Nach dem Scheitern der Ampelregierung gestern Abend steht auch für die Versicherungswirtschaft und die Versicherungsvermittler sehr viel auf dem Spiel. Auch die US-Wahl wird dabei eine wichtige Rolle spielen.
Es zeichnete sich schon länger ab, aber dann ging es doch schnell: Gestern Abend entließ der Bundeskanzler den Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. In seiner offensichtlich sorgfältig vorbereiteten Rede machte Kanzler Scholz dem Finanzminister sehr persönlich gehaltene Vorwürfe, er sei nicht bereit gewesen Verantwortung zu übernehmen und in einer schwierigen Gemengelage den Weg für neue Schulden frei zu machen.
Kein Weiterwursteln
Lindners Antwort war ebenfalls von Bitterkeit geprägt. Sein vor wenigen Tagen durchgestochenes Konzept zur Wiederbelebung der Wirtschaftskonjunktur sei nicht einmal als Beratungsgrundlage an- und damit ernstgenommen worden. Vielmehr habe ihm der Kanzler ein Ultimatum gestellt, gegen seine Überzeugungen und seinen Amtseid zu handeln und die grundgesetzlich abgesicherte Schuldenbremse aufzugeben.
Immerhin hat der Bundeskanzler verstanden, dass ein Weiterwursteln als Minderheitsregierung mit den Grünen bis zum September 2025 nicht sinnvoll ist. Denn am gestrigen Morgen wurde auch klar, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Damit werden allgemein harte Zeiten für Europa und für Deutschland erwartet. Insbesondere wird der neue alte US-Präsident von Deutschland einen wesentlich höheren Beitrag zur Verteidigung Europas und mehr Beistand für die Ukraine verlangen.
Aus der Zeit gefallene "rote Linie"
Was ist die Antwort des Bundeskanzlers und seiner Rest-Koalition auf diese Antwort? Es gebe eine rote Linie, die mit ihm nie überschritten werden dürfe. Denn soziale Anliegen, besser gesagt der ständig weit oberhalb der Inflationsrate steigende Sozialhaushalt, dürften nicht gegen Sicherheits- oder gegen Wirtschaftsanliegen aufgewogen werden. Will heißen, mit Kanzler Scholz, der SPD und den Grünen soll es trotz der schweren Lage ein Rentenpaket geben, das ungedeckte Wechsel für die junge Generation enthält - Wahlgeschenke an Rentner und unabsehbare Beitragssteigerungen für die jüngere, arbeitende Bevölkerung.
Auch hörte man gestern Abend weder vom Kanzler noch anschließend vom designierten Spitzenkandidaten Habeck von den Grünen einen Lösungsvorschlag zur ungesteuerten Migration, die das Land erkennbar überlastet. In den Kommunen verfällt auf breiter Front die Verkehrsinfrastruktur und die Schulen. Das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist wegen fehlender Polizeipräsenz und fehlender Bereitschaft zur Verhaftung und Abschiebung von Straftätern, die das Gastrecht Deutschland verletzt haben, gestört. Und das Preisniveau für Lebensmittel, Handwerkerleistungen und anderes ist empfindlich hoch.
Die Geduld der Bevölkerung ist endlich
Aus der US-Wahl könnte die deutsche Bundesregierung lernen, dass es genau diese Alltagswahrnehmungen sind, die diese Wahl entgegen den Erwartungen Europas haben kippen lassen. Populismus, Aggressivität und Gewalt haben über vernünftige, aber doch etwas schwer zu verstehende Argumente gesiegt. In Deutschland droht Vergleichbares.
Schwierig ist, dass durch diesen späten Bruch der Ampelkoalition eine Neuwahl erst im Frühjahr stattfinden kann und damit eine neue deutsche Bundesregierung zu spät kommt, um ab der Amtseinführung von Donald Trump hellwach und kraftvoll die Interessen Deutschlands und Europas zu vertreten. Wäre es Kanzler Scholz und seiner Partei wirklich um eine Verantwortung für das Land gegangen, wie er gestern Abend behauptete, dann hätte er den Weg früher freimachen müssen. Selbst jetzt taktierte er noch und kündigte gestern Abend erst für den Januar ein Misstrauensvotum an, sodass eine Neuwahl erst gegen Ende März stattfinden kann. Warum nicht sofort? Dann hätte das Land wenigstens eine Chance, noch im Januar zu erfahren, welcher Politikansatz in Deutschland eine Mehrheit findet.
Riester & Co. wieder auf der langen Bank
Für die Versicherungsbranche und die Vermittler ist das keine gute Botschaft. Klar ist, dass die schon vom früheren Bundesfinanzminister und dem jetzigen Bundeskanzler Scholz verschleppte Riester-Reform erneut unter die Räder kommt. Es wird auf absehbare Zeit weiter keine Klarheit geben, ob der Staat ernsthaftes Interesse an einer Verbreitung der privaten Altersvorsorge und an entsprechenden Rahmenbedingungen hat.
Ebenso dürfte die geplante Reform der gesamten privaten Altersvorsorge verschoben werden. Der Branche dürfte auch der Einfluss der FDP-Minister und Staatssekretäre fehlen, die für die Branche wesentlich offenere Ohren hatten als diejenigen von SPD und Grünen. Auch unter den Vermittlerverbänden gibt es welche, die ihre Lobbybemühungen auf die FDP ausrichteten und nun zusehen müssen, ob es die Partei bei der vermutlich anstehenden, vorgezogenen Bundestagswahl überhaupt noch einmal ins Parlament schafft.
Andere haben in der Vergangenheit auf die Union gesetzt und dürften Morgenluft wittern, dass die Union künftig wieder einen Bundeskanzler stellt. Erneut aber sollte man sich nicht selbstgewiss zurücklehnen, sondern aus der US-Wahl lernen. Überraschungen sind auch in Deutschland möglich. Und Populisten haben wir genug, die breiten Anklang in der Bevölkerung mir ihren einfachen, aber auch oft falschen Botschaften finden.
Kleinklein beenden
Es ist zwingend notwendig, Verantwortung für das Land zu übernehmen. Das wird auf vielen Ebenen bedeuten, den Gürtel enger zu schnallen und die Kräfte zu bündeln. Mehr Sicherheit durch höhere Verteidigungsausgaben und eine verstärkte Ukraine-Hilfe, weitere Arbeitsplatzverluste durch Abwehrzölle auf europäische und deutsche Produkte, Verluste durch unsere sträflich vernachlässigte Wettbewerbskraft gegenüber den neuen asiatischen Supermächten werden Rabatte auf unser umfangreiches und teures Netz der sozialen Sicherheit erforderlich machen.
Statt immer mehr Subventionen und mehr Sondervermögen zu fordern, werden liebgewonnene Erbhöfe aufzugeben sein. Auch die Versicherungsbranche und die Vermittler sollten überlegen, was ihnen wirklich wichtig ist. Manche brancheninterne Auseinandersetzung wirkt gemessen an der Landes- und Weltpolitik gerade arg kleinkariert und realitätsvergessen.
Autor(en): Matthias Beenken