Drohen Göttinger Gruppe Zahlungen in Milliardenhöhe?

Weit mehr als eine Milliarde Euro Anlegergelder soll die Göttinger Gruppe im letzten Jahrzehnt eingesammelt haben. Viele Kunden fordern ihr Geld zurück. Über den Verbleib des Geldes wird vielerorts gerätselt. Die neue Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Grauen Kapitalmarkt lässt nun viele Anleger hoffen. Die Göttinger Gruppe, Finanzdienstleister mit zahlreichen Tochtergesellschaften hauptsächlich im so genannten Grauen Kapitalmarkt tätig, steht seit Jahren in der Kritik sich betrogen fühlender Anleger.

Mit einem modifizierten Schneeballsystem war die Vertriebsmethode der Göttinger seit langem verglichen worden. Mit etlichen Gerichtsverfahren versuchte man, gegen das Schmuddel-Image anzugehen.

Nicht immer erfolgreich, wie eine Entscheidung des 1. Senats des BGH (Az. 1 BvR 2414/96) jetzt zeigte. Denn danach ist endgültig rechtskräftig, dass die Göttinger Gruppe als "Abzock-Gruppe" bezeichnet werden darf. Die Göttinger hatten zuvor Verfassungsbeschwerde gegen ähnliche Vorverurteilungen beim Landgericht und Oberlandesgericht Köln eingelegt. Vergeblich, wie der 1. Senat befand.

Viele Tausend hoffen
Doch damit nicht genug: Nach einem BGH-Urteil vom 17. Juli 2004 hoffen viele Tausend Anleger, dass sie die Göttinger Gruppe erfolgreich auf Schadenersatz verklagen könnten. Insgesamt geht es um 1,2 Milliarden Euro, die circa 117.000 Bundesbürger bei Unternehmen der Göttinger Gruppe, insbesondere bei der Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG angelegt haben sollen.

Dazu muss man wissen, dass die Göttinger Gruppe nach Aussagen aus dem eigenen Haus die Hauptgesellschaft Securenta AG derzeit abwickelt. Unter dem Konzern-Dach ist übrigens auch die Gutingia Lebensversicherung AG angesiedelt, die nach Insider-Kenntnis auf einen Käufer aus traditionellen Versicherungskreisen hofft.

Mehr Geld für Provisionen und Emissionsgelder
Über den Verbleib der Anlegergelder bei der Göttinger Gruppe weiß man nichts Genaues. Erst vor wenigen Tagen wurden in der ARD-Sendung Plus-Minus erhebliche Zweifel angemeldet, ob das Geld – wenn auch nur in Teilen – an die Kunden zurückgezahlt werden könnte, denn angeblich sollen über 700 Millionen Euro nicht in Immobilien und Beteiligungen geflossen sein. Statt in Anlagen zu investieren, sollen die Verwaltungseinheiten der Göttinger Gruppe mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Rinnewitz an der Spitze mehr Geld für Provisionen und so genannte Emissionskosten verbraucht haben, als den Kunden bewusst gewesen sei.

Schon vor fünf Jahren hatte der Rechtsvorgänger der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, wegen dieser Vermutung Anzeige erstattet. Doch alle Ermittlungen liefen ins Leere. Damals hatte die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Braunschweig dahingehend argumentiert, dass die Secu-Rente (nach dem ehemaligen Pensions-Spar-Plan eines der Hauptprodukte der Göttinger) kein strafbares Schneeballsystem beinhalte. Klagen gegen "fehlerhafte (atypische) stille Beteiligungen", über die die Secu-Rente erwirtschaftet werden sollte, gingen für die Anleger ohne finanziellen Erfolg aus.

Verbraucherschützer hoffen auf Trendwende
Inzwischen lässt das BGH-Urteil vom 17. Juli 2004 (II ZR 354/02) die Sachlage in neuem Licht erscheinen. Mit dem Urteil werden die Rechte der Anleger am Grauen Kapitalmarkt gestärkt. "Eine Trendwende in der Rechtssprechung" frohlockt der Bundesverband der Verbraucherzentralen, denn jetzt haben Anleger, die nicht vollständig über die Risiken einer Anlage aufgeklärt wurden, einen direkten Schadenersatz-Anspruch gegenüber den so genannten Initiatoren der Stillen Gesellschaft. Tochtergesellschaften der Göttinger Gruppe traten als Initiatoren von Gesellschaften auf, an denen die Anleger "fehlerhafte stille Beteiligungen" erwerben konnten.

Die Richter beim BGH in Karlsruhe wollen diese mangelhaft aufgeklärten Anleger nun mit dem Personenkreis gleich stellen, der solche für sie extrem ungünstige Verträge niemals abgeschlossen hätte.

Erstmals Recht auf Schadenersatz
Vor wenigen Tagen hat nun das Oberlandesgericht Braunschweig erstmals die neue BGH-Rechtsprechung in einem Berufungsverfahren (3 U 118/03) angewandt. Damit erhielt eine Anlegerin Recht zugesprochen auf Schadenersatz. Die Klägerin hatte im September 2000 rund 21.000 Euro angelegt und Monatsraten von 160 Euro bei einem Vertriebspartner der Göttinger Gruppe, der Acura Vermögensanlagen GmbH, gezeichnet.

Die Richter machten deutlich, dass die Acura-Kundin auf das damals bereits laufende Ermittlungsverfahren hätte hingewiesen werden müssen, zumal die Untersuchungen auf der Anzeige der Bundesaufsichtsbehörde fußten. Mit Verweis auf die grundsätzliche Bedeutung des BGH-Urteils wird in diesem Fall eine Revision nicht zugelassen.

Securenta-Spezialist Lachmair macht Mut
In den vielen hundert Klagen gegen Unternehmen der Göttinger Gruppe hatten die Anleger meist Pflichtverletzungen der Anlagevermittler und Vertriebspartner der Göttinger geltend gemacht. Der Münchner Rechtsanwalt Wilhelm Lachmair, der in der Branche inzwischen als Securenta-Spezialist gilt, und auch das jüngste Urteil für seine Mandantin gewann, sieht für alle Verträge, die nach Oktober 1999 mit der Göttinger Gruppe geschlossen wurden, große Chancen der Anfechtbarkeit. Die Anleger könnten grundsätzlich auf Rückzahlung klagen, da eine Vielzahl der Verträge ohne adäquate Risikoberatung abgeschlossen worden sein.

Autor(en): Marianne Storck

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