So langsam aber sicher gibt es erste Zahlen zu den massiven Flutschäden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Auch die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) liefert eine erste Einschätzung.
„Wir schätzen den versicherten Schaden für Deutschland auf über eine Milliarde Euro“, sagt MSK-Geschäftsführer Onnen Siems. „Das Gros der versicherten Schäden kommt aus der – erweiterten - Elementarversicherung, ein kleinerer Teil aus der Kfz- und Transport-Sparte“, erklärt Siems die aktuelle Lage. „Elementargefahren haben in der Wohngebäude- und besonders in der Hausratversicherung nur eine geringe Anbindung. Das Gleiche gilt für gewerbliche Sachrisiken, also Gebäude, Inhalt und Betriebsunterbrechung. Dadurch beläuft sich der Schadenbetrag der Versicherer auf deutlich unter 40 Prozent des theoretisch versicherbaren Schadens“.
Gegenüber versicherungsmagazin.de erläuterte Onnen Siems auf welcher Basis sein Haus zu dieser Schadenschätzung kommt: "Bei Sturmschäden greifen wir auf ein Modell, das die MSK-Software 'Storm Chaser' einsetzt, zurück. Bei der aktuellen Schätzung nutzen uns unsere langjährige Marktbeobachtung und interne Schadenstatistiken im deutschsprachigen Raum. Unsicherheiten liegen zum einen in der Kostenentwicklung durch gestiegene Rohstoffpreise, zum Beispiel Holz oder Stahl, knappe Handwerkerressourcen und die Schnelligkeit der Schadenabwicklung, und andererseits in der Ungenauigkeit des Deckungsumfangs und der Marktdurchdringung".
Der Aktuar konkretiert seine Analyse noch: "Wir sind von mehr als 100.000 betroffenen Gebäuden ausgegangen und haben auch höhere Durchschnittsschäden angenommen - der Schwere des Ereignisses angemessen. Die niedrige Versicherungsdurchdringung führt zu der vergleichsweise geringen versicherten Schadenhöhe. Für die versicherten Schäden von bis zu fünf Milliarden Euro, die der GDV schätzt, müssten mehr als eine halbe Million Gebäude betroffen sein. Das wären zehn Prozent des Gebäudebestandes von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz - jedes zehnte Haus.
2021 stoppt den Trend der unterdurchschnittlichen Schadenjahre
Mehr als 1,5 Milliarden Euro zahlten die deutschen Versicherer in den beiden vergangenen Jahrzehnten bei den Hochwasserereignissen der Sommer 2002 und 2013, bei Wintersturm „Kyrill“ (Januar 2007) und den Hagelereignissen im Juli 2013 und Juni 2021. „Damit liegt die Wiederkehrperiode für das Schadenereignis Bernd bei drei bis fünf Jahren“, ordnet Siems ein. „Nach sieben unterdurchschnittlichen Schadenjahren kann 2021 das langjährige Mittel von 3,7 Milliarden Euro für die deutschen Versicherer zu übersteigen“.
Schadenabwicklung wird wohl Monate bis Jahre dauern
Nicht ganz einfach wird nach Einschätzung der Kanzlei wohl die Regulierung für die Versicherer und zwar durch die unterschiedliche Produktgestaltung. „Schadenursachen wie Dammbruch oder Unterspülungen und die Trennung zwischen Starkregen und Hochwasser sind je nach Klausel beziehungsweise Bedingungswerk gedeckt oder ausgeschlossen“, erläutert Siems. „Die Schadenabwicklung wird auf jeden Fall Monate bis Jahre dauern und sollte im Sinne der Nachhaltigkeit auch risikomindernde Aspekte berücksichtigen“.
Auch die letztgenannte Aussage konkretiseirt Siems gegenüber versicherungsmagazin.de: "Werden Häuser, die in Folge der Schäden abgerissen werden, an derselben Stelle wieder aufgebaut? Wenn zu erwarten ist, dass zum Beispiel durch Hochwasser für das neu errichtete Haus künftig wieder Schäden drohen, wäre eine andere Lage zu empfehlen. Schadenmindernde Maßnahmen wie wasserdichte Kellerfenster oder Schwellen könnten durch Anreiz der Versicherer in der Abwicklung künftige Schäden verringern."
1804 und 1910 ganz ähnliche Schadenszenarien zu verzeichnen
Nach Einschätzung von MSK haben die Regenmengen, die Bernd verursachte, eine Wiederkehrperiode von mehr als 100 Jahren. Ein Beispiel ist der Pegel der Ahr in Altenahr, der am 14. Juli nach 19.15 Uhr bei einem Pegelstand von über fünf Meter und einem berechneten Abfluss von 332 m³/s ausfiel. Der 100-jährliche Abfluss für den seit 1991 betriebenen Pegel wird mit 241 m³/s angegeben. „Schaut man in die Geschichtsbücher, findet man aber auch noch stärkere Sommerhochwasser der Ahr in den Jahren 1910 und 1804 mit einem ähnlichen Schadenbild“, vergleicht Siems die Hochwasserlagen.
Hintergrundinformationen
Tief „Bernd“ verwüstete vom 13. bis 18. Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz zahlreiche Häuser und ließ eine empfindlich zerstörte Infrastruktur zurück. Mehr als 160 Menschen mussten sterben. Beginnend im Kreis Hof in Bayern schloss sich der Unwetterzyklus am 18. Juli mit den Starkniederschlägen im Berchtesgadener Land.
Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) wurde 1998 in Köln als erste deutsche aktuarielle Beratungsgesellschaft gegründet und begleitet Schaden- und Unfallversicherer bei strategischen Entscheidungen und operativen Prozessen. Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen in Datenpools, Tarifierung, Telematik, Naturgefahren, Cyber, Bilanzbewertungen, Rückversicherung und Solvency II.
Quelle: Meyerthole Siems Kohlruss (MSK)
Autor(en): versicherungsmagazin.de