Eine Berufsunfähigkeitsversicherung sollte umgedeckt werden – dabei aber gab es Streit, der erst in zweiter Instanz vor Gericht entschieden wurde.
In dem vom Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG Saarbrücken) mit Urteil vom 15. Februar 203 (Az. 5 U 36/22, r+s 15/2023, 672-675) entschiedenen Fall ging es um eine 2003 abgeschlossene Kapitallebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Versicherungsvertreter des Versicherers empfahl 2017 dem Kunden eine Umstellung auf einen besseren, neuen Berufsunfähigkeitstarif.
Dafür nahm der Vertreter, der als Zeuge vor Gericht gehört wurde, eine „Kündigung“ des bisherigen Vertrags auf. Er vermerkte aber auch im Antrag des neuen Vertrags unter „Besondere Vereinbarungen“ den Hinweis, „Bei Annahme des eingereichten Antrages ohne Ausschlüsse oder sonstige Modifikationen, wird die bestehende SBU gekündigt. Falls es zu Ausschlüssen oder ähnlichem kommt, ist dieser Antrag nichtig.“
Problematische Gesundheitsfragen
Das wäre eigentlich auch alles unproblematisch gewesen. Allerdings wurden die Gesundheitsfragen im Ersatzantrag nur teilweise bejaht. Nachdem der Versicherer den Antrag angenommen und die Kündigung des Vorvertrags angenommen hatte, erklärte er 2019 den Rücktritt von dem neuen Vertrag.
Denn durch Unterlagen der Krankenkasse des Versicherten, die von der Agentur eingereicht worden waren, hatte er von verschiedenen Vorerkrankungen erfahren, die im Antrag verschwiegen wurden. In der Urteilsbegründung werden unter anderem Rückenbeschwerden, Haut- und Augenerkrankungen sowie psychosomatische Erkrankungen erwähnt.
Die „Kündigung“ war gar keine
Schon das Landgericht hatte in erster Instanz den Kläger unterstützt und festgestellt, dass durch den Rücktritt vom neuen Vertrag gleichzeitig die „Kündigung“ des Altvertrages hinfällig und dieser wieder in Kraft zu setzen ist. Diese Ansicht vertrat auch das Berufungsgericht.
Es setzt sich dabei ausführlich mit der vermeintlichen Kündigung und der Frage auseinander, ob sozusagen die Beendigung des älteren und der Neuabschluss des aktuellen Vertrags voneinander getrennte Vorgänge seien. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass es hier nicht auf die möglicherweise unglücklich ausgedrückte Formulierung „Kündigung“ ankomme. Vielmehr müsse „nach dem erkennbaren Parteiwillen“ entschieden werden.
Und der lautete, dass der Altvertrag gerade nicht „gekündigt“ werden sollte, „sondern vielmehr seine einvernehmliche Aufhebung und unmittelbar daran anschließende Ersetzung durch einen neuen Vertrag“ beabsichtigt war. Der Begriff „Kündigung“ dürfe „nicht allzu wörtlich verstanden werden“.
Alternativ Schadenersatz wegen Pflichtverletzung
Selbst wenn es anders zu bewerten gewesen wäre, führt das OLG aus, hätte der Versicherer Schadenersatz zu leisten gehabt. Denn er war nach § 6 Absatz 4 VVG verpflichtet gewesen, aus Anlass des Angebots eines Ersatzvertrags den Kunden zu dieser Umdeckung zu beraten. Das gelte ganz besonders dann, wenn der Kunde „erkennbar falsche Vorstellungen über den abzuschließenden Vertrag oder den Umfang des Versicherungsschutzes“ hatte oder sonst mit Missverständnissen wegen der komplexen Materie zu rechnen gewesen war.
Betont wird, dass gerade bei Umdeckungen dem Kunden „deutlich vor Augen geführt werden“ muss, „dass eine vorzeitige Kündigung mit gravierenden Nachteilen – einer Einschränkung des Versicherungsschutzes oder gar dem vollständigen Verlust – verbunden sein kann“.
Insofern habe der Versicherer ihre Beratungspflichten verletzt und sein überlegenes Wissen über die Rechtswirkung der vermeintlichen Kündigungs-Erklärung für sich behalten. Das Ergebnis ist damit kein anderes, als wenn nicht ohnehin davon auszugehen ist, dass es zu gar keiner „Kündigung“ des Altvertrags gekommen ist.
Anlass der Beratung dokumentiert
Hilfreich war in der Angelegenheit zusätzlich, dass der Versicherungsvertreter ein Beratungsprotokoll erstellt hatte. Dort war als „Anlass/Grund der Beratung“ angegeben worden, dass eine „Umstellung“ des bisherigen Vertrags auf ein „neueres Bedingungswerk“ beabsichtigt sei, zudem wurde auf das anhängende, separate Kündigungsschreiben verwiesen.
Durch das Beratungsprotokoll hatte der Versicherer nach Meinung des Gerichts klar erkennen können – das Wissen seines Versicherungsvertreters wird ihm zugerechnet –, dass tatsächlich keine isolierte Kündigung des Altvertrags, sondern eine Aufhebung unter der auflösenden Bedingung beabsichtigt war, dass der Neuvertrag zustande kommt.
Vorsicht bei Umdeckungen – und immer dokumentieren
Das Urteil belegt einmal mehr, wie hoch die Anforderungen an die beratenden Parteien bei Umdeckungen sind. Aber es zeigt auch, wie wertvoll ein aussagekräftiges Beratungsprotokoll ist. Denn man darf annehmen, dass es nicht nur für den Kunden wichtig war nachweisen zu können, was sein eigentlicher Wille hinter der vermeintlichen „Kündigung“ und dem Neuabschluss eines Ersatzvertrags war.
Auch für den Versicherungsvertreter dürfte es eine große Erleichterung gewesen sein, dass er trotz seines vielleicht ungeschickten Vorgehens seinen Kunden nicht im Regen stehen lassen musste mit allen negativen Folgen für die Kundenzufriedenheit und die Mund zu Mund-Propaganda in gemeinsamen, sozialen Netzwerken. Wundern muss man sich über den Versicherer, der es lieber auf ein jahrelanges Gerichtsverfahren über zwei Instanzen ankommen ließ, anstatt selbst zum richtigen Schluss zu kommen, was der mutmaßliche Wille der Parteien war.
Autor(en): Matthias Beenken