Ein Kunde wehrte sich vor Gericht gegen einen rückwirkenden Leistungsausschluss aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung und verwies dabei auf den Ablauf der Antragsaufnahme.
In dem vom Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 23.8.2021, Az. 1-20 U 123/21, r+s 2023, 260-262) entschiedenen Fall ging es um einen Schornsteinfeger, der am 4. Juli 2016 eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei einer Versicherungsvertreterin abgeschlossen hatte. 2019 wollte der Kunde Leistungen aus dieser Versicherung haben, weil er wegen einer Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks seinen Beruf nicht mehr ausüben könne.
Vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt
Allerdings kam bei der Leistungsprüfung heraus, dass die Gesundheitsfragen nicht vollständig beantwortet worden waren. Verschwiegen hatte der Kunde eine Bandkapselruptur an eben diesem Sprunggelenk von 2014, die 2015 durch ein MRT untersucht und orthopädisch behandelt worden war.
Der Versicherer verlangte daraufhin rückwirkend einen Leistungsausschluss für Erkrankungen und Funktionsstörungen des rechten Sprunggelenks einschließlich degenerativer Veränderungen, zu denen auch die Arthrose gehört.
Der Kunde klagte dagegen und behauptete, der Versicherer könne sich nicht auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung berufen. Als Begründung führte er an, dass ihm die Gesundheitsfragen nicht in Textform gestellt worden seien. Der Ablauf war wohl so, dass die Vertreterin die Gesundheitsfragen an ihrem Bildschirm angezeigt bekam und vorgelesen hatte. Der Kunde beantwortete diese und die Antworten wurden online erfasst.
Antrag in Textform vorlegen reicht
In erster Instanz hatte der Kunde dennoch verloren, und auch das OLG Hamm sah keinen Grund, dieses Urteil zu revidieren. Tatsächlich bedeute Textform, „dass die Fragen in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt“ werden. Das bedeute aber nur, dass der Kunde das Antragsformular einschließlich der Gesundheitsfragen in Textform zur Verfügung gestellt bekommen muss – und das war hier offensichtlich der Fall.
Die Textform war nicht deshalb verletzt, weil die Fragen zunächst von der Vertreterin vom Bildschirm abgelesen und die Antworten online erfasst worden waren. Es war also nicht erforderlich, dass die Fragen schon während der Beantwortung „verkörpert vor Augen stehen müssen“.
Wichtig ist nur, dass die Fragen vor der Unterzeichnung des Antrags dem Kunden noch einmal in einer dauerhaft lesbaren Forme, also zum Beispiel auf Papier, zur Verfügung gestellt werden.
Schwierige Beweiskraft des Antrags
Weiter setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob beim Vorlesen bereits Verfälschungen oder Auslassungen aufgetreten sein können, die zu einer falschen Beantwortung geführt hätten. Dazu wird erläutert, dass der ausgefüllte Antrag allein nicht als Beweis dafür reicht, dass auch wirklich alle Gesundheitsfragen vollständig und exakt mündlich vorgetragen und besprochen worden sind.
Allerdings spielte das in diesem Verfahren gar keine Rolle. Denn es wurde als „unstreitig“ festgestellt, dass die Vertreterin die Gesundheitsfragen wörtlich vorgelesen hatte. Der Kunde hatte nicht bestritten, dass der Ablauf so war wie geschildert, und dass er eigenhändig den Antrag im Zusammenhang mit dem Antragsgespräch unterschrieben hatte.
Damit stand für das Gericht fest, dass der Kunde in Textform über die Gesundheitsfragen und deren Beantwortung informiert worden ist. Es wurde sogar als „Fehlverständnis des § 19 Absatz 1 Satz 1 VVG“ bezeichnet, wenn wie vom Kläger behauptet wird, der Antragsteller vor Unterzeichnung des Antrags noch einmal ausdrücklich dazu aufgefordert werden müsse, diesen erneut durchzusehen, und das, nachdem offenkundig die Befragung in „einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden“ Weise erfolgt sei.
Folgen für die Praxis der Online-Anträge
Dem Urteil kann man einige wichtige Handlungsempfehlungen entnehmen, wenn die Beantragung einer Personenversicherung, bei der die Gesundheitsfragen eine zentrale Rolle spielen, mit Softwareunterstützung erfolgt. Das sollte ohne Zeitdruck erfolgen, alle vom Versicherer gestellten Fragen sollten wortwörtlich vorgelesen werden.
Jede Frage sollte einzeln vorgelesen und erfragt werden, welche Antwort darauf die richtige ist. Keine gute Idee ist es hingegen, die Gesundheitsfragen zusammenfassend zu stellen und pauschal beantworten zu lassen, nach dem Motto „gab es in den letzten fünf Jahren irgendeine Erkrankung?“. Erst recht nicht sollten die Fragen einschränkend gestellt werden wie beispielsweise, „gab es in den letzten fünf Jahren irgendeine schwerwiegende Erkrankung, die wir angeben sollten?“ Ebenso wenig sind rhetorische Unterstellungen zulässig wie, „es gab doch sicher in den letzten fünf Jahren keine schwerwiegende Erkrankung, die wir angeben sollten?“
Im weiteren Ablauf sollte der Kunde den vollständigen Antrag einschließlich der Gesundheitsfragen entweder beim persönlichen Gespräch ausgedruckt vorgelegt oder bei einer Distanzberatung in geeigneter Weise online übermittelt bekommen. Weiter ist sicherzustellen, dass der Kunde Zeit genug bekommt, vor einer handschriftlichen oder digitalen Unterschrift diesen Antrag mitsamt Gesundheitsfragen durchzusehen. Es schadet sicher nicht, die zentralen Inhalte des Antrags einschließlich der Gesundheitsfragen nochmals durchzugehen und zur Erfolgssicherung um eine Bestätigung zu bitten, dass der Antrag genau so den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden entspricht.
Autor(en): Matthias Beenken