Laut einem Fachartikel von Vertretern von Industrie- und Handelskammern kann die Sachkundeausbildung selbst als Weiterbildung angerechnet werden. Der Bildungsexperte Reinhardt Lüger vertritt im Versicherungsmagazin-Interview eine andere Meinung.
Versicherungsmagazin (VM): Herr Lüger, einige ranghohe Vertreter der Erlaubnisbehörden IHK vertreten (GewerbeArchiv 2019/4, S. 133) die Meinung, dass Vorbereitungskurse zur Versicherungsfachmann/-frau (IHK)-Prüfung bereits als Weiterbildung gelten, ebenso wie der Erwerb anderer Berufsqualifikationen, die mit der Sachkundeprüfung gleichgestellt werden. Das heißt also, die Ausbildung ist gleichzeitig eine Weiterbildung?
Lüger: Da läuft der eine oder andere Vermittler die Gefahr einer bösen Erkenntnis, sofern die Aufsichtsbehörden diese Maßnahme anschließend doch nicht anerkennen, und er damit seine Weiterbildungsverpflichtung nicht erfüllt hat und ggf. mit gewerberechtlichen Konsequenzen rechnen muss – auch wenn die IHKn nach eigenen Aussagen sehr umsichtig mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen umgehen.
VM: Warum ist das so?
Lüger: Zunächst muss man drei Gruppen Betroffener unterscheiden: Gebundene, erlaubnisfreie Vertreter und deren Angestellte, Vermittler mit Gewerbeerlaubnis sowie Angestellte von Vermittlern mit Gewerbeerlaubnis. Der Gesetzgeber hat für diese drei Statusgruppen an unterschiedlichen Stellen im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und in der Gewerbeordnung (GewO) Regelungen geschaffen. Für alle gemeinsam gilt ergänzend die Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV). Für alle dem VAG Unterworfenen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ergänzende Ausführungen im Rundschreiben 11/2018 erstellt; die Meinung zumindest einiger der 79 deutschen IHKn findet man in dem von Ihnen angesprochenen Artikel. Man könnte den alten Spruch bemühen, „warum einfach, wenn es kompliziert geht“.
VM: Worin genau unterscheiden sich die Vorgaben für die drei Statusgruppen?
Lüger: Versicherer dürfen Angestellte im Vertrieb nur dann beschäftigen beziehungsweise mit erlaubnisfreien Vertretern einschließlich deren Angestellten nur dann zusammenarbeiten, wenn diese „über die zur Vermittlung der jeweiligen Versicherung angemessene Qualifikation verfügen und sich regelmäßig fortbilden“. Also erst gibt es eine „angemessene Qualifikation“, dann die Fortbildung. Das ist sinnvoll.
Wer als Vermittler eine Gewerbeerlaubnis erhalten will, muss eine vor der IHK erfolgreich abgelegte Prüfung nachweisen oder eine laut VersVermV gleichgestellte, andere Qualifikation. Erst nach diesem Nachweis gibt es die Erlaubnis und die Eintragung ins Vermittlerregister, anschließend beginnen die konkrete Vermittlungstätigkeit und die Weiterbildungspflicht. Auch hier baut die Weiterbildung auf einer bereits vorhandenen Sachkunde auf. Das macht ebenfalls nicht nur unter juristischen, sondern auch unter pädagogischen Gesichtspunkten Sinn.
Angestellte von Vermittlern mit Gewerbeerlaubnis, die unmittelbar bei der Vermittlung mitwirken, dürfen nur beschäftigt werden, wenn die Vermittler sicherstellen, dass diese Angestellten „über die für die Vermittlung der jeweiligen Versicherung sachgerechte Qualifikation verfügen“. In einem weiteren Satz des § 34d Absatz 9 GewO dann wird die Weiterbildungspflicht von 15 Stunden im Jahr festgehalten. Das verstehe ich ebenfalls so, dass erst eine „sachgerechte“ - das ist vermutlich dasselbe wie im VAG die „angemessene“ - Qualifikation vorhanden sein muss, und dann die Weiterbildungspflicht beginnt.
VM: Was bedeutet das aber für die Ausführungen im Gewerbearchiv-Artikel?
Lüger: Meines Erachtens ist klar, dass der vertrieblich Tätige, der an einer Vorbereitung auf die Sachkundeprüfung teilnimmt, also an der Basisausbildung zum/zur Versicherungsfachmann (IHK), zum Zeitpunkt der Teilnahmen an den Maßnahmen nicht über eine „sachgerechte Qualifikation“ verfügt. Dasselbe gilt für diejenigen, die erst eine andere, der Sachkundeprüfung gleichgestellte Qualifikation nach § 5 VersVermV anstreben. Auch hier gilt, dass erst alle zur Gleichstellung erforderlichen Faktoren vorhanden sein müssen, also auch die zeitlichen Faktoren der Berufserfahrung, um überhaupt als gleichgestellt gewertet zu werden. Die IHK-Vertreter weisen selbst darauf hin, dass „Sinn und Zweck der Weiterbildung der Aufrechterhaltung der Fachkompetenz und der personalen Kompetenz des Vermittlers“ dienen, demzufolge eine erfolgreich nachgewiesene Sachkunde vorliegen muss. Etwas, was nicht vorhanden ist, kann man denklogisch nicht „aufrechterhalten“.
