Die Europäische Kommission hat Ende letzter Woche zwei Vorschläge für Delegierte Rechtsakte zur IDD publiziert. Einer betrifft den Produktgenehmigungsprozess ("POG – product oversight and governance"), der andere die Versicherungsanlageprodukte (IBIP – insurance-based investment products).
Die beiden Entwürfe Europäischer Rechtsverordnungen werden nun dem Europäischen Parlament vorgelegt und müssen von diesem freigegeben werden. Sie werden dann unmittelbar für alle Versicherungsvermittler wirksam, ohne dass es einer weiteren nationalen Umsetzung bedarf.
Die EU-Kommission betont in Sachen POG das Proportionalitätsprinzip und bezieht sich dabei auf eine Differenzierung zwischen den Versicherungsanlageprodukten und sonstigen Versicherungsprodukten. IBIPs gelten offensichtlich als anspruchsvollere Produkte und unterliegen daher einer schärferen Regulierung als die für den Massenmarkt gedachten, sonstigen Versicherungen.
Wann ist ein Vermittler ein Produktentwickler?
Die Rechtsakte ist sowohl von Versicherern als auch von Vermittlern zu beachten, die entweder selbst Produkte zum Vertrieb an Kunden entwickeln, oder die von Versicherern oder anderen Vermittlern entwickelte Produkte in den Vertrieb aufnehmen – kurz gesagt von Allen.
Vermittler gelten dann als Produktentwickler, wenn sie in der Gesamtbetrachtung aller ausgeübten Tätigkeiten eine Entscheiderrolle einnehmen. Das ist dann der Fall, wenn der Vermittler autonom die wichtigsten Leistungen, Preis, Risiken und Zielgruppen des Produkts definiert. Das dürfte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Makler ein eigenes Deckungskonzept entwickelt und dieses Versicherern anbietet, die die Risikotragung übernehmen sollen, ohne an dem Deckungskonzept noch etwas Entscheidendes zu ändern.
Nicht als Hersteller gilt ein Vermittler, wenn er lediglich aus vorhandenen Bausteinen eines Versicherers einen individuellen Versicherungsschutz zusammenstellt, oder wenn er eine vorhandene Deckung mit seinem Namen personalisiert.
Eine gewisse Brisanz liegt darin, dass Vermittler, die eigene Deckungskonzepte entwickeln, einen schriftlichen Vertrag mit dem Versicherer aufsetzen müssen, in dem geregelt wird, wer genau welche Verantwortung im POG-Prozess übernimmt. Es wird sicher für deutsche Juristen eine spannende Frage werden, inwieweit sich das mit dem Sachwalterstatus des Maklers vereinbaren lässt. Vielleicht wird aber auch die These vom Doppelrechtsverhältnis des Maklers sowohl zum Kunden als auch zum Versicherer neu belebt werden müssen. Die ist zuletzt in der Diskussion um die Honorarberatung und Honorarvermittlung und deren vermeintliche Neutralität etwas in Vergessenheit gegangen.
Anforderungen an Produktgenehmigung
Der Produktgenehmigungsprozess muss eine Dokumentation vorsehen, die der Aufsichtsbehörde auf Verlangen vorgelegt werden kann. Produkte sollen die Ziele, Wünsche und Besonderheiten der Kunden abbilden und Nachteile für die Kunden vermeiden.
Der Zielmarkt muss granular genug definiert sein, eine einfache Beschreibung als „alle geschäftsfähige Kunden“ dürfte in der Regel nicht ausreichen. Besonders berücksichtigt werden sollen die Kenntnisse, die bei den Kunden vorausgesetzt werden können.
An die Produktentwickler selbst werden hohe Anforderungen gestellt. Diese können wohl nur erfüllt werden, wenn der Versicherer in Marktforschung investiert. Auch ein entsprechender qualitativer und wenn möglich quantitativer Produkttest werden gefordert, damit sichergestellt wird, dass das Produkt dauerhaft die Kundenbedürfnisse erfüllt.
Weiterbildung zu jedem neuen Produkt
Auch bei der Auswahl der Vermittler ist besondere Sorgfalt gefordert. Alle Vermittler, die das Produkt vertreiben dürfen, müssen über das Produkt und seine Besonderheiten informiert und in die Lage versetzt werden, die geeigneten Kunden auszuwählen. Hier schließt sich ein Kreis zur Weiterbildungsanforderung der Richtlinie IDD.
