Die Bundesregierung hat eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der FDP zum geplanten Provisionsdeckel in der Lebensversicherung beantwortet – mit einigen überraschenden Erkenntnissen.
Die als Bundestagsdrucksache 19/10059 mit Datum 10. Mai 2019 veröffentlichte Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP kann nur teilweise erhellen, warum jedenfalls das Bundesfinanzministerium (BMF) Handlungsbedarf bei der Festlegung von Provisions- und Courtagevereinbarungen der Versicherungsvermittler sieht.
Wann ist genug Druck auf die Abschlusskosten entstanden?
Das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) 2014 sollte „Druck auf die Abschlusskosten“ der Lebensversicherer erzeugen. Hierzu fragte die FDP, wie hoch die „wünschenswerte Senkung“ hätte ausfallen sollen. Das LVRG selbst und seine Begründung jedenfalls geben keinerlei Anhaltspunkte her, welcher Prozentsatz der Bundesregierung seinerzeit vorschwebte.
Auch mit der Sache befasste Bundestagsabgeordnete, insbesondere die heutige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, hatten bislang keine Prozentsätze genannt, sondern eher ausweichend geantwortet und vor allem eine Umverteilung von einmaligen Abschluss- auf laufende Provisionen empfohlen. Dem ist die Branche gefolgt, wie der LVRG-Evaluationsbericht des BMF vom Juni 2018 eindrucksvoll belegt. Denn das Gewicht der Einmalvergütungen, die auch nach der Europäischen Verordnung zum Vertrieb von Versicherungsanlage-Produkten das Risiko von Fehlanreizen erhöhen können, ist um zehn Prozentpunkte von rund 75 auf 65 Prozent der Gesamtvergütungen gesenkt worden.
Über 30 Prozent als Ziel?
Die Bundesregierung wird nun konkreter und leitet aus der Absenkung des Zillmersatzes von 40 auf 25 Promille indirekt ein Senkungsziel von „weit mehr als 30 Prozent“ ab. Dazu setzt sie die nach dem erwähnten LVRG-Evaluationsbericht festgestellten fünf Prozent Senkung der Vermittlervergütungen in Beziehung. Dies sei ein „geringfügiger Rückgang“, der jedenfalls nicht der Intention des LVRG entspreche. Damit setzt allerdings die Bundesregierung die Linie des BMF fort, Abschlusskosten allein mit Vermittlervergütungen gleichzusetzen und den Abschlusskostenanteil der Versicherer ebenso wenig zu hinterfragen wie deren Verwaltungskosten, und das obwohl der LVRG-Evaluationsbericht eine kalkulatorische Verschiebung von Abschluss- in die Verwaltungskosten belegt.
Außerdem passt der Vergleich mit den Zillmerkosten, also reinen Einmalkosten bei Vertragsschluss, überhaupt nicht zum Gesetzentwurf. Der bezieht ganz bewusst alle Vergütungen in den Deckel ein, auch die über die Laufzeit verteilten, sogar dann, wenn sie zur Bestandsbetreuung dienen, aber pauschal im Voraus gezahlt werden.
Sittlich, aber exzessiv?
Die Begründung des Entwurfs eines Provisionsdeckelgesetzes ist zweigeteilt und nennt einerseits das Ziel, den Kunden von Lebensversicherungen zu helfen, in der Niedrigzinslage durch Kostensenkungen bessere Leistungen zu erreichen. Andererseits sollen aber Fehlanreize vermieden werden, obwohl gerade erst 2017 die Europäische Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD umgesetzt worden ist mit der zentralen Vorgabe des § 48a VAG, dass Versicherer keine mit dem bestmöglichen Kundeninteresse in Konflikt stehende Vergütungen und Anreize einsetzen dürfen. Eine Wirksamkeit dieser neuen Vorgabe ist nach einem Jahr kaum festzustellen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP offenbart aber auch ein eigenwilliges Verständnis des Begriffs „Exzess“. So werden alle über die vorgeschlagenen Grenzen des Provisionsdeckelgesetzes von 25 beziehungsweise 40 Promille aller Provisionen, nicht nur der einmaligen bei Vertragsbeginn, pauschal als „exzessiv“ eingeordnet.
