Einfache Verhaltensprinzipien statt komplexer Regelwerke forderte der Grünen-Politiker Gerhard Schick bei einer Veranstaltung. An Selbstheilungskräfte der Wirtschaft mag er aber eher nicht glauben.
Bei dem Seminar "Ehrbarer Kaufmann - Historisches Relikt oder erfolgreiche Selbstregulierung?", zu dem die Fachhochschule Dortmund und der Verein Ehrbarer Versicherungskaufleute e.V. (VEVK) eingeladen hatten, mischten sich Studierende, Praktiker und Prominenz aus den Verbänden. Gerhard Schick, Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, nutzte die Gelegenheit zu einem kritischen Blick auf die Entwicklung der modernen Wirtschaft.
Ketten und Großkonzerne verdrängen den regionalen Mittelstand
"Die Marktwirtschaft funktioniert nicht mehr", so der promovierte Finanzwissenschaftler. So sei zum Beispiel der klassische Einzelhandel durch Ketten weitgehend verdrängt worden. Großkonzerne entziehen sich der Steuerpflicht. Internetkonzerne monopolisieren den Zugang der Menschen zur Informations-Infrastruktur, obwohl die Infrastruktur eigentlich eine Aufgabe des Staates sei. Man müsse sich vorstellen, dass alle Straßen privat errichtet würden, und jeder frei entscheiden könne, ob man eine Straße nutzen darf, und zu welchen Bedingungen.
Auch beklagte Schick die überbordende Regelungswut der Politik und wünschte sich einfache, dafür aber umfassende Regelungen. Ein Beispiel dafür ist die Allgemeine Wohlverhaltenspflicht der Versicherungsvertriebsrichtlinie. Dieser prinzipienbasierte Ansatz sei besser geeignet, in einer komplexen Welt eine staatliche Ordnung durchzusetzen und nicht ständig den Unternehmen hinterherzujagen, die immer neue Vermeidungs- und Umgehungsstrategien entwickeln, wie er am Beispiel der Cum-ex-Geschäfte kritisierte.
Ist Selbstregulierung ein Zeichen für fehlende gesetzliche Regulierung?
Allerdings wurde auch große Skepsis bei dem Politiker deutlich, dass sich eine Wirtschaft aus sich selbst heraus regulieren könne. Insofern begrüßte er zwar die Idee des VEVK, eine Selbstregulierung durchzuführen, deshalb habe er sich auch für den Beirat zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig verwies er aber auch darauf, dass der Bedarf für eine Selbstregulierung seiner Ansicht nach meist ein Zeichen für eine fehlende gesetzliche Regelung sei, und diese sei schon allein wegen der Wettbewerbsgerechtigkeit vorzuziehen.
Mit welchen Forderungen die Grünen in Sachen Finanz- und Versicherungsmarktregulierung in den Bundestagswahlkampf ziehen werden, mochte Schick noch nicht verraten. Aber die Vorschläge aus dem Fraktionsbeschluss von 2012 zur letzten Bundestagswahl dürften dabei weiter eine Rolle spielen.
Druck der Aktionäre
Die Diskussion wurde zusätzlich vom Vizepräsidenten des VEVK und Versicherungsvertreter Peter Pietsch, Allianz-Vorstand Dr. Rolf Wiswesser und Rechtsanwalt Professor Dr. Friedrich Graf von Westphalen durch Beiträge angeregt. Sie zeigten einerseits ein hohes Bedürfnis der Vermittler wie auch der Versicherer nach einer ethischen Grundhaltung, die sich notfalls gegen abweichende Erwartungen Außenstehender durchsetzen sollte.
Als solche Erwartungen erleben Vermittler die Vertriebssteuerung durch Vergütungen, Verkaufsvorgaben und Incentives der Versicherer. Versicherer dagegen sehen sich unter anderem dem Druck von Aktionären ausgesetzt. Die Befristung von Vorstandsverträgen, aber auch die kurzfristige, an der Sanierung der eigenen Haushalte interessierte Politik, widersprechen dem Gedanken der Nachhaltigkeit, kritisierte Wiswesser. Nachhaltig zu handeln werde beispielweise durch die Zinspolitik oder kurzfristige Steuersubventionen konterkariert.
Ehrbarkeit ist mehr als sich nur ans Recht zu halten
"Recht ist das ethische Minimum", hob Graf von Westphalen dagegen hervor. Wer sich ehrbar verhalten wolle, müsse offenbar mehr leisten als sich nur ans Recht zu halten. Und dies könne niemals kollektiv eingefordert, sondern nur individuell geleistet werden.
