Technischer Fortschritt
1. Begriff: Entwicklungen, die zu einer quantitativen oder qualitativen Erhöhung des Ausstoßes (Output) führen, ohne dass die Einsätze (Inputs) quantitativ verändert werden. Eine – neben dieser Definition der totalen Mengen-Produktivität – etwas engere Definition sieht den technischen Fortschritt als eine Erweiterung des technischen Wissens bzw. als eine Verschiebung des technischen Horizonts nach außen an, aber nur dann, wenn dadurch ein bisheriges Produkt kostengünstiger oder ein neues Produkt hergestellt werden kann, und wenn diese Erweiterung auch Anwendung findet. Mit Blick auf den Entstehungsprozess neuen Wissens ergibt sich (nach J. Schumpeter) die Trennung zwischen Erfindungen (ein guter Indikator hierfür sind Patente) und Innovationen (als erstmalige Anwendungen von Erfindungen, wobei die Trennung häufig nicht scharf ist, was auch durch den Ausdruck „Forschung und Entwicklung“ deutlich wird) sowie der Imitation (oder Diffusion des neuen technischen Wissens).
2. Merkmale: Bezogen auf die modellbasierte Darstellung der Bedingungen, Wirkungen und Ursachen von technischem Fortschritt werden in der Diskussion verschiedene Begriffspaare verwendet. So wird etwa der arbeits- bzw. kapitalsparende technische Fortschritt (weil mit weniger Input derselbe Output erzeugt werden kann), vom arbeits- oder kapitalerhöhenden technischen Fortschritt (weil qualitativ ein Faktor erhöht wird, um denselben Output zu erzeugen) unterschieden. Da häufig der technische Fortschritt mit der Erneuerung des Kapitalstocks (des „Maschinenparks“) oder des Arbeitspotenzials (durch Bildung) gleichgesetzt wird, werden des Weiteren der gebundene und der ungebundene technische Fortschritt unterschieden. Tatsächlich entsteht technischer Fortschritt meist nicht von selbst, fällt also nicht „wie Manna vom Himmel“ (so Joan Robinson), sondern ist vom Ressourceneinsatz abhängig. Deshalb werden neben dem „autonomen“ technischen Fortschritt der erfahrungsinduzierte (dahinter stehen auch „learning by doing“ und etwa das Erfahrungskurven-Konzept), der imitationsinduzierte (lernen von anderen Unternehmen) und der forschungsinduzierte technische Fortschritt (bei dem gezielt Produktionsfaktoren z.B. in Forschungslaboratorien oder Universitäten eingesetzt werden, um neue Produkte oder Produktionsverfahren zu entwickeln) unterschieden.
3. Versicherung und technischer Fortschritt: Ergänzend zu den normalen Funktionen der Versicherung als Ausgleichsmechanismus von Risiken (Verbesserung der Risikoallokation, Schutz vorhandenen Vermögens, Akkumulierung von Kapital, Mobilisierung finanzieller Reserven, …) entsteht die Ausweitung des Chancenraums der Wirtschaftssubjekte, die mit dem Wissen um Versicherungsschutz höhere Risiken und folglich ertragreichere Aktivitäten eingehen können. Mit anderen Worten: viele Innovationen könnten nicht realisiert werden, wenn ihr Initiator für alle negativen Nebeneffekte voll haftbar wäre! Die Konsolidierungsfunktion der Versicherung erlaubt damit eine erhebliche Ausweitung der Anfangsrisiken und der hieraus sich ergebenden Produktivitätseffekte. Versicherung ermöglicht daher, neue Wagnisse oder Risiken einzugehen, und erleichtert den Übergang zu immer riskanteren Produktionsstrategien. Statt von der „Mehrergiebigkeit längerer Produktionsumwege“ (E. von Böhm-Bawerk) kann hier von der „Mehrergiebigkeit höherer Risiken“ (H. W. Sinn) gesprochen werden.
Autor(en): Professor (em.) Dr. Dr. h.c. Roland Eisen