Bildungsinhalte aus anderen Finanzdienstleistungsbereichen wie Finanzanlagen, Immobiliardarlehen oder Bausparen können nicht anerkannt werden. Die Versicherungswirtschaft hatte sich das eigentlich gewünscht. Ausgenommen sind nur die Bildungsanteile, die mit Versicherungen zu tun haben, beispielsweise Fonds bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Dieser Versicherungsanteil muss „in dem Weiterbildungsnachweis/Bescheinigung des Weiterbildungsanbieters separat ausgewiesen werden“.
Weiter wird klargestellt, dass es nahezu keine Ausnahmen von der Weiterbildungspflicht gibt. Selbst ein später Beschäftigungsbeginn im Jahr, eine längere Erkrankung, Mutterschutz- und Elternzeit sind keine Gründe, nicht die 15 Stunden Weiterbildung pro Kalenderjahr nachzuweisen. Nur wenn „nahezu das komplette weiterbildungspflichtige Kalenderjahr“ aus solchen Gründen ausfället, kann unter Umständen eine Einzelfallentscheidung getroffen werden, auf den Nachweis zu verzichten.
Kooperation zwischen Bundes- und Landesaufsicht funktioniert
Neben vielen weiteren Details in den zwölf Seiten umfassenden FAQs ist noch etwas anderes bemerkenswert: Nämlich, dass es überhaupt ein solches Papier gibt.
In der aktuellen Auseinandersetzung über das vom SPD-geführten Bundesfinanzministerium vorgelegten Entwurf eines BaFin-Aufsichtsübertragungsgesetzes für Finanzanlagenvermittler und -berater wird der Eindruck vermittelt, als wäre eine Zusammenarbeit zwischen der Bundesbehörde BaFin und den Landesbehörden IHKn geradezu unmöglich. Denn genau das wurde in der Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags Ende Mai als Alternative vorgeschlagen: Die Aufsicht über die Finanzanlagenvermittler und -berater könnte – einheitlich in allen Bundesländern – bei den IHKn liegen, aber die BaFin ihre Erkenntnisse aus der Beaufsichtigung von Banken und anderen Kapitalanlagegesellschaften in ein gemeinsames Gremium einbringen, um eine Einheitlichkeit der Beaufsichtigung sicherzustellen.
Die FAQs zur Weiterbildung der Versicherungsvermittler sind sogar ohne ein solches, offizielles Gremium entstanden. Man muss nur miteinander reden (wollen). Diese Erkenntnis könnte der Großen Koalition helfen, aus der Sackgasse herauszufinden, in der sie sich in Sachen Aufsichtsübertragungsgesetz festgefahren hat.
Autor(en): Matthias Beenken