Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat kürzlich ihr „Merkblatt 01/2023 (VA) zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“ veröffentlicht, das gegenüber dem Entwurf in einigen Punkten deutlich abweicht.
Das Merkblatt der BaFin hat eine lange Vorgeschichte. Mit der Umsetzung der IDD 2018 wurde das Versicherungsaufsichtsgesetz um den § 48a ergänzt. Danach dürfen Provisionen, andere Vergütungen, Anreize und Verkaufsziele nicht mit der „Pflicht, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, kollidieren“. Allerdings fehlen klare Maßstäbe, wann genau gegen das bestmögliche Interesse verstoßen wird – zum Beispiel, wann eine Provision zu hoch ist.
Wann ist die Provision zu hoch?
Die Bafin versuchte deshalb zunächst 2018, einen Provisionsrichtwert per aufsichtsamtlichem Rundschreiben bekanntzugeben. Das scheiterte am Protest der Branche. Im nächsten Schritt probierte es 2019 ihre Oberbehörde Bundesfinanzministerium unter Leitung des heutigen Bundeskanzlers Scholz erneut, und zwar mit einem gesetzlichen Provisionsdeckel. Doch auch das scheiterte, abgesehen von dem schließlich letztes Jahr in Kraft getretenen Provisionsdeckel in der Restschuldversicherung.
Am 31. Oktober 2022 legte die BaFin einen Entwurf eines Merkblatts vor und startete eine Konsultation bis Mitte Januar 2023. Gestern nun erschien die endgültige Version. Und die unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten vom Entwurf.
Kundennutzen im Produktfreigabeverfahren prüfen
Grundsätzlich richtet sich das Merkblatt an in- und an ausländische Lebensversicherer, die entweder der Aufsicht der BaFin unterliegen oder im Dienstleistungsverkehr aus dem EU-Ausland tätig werden. Es geht allein um kapitalbildende Lebensversicherungen, und dort auch nur um den Sparanteil und nicht um „signifikante biometrische Absicherungen“.
Ansatzpunkt ist das Produktfreigabeverfahren nach § 23 Abs. 1a-1d VAG. Die Lebensversicherer werden angehalten, bei neuen oder wesentlich veränderten Produkten dafür zu sorgen, dass der Anlageerfolg aus Kundensicht ausreichend hoch ausfallen kann. „Der Kundennutzen eines Produkts ergibt sich aus der Gesamtschau auf das Produkt und seinen Eigenschaften“, heißt es.
Es müssen Renditeziele formuliert und „mit geeigneten stochastischen Analysen“ geprüft werden, sodass die Kunden auch nach Kosten und Inflation eine positive Rendite erwarten können. Als Inflationsrate kommt bei langfristigen Verträgen das mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank in Frage, das derzeit bei zwei Prozent liegt. Bei Produkten mit einem höheren Anlagerisiko kann dies auch mehr sein.
Honorare berücksichtigen
Neu gegenüber dem Entwurf ist, dass die Lebensversicherer auch bei „Nettoprodukten“, bei denen der Kunde separat den Vertriebsaufwand bezahlen muss, „diese Kostenbelastung angemessen bei der Produktprüfung zu berücksichtigen“ haben. Die BaFin führt nicht aus, wie ein Lebensversicherer in Erfahrung bringen kann, welche Honorarrechnungen dem Kunden vorgelegt wird.
Andererseits hat ein Versicherer das Recht zu bestimmen, wem er seine Nettotarife zum Vertrieb anbietet. Ein durchaus branchenüblicher Weg ist, dafür Honorardienstleister einzuschalten, mit denen der Lebensversicherer eine maximale Vermittlungsgebühr vereinbaren kann, zu der der Nettotarif abgegeben werden darf.
Aufgrund der zumindest in der Vergangenheit geübten Praxis einiger Versicherer und Vertriebe, mit Nettotarifen und separater Gebührenvereinbarung nahe an der Sittenwidrigkeit liegende Provisionen durchzusetzen und zusätzlich das Kündigungsrecht auszuschließen, ist eine solche Regelung aus Kundensicht verständlich. Möglicherweise braucht es nun aber doch eine gesetzliche Honorarordnung für Beratung und Vertrieb von Nettotarifen, wie es jüngst der Bund der Versicherten gefordert hat.
Wenn die Hälfte gekündigt hat, soll der Rest Mindestrenditen bekommen
Die Mindestrendite muss nicht erst bei Vertragsablauf vorliegen. Auch bei vorzeitiger Stornierung sollte der Versicherer einen fairen Kundenwert sicherstellen. Dazu führt die BaFin aus, dass ein Versicherer prüfen muss, an welche Art Kunden er den Tarif verkaufen wird, und wann jedenfalls zu erwarten sein dürfte, dass „ein wesentlicher Anteil“ den Vertrag vorzeitig beendet haben wird. Als „wesentlich“ wäre die Hälfte anzusehen.
Das läuft wohl darauf hinaus, Kündigungsstatistiken aus der Vergangenheit auszuwerten. Ab diesem Zeitpunkt dann sollte die Mindestrendite wie oben beschrieben erreicht werden können.
Keine vertriebswegedifferenzierten Prämien
Das alles funktioniert nur, wenn der Versicherer die Kosten im Blick behält. Ein wesentlicher Teil des Merkblatts beschäftigt sich mit den verschiedenen Arten von Abschluss- und Vertriebskosten, die anfallen können. Anders als im Entwurf schlägt die BaFin nun nicht mehr vor, bei unterschiedlich hohen Provisionen je nach Vertriebsweg auch unterschiedlich hohe Prämien zu kalkulieren oder die Überschussbeteiligung anzupassen. Das wäre wohl auch kaum mit § 138 Abs. 2 VAG zu vereinbaren, wonach Lebensversicherte gleichzubehandeln sind.
Daher belässt es die BaFin bei dem Hinweis, dass eine „Quersubventionierung“ von überteuerten durch günstigere Verträge vermieden werden soll, indem „es nicht zu einer unangemessenen Spreizung der Aufwendungen“ kommen soll. Auch das dürfte jedenfalls bei Multikanal-Versicherern, die viele, sehr unterschiedlich vergütete Vertriebswege parallel haben, einige Probleme auslösen.
Keine feste Vorgabe für die Prüfung
Die wichtigste Änderung gegenüber dem Entwurf ist aber, dass das gesamte, ursprünglich vorgesehene Kapitel „E. Risikoorientierter Aufsichtsansatz und Risikoindikatoren“ fehlt. Darin hatte die BaFin ankündigen wollen, die 25 Prozent teuersten Lebensversicherer verschärft prüfen zu wollen („75 Prozent-Quantil“).
Das wäre dann wohl doch eine Art Richtwert durch die Hintertür gewesen. Und als starre Grenze hätte eine Orientierung am 75 Prozent-Quantil wenig Sinn gemacht – definitionsgemäß wären dann immer 25 Prozent der Unternehmen besonders teuer gewesen, wenn auch nicht immer dieselben.
Autor(en): Matthias Beenken