Ein Betrugsskandal aus den USA wirft ein Schlaglicht auf die Probleme der von Wissenschaft und Versicherungspraxis als Lösung vieler Probleme bezeichneten Versicherungsform.
Die sogenannte parametrische Versicherung findet in der wissenschaftlichen Literatur viel Beachtung. Das Besondere bei ihr ist, dass sie automatisch leistet, wenn ein bestimmter, naturwissenschaftlich bestimmbarer Indexwert erreicht wird.
Besonders überzeugend ist das bei Wetter-bezogenen Versicherungen. Bestimmte Mengen von Regen oder Hagel oder anderen messbaren Wetterereignissen können als Trigger festgelegt werden, um eine Versicherungsleistung auszulösen. Das ist für landwirtschaftliche Versicherungen interessant, bei denen ein individuell ausgelöster Schadenfall nicht immer leicht bestimmbar wäre. Aber auch Hauseigentümer können so gegen Wetterrisiken geschützt werden.
Alte Idee, moderne Technik
Die Idee der parametrischen Versicherung reicht weit über 100 Jahre zurück, schreiben die US-amerikanischen Autoren Xiao Lin und W. Jean Kwon in einem 2020 erschienenen Aufsatz in der Wissenschaftszeitschrift Risk Management and Insurance Review. 1949 wurde ein wissenschaftliches Konzept für eine solche Versicherung in den USA veröffentlicht, mit dem Landwirten geholfen werden könnte, wenn die Regenmenge unter einen bestimmten Wert fällt und dadurch Ernteausfälle drohen. Erst seit den 1990ern aber seien solche Versicherungen auch in der Praxis eingesetzt worden, nachdem die Messtechniken verbessert wurden. In jüngster Zeit werden auch Blockchain-basierte parametrische Versicherungen diskutiert und entwickelt.
Als Vorteile werden vor allem die Flexibilität und Einfachheit der Anwendung hervorgehoben. Im Schadensfall muss keine aufwändige Ermittlung und Bewertung stattfinden, ob und in welchem Ausmaß ein versichertes Ereignis vorliegt. Vielmehr wird bei Über- oder Unterschreiten eines bestimmten Indexwertes die Versicherungsleistung fällig, ohne dass es weiterer Nachweise bedarf. Die Schadenregulierungskosten sind dadurch besonders niedrig. Das Moralische Risiko, also eine Verhaltensänderung hin zu riskanterem Verhalten nach Versicherungsabschluss, sei geringer als in klassischen Versicherungen.
Sollen vor allem zur Unterstützung armer Bauern dienen
Vielfach wurden parametrische Versicherungen für Entwicklungsländer vorgeschlagen und auch angewendet, um vor allem armen Bauern zu helfen. Sogenannte Mikroversicherungen mit sehr kleinen Beiträgen und Leistungen sind durch die geringen Betriebs- und Regulierungskosten einer parametrischen Versicherung überhaupt erst wirtschaftlich darstellbar. Aber auch in den USA spielen solche Deckungen eine wichtige Rolle, und zwar in Verbindung mit einer staatlichen Hilfe zur Unterstützung der Landwirtschaft.
Private Versicherungen zum Beispiel gegen Dürre werden staatlich bezuschusst. Das machte allein 2022 insgesamt 19 Milliarden US-Dollar aus, so die Zeitung The Colorado Sun. Verkauft werden Ernteversicherungen durch lokale Versicherungsvertreter. Sie zahlen automatisch, wenn weniger als 80 Prozent des langjährigen Durchschnitts an Regen in einem bestimmten Gebiet und einer bestimmten Zeit fällt.
Manipulierte Regenmesser
Dass aber das Moralische Risiko keineswegs so gering ist wie in theoretischen Abhandlungen behauptet, zeigt ein Betrugsskandal aus den US-amerikanischen Bundesstaaten Kansas und Colorado, über den die Colorado Sun berichtet.
Dort fiel 2016/2017 auf, dass die über das Land verteilten Wetterstationen ungewöhnlich wenig Regen meldeten, obwohl die Wetterlage entsprechende Regenfälle erwarten ließ. In den Wetterstationen gibt es beheizte Kippbecher, die sich mit Regen oder Schnee füllen und ab einer bestimmten Menge kippen, wodurch elektrische Impulse erzeugt und Meldungen an den Nationalen Wetterdienst gesendet werden. Zudem stellten Feldtechniker der Wetterbehörden fest, dass in großem Stil Manipulationen wie zum Beispiel durchgeschnittene Signaldrähte vorgenommen worden waren. Auch andere Methoden wie Löcher in den Messbechern, Silikonfüllungen oder Abdeckungen fielen auf.
Millionen-schwerer Schaden
Die Untersuchungen kamen dann aber durch Versicherungsdetektive erst richtig ins Rollen, die sich an das Landwirtschaftsministerium der USA wendeten. Die Ermittlungen ergaben einen hohen Millionenschaden an ausgezahlten Leistungen parametrischer Versicherungen für angebliche Dürren, der auf kriminelle Manipulation der entsprechenden Wetterstationen zurückzuführen war.
Zwei Farmer einigten sich schließlich mit den Behörden darauf, 6,6 Millionen US-Dollar an Strafen für den Versicherungsbetrug zu bezahlen, zudem verbrachten sie ein halbes Jahr im Bundesgefängnis.
Kronzeuge für den Versicherungsbetrug war ein Landarbeiter, der die Manipulationen ausgeführt hatte. Der hatte wegen diverser anderer Delikte wiederholt Ärger mit den Strafverfolgungsbehörden und forderte Schweigegeldzahlungen von seinen Auftraggebern, um Kautionen bezahlen zu können. Einige Schweigegelder flossen wohl auch über zwei eingeschaltete Freundinnen des Landarbeiters. Dann wechselte der jedoch die Seite und gab den Ermittlungsbehörden Details preis, wonach die Betrügereien mindestens bis ins Jahr 2010, vielleicht sogar bis 2001 zurück gereicht haben könnten.
Für den Kronzeugen ging die Sache allerdings nicht gut aus. Er floh aus dem Gefängnis und wurde nach wochenlanger Suche im August 2023 tot in einem leerstehenden Farmhaus gefunden. Nur sein Nachlass wurde um 500.000 US-Dollar erhöht, weil Whistleblower in den USA an Steuerrückforderungen beteiligt werden können, die der Staat durch den Hinweisgeber realisieren kann.
Zweifel an Verlässlichkeit von Klimawandel-bezogenen Daten
Der Betrugsfall hat aber noch eine andere Bedeutung. Denn er wirft ein schlechtes Licht auf die Verlässlichkeit von Wetterdaten, mit denen unter anderem der Klimawandel beobachtet wird.
Entsprechend schockiert äußerte sich auch die regional zuständige Leiterin des Nationalen Wetterdienstes, Jennifer Stark: „Wir sind stolz darauf, objektive, qualitätsgeprüfte Niederschlagsdaten an die Öffentlichkeit, Forscher und Klimatologen zu liefern. Persönlich hätte ich nie gedacht, dass jemand versuchen würde, diese Aufzeichnungen zu beschädigen oder deren Qualität zu beeinträchtigen. Das ist so ziemlich der Kern des Nationalen Wetterdienstes: qualitativ hochwertige Daten zu liefern.“
Autor(en): Matthias Beenken