Eigenwilliger Sinneswandel
Bislang gab es ein grundlegend anderes Verständnis, was ein „Exzess“ ist. So können Provisionszusagen nach der Rechtsprechung dann sittenwidrig sein, wenn sie das Doppelte dessen übersteigen, was marktüblich ist. Bis 2008 gab es die aufsichtsamtliche Vorgabe an die Versicherer, nicht mehr als 40 Promille an Vermittler zu zahlen. Damit wären 80 Promille und mehr sittenwidrig oder eben „exzessiv“ gewesen. Selbst diese 40 Promille-Grenze des früheren Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen hatte die heutige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) mit der Begründung aufgehoben, eine solche Begrenzung sei nicht mehr notwendig, weil die Kunden seit der VVG-Reform eine Transparenz über die einkalkulierten Kosten erhalten und damit Verhandlungsmacht ausüben können, um übertrieben hohe Kosten zu vermeiden. Nun aber sollen schon 41 Promille „exzessiv“ sein – eine eigenwilliger Sinneswandel.
Bis über 100 Promille sind von der Bafin nicht zu sanktionieren?
Tatsächlich gibt es in der Antwort der Bundesregierung aber Hinweise darauf, dass es gemessen an den alten Auffassungen von Sittenwidrigkeit Probleme gibt. So soll es laut BaFin-Erhebungen tatsächlich bis zu 90,3 Promille für Ausschließlichkeitsvertreter, bis zu 107,6 Promille für Mehrfachvermittler, bis zu 70,2 Promille für Makler und bis zu 66,1 Promille für angestellte Außendienstler geben. Diese Werte erstaunen allein deshalb, weil sie eklatant von den gleichzeitig genannten Mittelwerten – gewichtet nach Marktanteilen der Versicherer – abweichen. Die betragen nämlich 36,6 Promille in der Ausschließlichkeit, 52,1 Promille bei Mehrfachvermittlern, 40,2 Promille bei Maklern sowie 21,8 Promille bei Angestellten.
Wenn es tatsächlich Versicherer gibt, die solche Spitzenvergütungen zahlen und an die BaFin berichten, stellt sich aber die entscheidende Frage, warum die BaFin hiergegen nicht längst auf Basis des § 48a VAG eingeschritten ist. Das Instrument dafür heißt Missstandsaufsicht, zu der die BaFin nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz legitimiert ist. Dafür bedarf es jedenfalls keines weiteren Gesetzes.
Bundesregierung kann wohl nicht rechnen
Auf die Frage nach den Vorteilen, die die Kunden laut diesem Gesetzentwurf haben werden, gibt es eine ernüchternde Aussage: Es gebe eine „Vielzahl von Parametern, „eine generelle Aussage, wie sich die im Referentenentwurf vorgesehene Deckelung auf die Rendite auswirkt, lässt sich daher nicht treffen.“ Allerdings liegt eine Studie der Finanzwissenschaftler Ruß und Schiller vor, auf die die FDP auch explizit hinweist. Die nimmt eine konkrete Berechnung der Renditesteigerung durch eine Deckelung der Provision vor und begründet den Rechenweg. Das Ergebnis ist aber wohl nicht so ausgefallen, wie es zur Begründung eines Provisionsdeckels gepasst hätte – die Renditevorteile sind im niedrigen Nachkomma-Bereich, werden also gegen die von der Finanz- und Haushaltspolitik herbeigeführte Niedrigzinslandschaft nichts ausrichten können.
Insgesamt verstärkt auch diese Antwort der Bundesregierung den Eindruck, dass es eine allenfalls vage Begründung für den konkreten Provisionsdeckel gibt. Entscheidende Fragen zu dessen Notwendigkeit werden weiterhin nicht klar beantwortet.
Autor(en): Matthias Beenken