Der ESGberater steht in den Startlöchern

740px 535px
Grüne beziehungsweise nachhaltige Finanzprodukte sind 2017 keine Exoten mehr, sondern werden, wenn auch nur von einer Minderheit, nachgefragt. Etwa 20 Prozent der privaten Finanzentscheider investieren in nachhaltige Kapitalanlagen, die soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen. Dies haben Wirtschaftswissenschaftler der Uni Kassel auf Basis einer repräsentativen Befragung ermittelt. Obwohl der Bankensektor in puncto Nachhaltigkeit deutlich weiter als die Versicherungsbranche ist, gibt es auch immer mehr grüne Versicherungsprodukte. In wenigen Monaten wird die erste (vom Umweltministerium geförderte) Weiterbildung zu den Themen "Nachhaltigkeit" und "Klimawandel" für Versicherungsvermittler an den Start gehen: der ESGberater, Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen. Versicherungsmagazin sprach mit Marcus Reichenberg und Anna Schirpke (im Bild) von der Greensurance Stiftung über das Angebot.

Für welche Zielgruppe ist die Weiterbildung konzipiert worden?
Die Weiterbildung zum ESGberater, Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen ist für die Versicherungsbranche entwickelt worden, da die Kundennachfrage nach grünen Versicherungsprodukten und -lösungen immer mehr steigt. Beteiligen können sich alle ausgebildeten Versicherungskaufleute nach § 34 ff. der Gewerbeordnung und Entscheidungsträger der Versicherungswirtschaft. Interessant ist die Weiterbildung insbesondere auch für alle, die mit Schadenregulierung in Berührung kommen.

Wie hoch sind die Kosten?
Wir bieten ein so genanntes Sorgenlospaket für blended learning an. Die Teilnehmer/innen erhalten Unterkunft und Verpflegung während der Präsenzphasen und Zugang zur e-learning-Plattform
"gutberaten.education". Los geht es mit einer Basis-Schulung für Klimastrategen und der Kenner-Weiterbildung für Privatkundenberatung. Die Kosten für das Basis- und Kennermodul belaufen sich auf 2.100 Euro. Zwei weitere Module ("Könner" und "Experte") können anschließend besucht werden. "Könner" beschäftigen sich mit der Firmenkundenberatung im Sinne einer "nachhaltigen Entwicklung",
"Experte" mit der Beratung rund um die "grüne Vorsorge". Die Zusatzmodule können jeweils für 900 Euro gebucht werden.

Welchen Umfang hat die Weiterbildung und welchen Abschluss erhalten die Teilnehmer?
Die drei Module werden jeweils über drei Monate hinweg berufsbegleitend angeboten. Pro Woche sollten circa vier Stunden Lernzeit inklusive Webinar-Teilnahme eingeplant werden. Nach Abschluss einer erfolgreich abgelegten Prüfung erhalten die Teilnehmer/innen den Titel zum "ESGberater, Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen".

Bieten Sie die Weiterbildung auch Inhouse für Versicherungsunternehmen an?
Ja, generell wollen wir diese Möglichkeit anbieten. Anfragen haben wir auch bereits erhalten und
möchten das Weiterbildungsprogramm nach der Pilotphase als Inhouse-Schulungen anbieten.

Wie viele Teilnehmer haben sich bislang angemeldet und wann startet der erste Kurs?
Die Pilotphase startet Anfang Juni 2017. Wir beginnen die berufliche Spezialisierung gerade bekannt zu machen. Bisher haben wir fünf Anmeldungen. Es sind also noch Plätze frei!

Wie lange wird das Pilotprojekt laufen?
Die Entwicklung und pilothafte Umsetzung der Weiterbildung wird durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefördert. Das Projekt läuft seit dem 1. Januar 2016 und wird am 31. Dezember 2017 enden. Ab 2018 wollen wir dann die Weiterbildung, je nach Anzahl der Anmeldungen verstetigen. Teilnehmer und Teilnehmerinnen der ersten Stunde dürfen sich somit dieses Jahr freuen, zu den First-Mover zu gehören.