Noch kritischer wird es, wenn laut diesem Artikel sogar eine abgebrochene Ausbildung oder eine durch eine nicht erfolgreich absolvierte Abschlussprüfung beendete Ausbildung auf die Weiterbildungsverpflichtung angerechnet werden soll. Wer also beweist, dass er nicht angemessen qualifiziert ist, hat gleichzeitig nachgewiesen, dass er seine unangemessene Qualifizierung aufrechterhalten hat!? Welchen Sinn macht das bitte?
Ich sehe das auch dahingehend kritisch, dass die Kammern gerne in solchen Fällen auf eine mögliche vorhandene Produktgruppen-bezogene, angemessene Qualifikation bei dem Vermittler verweisen. Diese Argumentation greift aber nur bei gebundenen Vermittlern, die unter dem Haftungsdach eines Versicherers stehen, und der Versicherer nicht dem Verhaltenskodex des GDV beigetreten ist. Auf die weit überwiegende Anzahl von Vermittlern in Deutschland greift die Argumentation der Kammer nicht.
VM: Was sagt denn die BaFin dazu?
Lüger: Die richtet sich wie erwähnt in erster Linie an die Angestellten von Versicherungsunternehmen und die gebundenen Vermittler unter dem Haftungsdach des Versicherers. Bekanntermaßen müssen diese Vermittler keine Sachkundeprüfung vor der IHK absolvieren. Die Versicherungswirtschaft hat sich allerdings im Rahmen der Unterzeichnung des Verhaltenskodex des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft für den Vertrieb von Versicherungsprodukten verpflichtet, diese Prüfungen auf freiwilliger Basis vor den Prüfungsausschüssen der Industrie- und Handelskammern absolvieren zu lassen. Und so fordert die BaFin, dass Versicherungsunternehmen nur mit Vermittlern zusammenarbeiten dürfen, die angemessen qualifiziert sind und bereits zu Beginn ihrer Vermittlertätigkeit über die zur Vermittlung der jeweiligen Versicherungsverträge angemessene Qualifikation verfügen. Allerdings will ich gerne konstatieren, dass die Kammern mit dieser Betrachtung Schwierigkeiten haben, da die Gewerbeordnung keinen Bezug auf den Verhaltenskodex nimmt.
Für vertrieblich Tätige, die dem VAG unterliegen, kann die Angemessenheit durch das Versicherungsunternehmen definiert werden, insofern kann ein Versicherer bereits auch Maßnahmen im Rahmen der Ausbildung zum/zur Versicherungsfachmann/-frau (IHK) anrechnen. Dies gilt meins Erachtens auch bei vertrieblich tätigen Angestellten in Gewerbebetrieben, die nicht als klassischer Vermittler agieren, und somit nur sachgerecht/angemessen qualifiziert sein müssen.
Sofern diese Zielgruppe aber unter den Verhaltenskodex der Versicherungswirtschaft fällt, ist die erfolgreich abgelegte Prüfung zur Sachkunde die Dokumentation der sachgerechten Qualifikation und stellt eine Voraussetzung für sich nun anschließende Weiterbildungsmaßnahmen dar.
Das war bereits das langjährig erfolgreich praktizierte Prinzip der freiwilligen Weiterbildungsinitiative der Branche mit „gut beraten“ und wird übrigens auch seitens des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) so gesehen.
VM: Was raten Sie betroffenen Vermittlern?
Lüger: Sie sollten sich nicht darauf verlassen, dass eine Weiterbildungsverpflichtung in dem Jahr, in dem sie auch Vorbereitungskurse auf die Versicherungsfachmann/-frau (IHK)-Prüfung oder andere, gleichgestellte Ausbildungen durchlaufen, automatisch als erfüllt gilt, beziehungsweise als Erfüllung der Verpflichtung angerechnet wird. Sie sollten darauf achten, dass sie nach Herstellung ihrer angemessenen Qualifikation, also nach erfolgreichem Abschluss der Sachkundeprüfung oder anderer, gleichgestellter Ausbildungen, im verbleibenden Jahr eine 15-stündige Weiterbildung nachweisen können.
VM: Welche Forderung haben Sie an BaFin und IHKn?
Lüger: Es bleibt zu hoffen, dass die Kammer-Vertreter ihre Aussagen in dem erwähnten Artikel revidieren. Die BaFin sollte ihrerseits das Rundschreiben 11/2018 ergänzen und für Klarheit sorgen, ob eine Ausbildung gleichzeitig eine Weiterbildung darstellt oder nicht. Auch das wäre eine Aktion im Sinne der Forderungen aus der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD: Klarheit für den Kunden!
Autor(en): Matthias Beenken