Die Redner zeigten Beispiele des ehrbaren Verhaltens auf. "Ehrbarkeit muss man ständig trainieren", hob Pietsch hervor. Als Ausschließlichkeitsvertreter müsse er sich mit dem Produktangebot des Marktes auseinandersetzen und seinen Kunden nicht einfach nur verkaufen, was das eigene Unternehmen vorgibt. Ein ständiger Dialog mit dem Unternehmen sei notwendig, um auf eine bedarfsgerechte Anpassung des Produktangebots hinzuwirken. Dies wird leichter, wenn man einen erfolgreichen Vermittlungsbetrieb aufbaut, wie in seinem Fall mit immerhin zehn Mitarbeitern.
Verantwortung der Versicherer
Wiswesser rief die Studierenden auf, ihren künftigen Arbeitgebern Fragen zu stellen, ob sie ein Leitbild besitzen, und welchen Stellenwert Nachhaltigkeit darin besitzt. Gerade auch vor dem Hintergrund seiner eigenen beruflichen Erfahrung in Vorstandspositionen bei AWD und Ergo bekannte er freimütig, dass ein Vorstand zwar sehr wohl die Regeln einer Unternehmenskultur festlegen und vorleben kann, aber nicht für jeden einzelnen Mitarbeiter jederzeit ein ehrbares Verhalten garantieren könne.
Das ginge allenfalls mit extremer Kontrolle, was aber dem für ehrbare Kaufleute wichtigen Grundprinzip des Vertrauens widerspreche. Wiswesser bekannte sich klar zur Verantwortung, die Versicherer dafür tragen, ob sich Verkäufer und Vermittler ehrbar verhalten.
Work-Life-Balance der Arbeitnehmer
Graf von Westphalen riet Arbeitgebern dazu, ihre Mitarbeiter gut zu behandeln und für eine Work-Life-Balance zu sorgen, damit sie ein ehrbares Verhalten mittragen können. Incentives und Bonifikationen sollte man ablehnen, wenn damit nur Druck und Zwang erzeugt wird.
Alle Redner unterstützten den Appell des Grünen-Politikers Schick, sich mehr für das Gemeinwohl und den Rechtsstaat einzusetzen. Wer sich nicht politisch engagiere, dürfe sich nicht wundern, wenn Kräfte die Überhand bekommen, die jedem freiheitlich-demokratischen System misstrauen. Auch das passt zum Anspruch des Ehrbaren Kaufmanns, seinen beruflichen Erfolg zu nutzen, um sich für das Gemeinwesen einzusetzen.
Bei dem Seminar "Ehrbarer Kaufmann - Historisches Relikt oder erfolgreiche Selbstregulierung?", zu dem die Fachhochschule Dortmund und der Verein Ehrbarer Versicherungskaufleute e.V. (VEVK) eingeladen hatten, mischten sich Studierende, Praktiker und Prominenz aus den Verbänden. Gerhard Schick, Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, nutzte die Gelegenheit zu einem kritischen Blick auf die Entwicklung der modernen Wirtschaft.
Ketten und Großkonzerne verdrängen den regionalen Mittelstand
"Die Marktwirtschaft funktioniert nicht mehr", so der promovierte Finanzwissenschaftler. So sei zum Beispiel der klassische Einzelhandel durch Ketten weitgehend verdrängt worden. Großkonzerne entziehen sich der Steuerpflicht. Internetkonzerne monopolisieren den Zugang der Menschen zur Informations-Infrastruktur, obwohl die Infrastruktur eigentlich eine Aufgabe des Staates sei. Man müsse sich vorstellen, dass alle Straßen privat errichtet würden, und jeder frei entscheiden könne, ob man eine Straße nutzen darf, und zu welchen Bedingungen.
Auch beklagte Schick die überbordende Regelungswut der Politik und wünschte sich einfache, dafür aber umfassende Regelungen. Ein Beispiel dafür ist die Allgemeine Wohlverhaltenspflicht der Versicherungsvertriebsrichtlinie. Dieser prinzipienbasierte Ansatz sei besser geeignet, in einer komplexen Welt eine staatliche Ordnung durchzusetzen und nicht ständig den Unternehmen hinterherzujagen, die immer neue Vermeidungs- und Umgehungsstrategien entwickeln, wie er am Beispiel der Cum-ex-Geschäfte kritisierte.
Ist Selbstregulierung ein Zeichen für fehlende gesetzliche Regulierung?
Allerdings wurde auch große Skepsis bei dem Politiker deutlich, dass sich eine Wirtschaft aus sich selbst heraus regulieren könne. Insofern begrüßte er zwar die Idee des VEVK, eine Selbstregulierung durchzuführen, deshalb habe er sich auch für den Beirat zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig verwies er aber auch darauf, dass der Bedarf für eine Selbstregulierung seiner Ansicht nach meist ein Zeichen für eine fehlende gesetzliche Regelung sei, und diese sei schon allein wegen der Wettbewerbsgerechtigkeit vorzuziehen.