Sie wollen, dass die Teilnehmer in der Präsenzphase die "Klimanpassung erleben". Wie soll das konkret aussehen?
Durch unser langjähriges Engagement im Bereich der Nachhaltigkeit haben wir gemerkt, dass das Thema nicht ausschließlich erlernt werden kann. Wir wollen die Weiterbildung erlebbar gestalten. Daher ist uns die Präsenzphase sehr wichtig. Erlebbar bedeutet konkret: Klimaschutz zum Anfassen durch Moorbegehung, Klimawandel beobachten am Beispiel des Starnberger Sees, Klimaanpassung betrachten durch visualisierte Rückstauebenen, mit Elektroautos durch die oberbayerische Landschaft stromern und biotarisches essen und trinken bei geselligem Austausch über die Ziele der nachhaltigen Entwicklung.

Können Sie Beispiele für Lerninhalte der drei Zertifikate nennen?
Die Gefahren des Klimawandels gehen uns alle an und insbesondere die Versicherungswirtschaft, die das Risiko in ihren Büchern trägt. Der "Kenner" erfährt beispielsweise versicherungstechnische Praxisanwendung durch das Skript des Hochwasser Kompetenz Center (HKC), mit Erläuterung zur Erstellung des Hochwasser-Pass durch ESGberater. Geeignet für die präventive Schadenminderung und ein wichtiges Thema, wie die Starkregenereignisse in Simmbach am Inn und Polling i. OB 2016 gezeigt
haben.

Im "Könner", wo Firmenkunden im Fokus stehen, betrachtet der Aktuar Professor Michael Fröhlich wie Nachhaltigkeit in die aktuarische Berechnung einfließen kann. Und Frau Dr. Meinhold aus München
schreibt über die GreenTech-Branche und deren Ansprache als potenzielle Versicherungsnehmer mit gutem Risiko.

Im "Experten", geht es um die "grüne Vorsorgeberatung". Wir zeigen auf, wie sich der Deckungsstock der Versicherungswirtschaft im Zeiten des Divestments entwickelt, wie ESG-Kriterien zu bewerten sind, wir sprechen über best-in-class. Aber auch über Transparenz, Fairness und Wirkung von Kapitalanlagen.

Wie ist die Resonanz aus der Versicherungsbranche auf die neue Fortbildung?
Die Rückmeldung ist abhängig vom jeweiligen Stakeholder. Während die Verbandsaufgabe für eine Unterstützung der "nachhaltigen Entwicklung" der Versicherungswirtschaft noch nicht gesehen wird - der GDV hat eine Kooperation mit der vom Umweltministerium geförderten Weiterbildungsinitiative abgelehnt, was wir sehr bedauern - , merken wir, dass der Erstversicherungsmarkt sich immer schneller in Richtung Nachhaltigkeit bewegt. Angetrieben selbstverständlich auch, durch die CSR-Verpflichtung ab
2017. Wir registrieren auch, dass das Thema "Nachhaltigkeit" bei Kunden, Medien und Versicherungsberatern an Bedeutung gewonnen hat. Noch vor ein paar Jahren wäre eine solche Weiterbildung undenkbar gewesen. Heute stoßen wir auf großes Interesse und freuen uns über die vielen Gespräche.