Auch Vermittler, die nicht selbst Produkte entwickeln, müssen sich an eine zusätzliche Dokumentationsanforderung gewöhnen. Sie sollen die ihnen überlassenen Unterlagen der Versicherer schriftlich aufbewahren und auf Verlangen der Aufsichtsbehörde vorlegen können. Gerade Makler wird das vor nicht kleine Herausforderungen stellen, sorgfältig alle Unterlagen zu archivieren und laufend zu aktualisieren, die sie von verschiedensten Versicherern erhalten.
Wenn Vermittler Verkaufsaktionen durchführen, müssen sie dabei die Produktinformationen beachten, ob beispielsweise die dort genannten Zielgruppen und Bedürfnisse mit denen zusammenpassen, die im Rahmen der eigenen Aktion angesprochen werden.
Besondere Anforderungen an den Vertrieb der IBIPs
Die Produktentwicklung von IBIPs kann einen potenziellen Interessenkonflikt darstellen, wenn ein Vermittler auf die Preisgestaltung einschließlich einzurechnender Vertriebskosten Einfluss nehmen kann. Alle Vertreiber sollen Verhaltensregeln ("Policy") für den Vertrieb von IBIPs aufstellen, wobei die Proportionalität zur Größe des Vertreibers betont wird.
Wenig verwunderlich, muss sich diese Policy mit Fragen der Vergütung und Anreize aller am Vertriebsprozess beteiligten Personen, aber auch beispielsweise mit der Zulässigkeit von Geschenken und sonstigen Zuwendungen an Kunden befassen. Für die deutsche Umsetzung spannend wird die Frage sein, ob eine Rabattierung einer Bruttopolice, die von einem Honorarberater vermittelt wird, mit einer solchen Policy vereinbar ist, denn die Höhe der Rabattierung kann sehr wohl die Entscheidung des Kunden maßgeblich beeinflussen. So könnte ein Kunde eine für ihn objektiv weniger gut geeignete Bruttopolice einer Nettopolice oder sogar auch einer anderen Bruttopolice vorziehen, weil der Rabatt besonders hoch erscheint.
Der Entwurf der Rechtsakte warnt davor, sich zu sehr allein auf Offenlegungen zu verlassen wie derjenigen, dass der Vermittler Provisionen erhält. Die Offenlegung sei nur letztes Mittel, besser sei von vornherein Interessenkonflikte zu vermeiden.
Welche Anreize problematisch sind
Als besonders problematisch gelten Anreize. Sie haben grundsätzlich nachteilige Auswirkungen auf die Dienstleistung. Wer Anreize einsetzt, muss diese sorgfältig prüfen und positive wie negative Wirkungen abwägen. Dazu werden eine Reihe Kriterien erwähnt.
Vor allem sollen Anreize nicht eingesetzt werden, ganz bestimmte Produkte anzubieten, wenn vergleichbare andere Produkte besser geeignet sind. Bonifikationen und ähnliche Anreize sollen nicht nur auf Umsatz- und Absatzgrößen, sondern auch auf qualitativen Kriterien beruhen. Der Wert des Anreizes darf nicht unverhältnismäßig zum Wert des Produktes sein. Provisionen sollen nicht ausschließlich oder überwiegend bei Vertragsschluss (Abschlussprovision) gezahlt werden, und eine adäquate Stornohaftungsregelung sollte vorhanden sein. Schwierig sind Staffelprovisionen, die das Überschreiten bestimmter Volumina belohnen.
Beratungsdokumentation von entscheidender Bedeutung
Weiter befasst sich die Rechtsakte mit den Informationen, die sich Vertreiber vom Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung beschaffen müssen. Eine sorgfältige Dokumentation aller erhobenen Informationen, Beratungsergebnisse und unter Umständen ausgesprochenen Warnungen ist von besonderer Bedeutung.
Bei Gruppenversicherungen werden Regeln eingefordert, inwieweit Informationen von den versicherten Personen beschafft werden müssen, die auf die Ausgestaltung der Versicherung selbst keinen Einfluss nehmen.
Der Vertrieb von IBIPs wird jedenfalls nicht leichter werden. In der nationalen Umsetzung wird man immer im Auge behalten müssen, welche Konsequenzen das für die so wichtige private Vorsorge haben wird. Zudem könnte die zweigeteilte Aufsicht in Deutschland – BaFin und IHKn – dazu führen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Es rächt sich einmal mehr, dass die Bundesregierung nicht bereit war, die Umsetzung der IDD ähnlich sorgfältig vorzubereiten wie seinerzeit die VVG-Reform, für die eine eigene Expertenkommission eingesetzt worden war.
Autor(en): Matthias Beenken