Mit welchen Forderungen die Grünen in Sachen Finanz- und Versicherungsmarktregulierung in den Bundestagswahlkampf ziehen werden, mochte Schick noch nicht verraten. Aber die Vorschläge aus dem Fraktionsbeschluss von 2012 zur letzten Bundestagswahl dürften dabei weiter eine Rolle spielen.
Druck der Aktionäre
Die Diskussion wurde zusätzlich vom Vizepräsidenten des VEVK und Versicherungsvertreter Peter Pietsch, Allianz-Vorstand Dr. Rolf Wiswesser und Rechtsanwalt Professor Dr. Friedrich Graf von Westphalen durch Beiträge angeregt. Sie zeigten einerseits ein hohes Bedürfnis der Vermittler wie auch der Versicherer nach einer ethischen Grundhaltung, die sich notfalls gegen abweichende Erwartungen Außenstehender durchsetzen sollte.
Als solche Erwartungen erleben Vermittler die Vertriebssteuerung durch Vergütungen, Verkaufsvorgaben und Incentives der Versicherer. Versicherer dagegen sehen sich unter anderem dem Druck von Aktionären ausgesetzt. Die Befristung von Vorstandsverträgen, aber auch die kurzfristige, an der Sanierung der eigenen Haushalte interessierte Politik, widersprechen dem Gedanken der Nachhaltigkeit, kritisierte Wiswesser. Nachhaltig zu handeln werde beispielweise durch die Zinspolitik oder kurzfristige Steuersubventionen konterkariert.
Ehrbarkeit ist mehr als sich nur ans Recht zu halten
"Recht ist das ethische Minimum", hob Graf von Westphalen dagegen hervor. Wer sich ehrbar verhalten wolle, müsse offenbar mehr leisten als sich nur ans Recht zu halten. Und dies könne niemals kollektiv eingefordert, sondern nur individuell geleistet werden.
Die Redner zeigten Beispiele des ehrbaren Verhaltens auf. "Ehrbarkeit muss man ständig trainieren", hob Pietsch hervor. Als Ausschließlichkeitsvertreter müsse er sich mit dem Produktangebot des Marktes auseinandersetzen und seinen Kunden nicht einfach nur verkaufen, was das eigene Unternehmen vorgibt. Ein ständiger Dialog mit dem Unternehmen sei notwendig, um auf eine bedarfsgerechte Anpassung des Produktangebots hinzuwirken. Dies wird leichter, wenn man einen erfolgreichen Vermittlungsbetrieb aufbaut, wie in seinem Fall mit immerhin zehn Mitarbeitern.
Verantwortung der Versicherer
Wiswesser rief die Studierenden auf, ihren künftigen Arbeitgebern Fragen zu stellen, ob sie ein Leitbild besitzen, und welchen Stellenwert Nachhaltigkeit darin besitzt. Gerade auch vor dem Hintergrund seiner eigenen beruflichen Erfahrung in Vorstandspositionen bei AWD und Ergo bekannte er freimütig, dass ein Vorstand zwar sehr wohl die Regeln einer Unternehmenskultur festlegen und vorleben kann, aber nicht für jeden einzelnen Mitarbeiter jederzeit ein ehrbares Verhalten garantieren könne.
Das ginge allenfalls mit extremer Kontrolle, was aber dem für ehrbare Kaufleute wichtigen Grundprinzip des Vertrauens widerspreche. Wiswesser bekannte sich klar zur Verantwortung, die Versicherer dafür tragen, ob sich Verkäufer und Vermittler ehrbar verhalten.
Work-Life-Balance der Arbeitnehmer
Graf von Westphalen riet Arbeitgebern dazu, ihre Mitarbeiter gut zu behandeln und für eine Work-Life-Balance zu sorgen, damit sie ein ehrbares Verhalten mittragen können. Incentives und Bonifikationen sollte man ablehnen, wenn damit nur Druck und Zwang erzeugt wird.
Alle Redner unterstützten den Appell des Grünen-Politikers Schick, sich mehr für das Gemeinwohl und den Rechtsstaat einzusetzen. Wer sich nicht politisch engagiere, dürfe sich nicht wundern, wenn Kräfte die Überhand bekommen, die jedem freiheitlich-demokratischen System misstrauen. Auch das passt zum Anspruch des Ehrbaren Kaufmanns, seinen beruflichen Erfolg zu nutzen, um sich für das Gemeinwesen einzusetzen.
Autor(en): Matthias Beenken