Warum sollten sich ausgerechnet Vermittler mit dem Klimawandel befassen? Bei dem Stichwort Klimawandel fallen mir spontan eher die Kfz-Hersteller oder die industrielle Landwirtschaft ein.
Die Versicherungsbranche ist mit als erste vom Klimawandel betroffen. Derzeit agiert die Branche aber noch nicht dementsprechend. Der Vermittler hat durch seine Beratung einen persönlichen Kontakt zum Kunden und die Möglichkeit diesen in Bezug auf Risikoprävention durch Klimaanpassung zu beraten. Prävention ist im Bereich der Versicherung ja bereits längst etabliert. Man nehme nur das Beispiel Feuermelder und Brandschutz. Dies muss auf den Bereich der Hochwasser-, Hitze-, Dürrevorsorge etc. ausgeweitet werden. Davon profitieren Versicherungsnehmer, Versicherungsberater und Erst-, wie Rückversicherer. Die Zusammenhänge zu verstehen ist ein ganz zentrales Thema der Weiterbildung zum ESGberater. Natürlich werden in der Weiterbildung auch die Mobilität und sehr ausführlich die Landwirtschaft abgedeckt. Bei der Mobilität zeigen wir auf, welche grünen Produkte es beispielsweise für Stromer am Markt bereits gibt. Im Bereich der Landwirtschaft gehen wir auf Warnsysteme, Hagel- und Dürreversicherungen ein.

Müssen nachhaltige Versicherungen teurer sein als konventionelle?
Im Gegenteil! Denn wie bereits zur Risikoprävention geschrieben, sollen Versicherungsnehmer, die sich umfassend mit Klimaschutz und Klimaanpassung beschäftigt haben, eine geringere Prämie zahlen. Wir hoffen, dass wir mit der Graswurzelbewegung zum ESGberater die Versicherungsbranche ein Stück dahingehend verändern können.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass grüne Finanz- und Versicherungsprodukte noch ein Nischendasein führen?
Die grünen Banken in Deutschland haben in den vergangenen Jahren ein außerordentliches Wachstum verzeichnet. Auch wenn vielen Menschen bisher nicht bewusst war, welchen Einfluss Banken und Versicherer vor allem durch ihre Kapitalanlagen auf unsere Gesellschaft haben, steigt das Bewusstsein
erkennbar immer mehr an. Der Grund liegt vielleicht auch darin, weil es sich bei Versicherungsgeschäften um immaterielle Güter handelt. Ein Bio-Apfel hat nicht nur ein Siegel, er schmeckt auch anders. Da der Apfel mittlerweile in jedem Supermarkt erhältlich ist, kennen viele das EU-Bio-Siegel und vertrauen diesem.

Bei Finanz- und Versicherungsprodukten ist die Informationslage noch sehr schlecht. Kunden beschäftigen sich seltener mit dem Thema Versicherung und ein Wechsel ist aufwendiger, als einen Apfel zu kaufen. Es gibt jedoch immer mehr Menschen in Deutschland, die ihren Einfluss auf die
Gesellschaft auch durch ihre Bank- und Versicherungsgeschäfte geltend machen wollen. Und das ist die Zukunft. Bekanntlich hält die Versicherungsbranche in Deutschland über 1,5 Billionen Euro an Kapitalanlagen. Entscheiden ist: Wird das Geld rückwärtsgewandt in Mineralölkonzerne, Waffen, grüne Gentechnik oder vorwärtsgewandt in erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft und nachhaltige Mobilitätssysteme angelegt? Wir glauben, dass die grüne Finanz- und Versicherungsbranche einen großen Beitrag zu einer nachhaltigen Transformation der Gesellschaft leisten kann und muss.


Die Weiterbildung
Für die Weiterbildung zum ESGberater ( ESG = englische Abkürzung für "Environment Social Governance", also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) konnten bereits mehr als 30 Dozenten u.a. Germanwtach e.V., das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und die B.A.U.M. Group gewonnen werden. Die Themen reichen von einem Status Quo in Bezug auf Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche, über grüne Produkte zu Risikoprävention im Zuge des Klimawandels bis zu Fachthemen wie ESG, Faire Altersvorsorge, aktuarische Bewertung der Nachhaltigkeit, Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit in der Branche bis hin zu Kundenansprache im Nachhaltigkeitsmarkt. Hier gibt es weitere .

Marcus Reichenberg ist Gründer und Geschäftsführer, Anna Schirpke ist Geschäftsführerin der Greensurance Stiftung.

Autor(en): Alexa Michopoulos

Zum Themenspecial "Nachhaltigkeit"

 

Alle Branche News