Die Bundestagswahl wirft ihre langen Schatten voraus. Womit Vermittler rechnen müssen.
Nach der exzellent inszenierten Vorstellung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und dem zeitgleichen Selbstzerfleischungs-Schauspiel bei CDU/CSU muss sich auch der Versicherungs- und Finanzvertrieb darauf einstellen, nach der Bundestagswahl im September eine Bundesregierung mindestens mit grüner Beteiligung oder sogar grüner Bundeskanzlerin zu erhalten. Umso interessanter ist ein Blick in das vorläufige Bundestagswahlprogramm.
Verkauf als "Andrehen" diffamiert
Der Finanzvertrieb darf damit rechnen, mit größter Skepsis behandelt zu werden. So startet die entsprechende Passage im Grünen-Wahlprogramm mit der Aussage, "häufig werden Kund*innen Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Diese Produkte sind häufig gut für die Gewinne der Banken und Versicherungen, aber schlecht für die Kund*innen." Welche empirischen Belege die Grünen für diese Erkenntnis haben, verraten sie nicht.
Indizien liefert eine Internetrecherche, die etliche Treffer mit sehr ähnlichen Formulierungen liefern. So berichtet die Süddeutsche Zeitung über eine Studie der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg von 2013: "Die beiden fondsgebundenen Rentenversicherungen, die ihm sein Finanzberater angedreht hatte, waren völlig ungeeignet, dazu unflexibel und zu teuer." In einer weiteren, 2015 für den damaligen und inzwischen wieder ausgelaufenen "Marktwächter Finanzen" erstellten Studie tauchen diese Begriffe erneut in ähnlicher Kombination auf. Der derzeitige Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbands ist ehemaliger grüner Bundestagsabgeordneter und Landesminister.
Finanzkrise durch Rentenversicherungen ausgelöst?
Aber auch die Abgeordnete Lay von der Linkspartei behauptete schon 2012: "Es gibt genügend Beispiele für schlechte Finanzberatung. Da werden alten Menschen Lebensversicherungen mit 30-jähriger Laufzeit angedreht", so ein Wortprotokoll der Bundestagsdebatte zu einem von der SPD eingebrachten Vorschlag zur Stärkung des Verbraucherschutzes durch Etablierung der Honorarberatung.
Im Grunde führen die Grünen in ihrem Wahlprogramm 2021 eine Debatte fort, die mit der Finanzkrise 2008 ihren Ausgang nahm. Der Ärger um den Vertrieb von Zertifikaten amerikanischer Banken, die in der Finanzkrise notleidend wurden, durch deutsche Banken und öffentlich-rechtliche Sparkassen, wurde zu einem angeblichen Verkaufsskandal von Versicherungsprodukten umgedeutet. Das sind Produkte, die ebenso wie die Beratung in hohem Maß gesetzlich reguliert sind und deren Kunden bis heute kein Geld durch Insolvenz des Lebensversicherers verloren haben. Offenbar ist auch nach 13 Jahren die Finanzkrise immer noch ein willkommener Vorwand zum Sturm auf ungeliebte und zum Teil staatlich geförderte Versicherungsprodukte.
Wenig überraschend, erklären die Grünen die Riesterrente zum "völligen Fehlschlag". Dabei greifen sie das Bild vom "Sparstrumpf" auf, in den die Bürger ihr Geld besser legen sollten, das unter anderem der Sprecher des Bundes der Versicherten in einer Kritik der Riesterrente 2011 aufbrachte. "Profitabel" seien Riesterrenten "oft nur für die Versicherungswirtschaft oder dank der öffentlichen Förderung", heißt es im Wahlprogramm weiter.
Mehr Geld für Elektroautos als gegen Altersarmut
Nur zum Vergleich: Die Grundzulage bei einem Riestervertrag, in den ein Riestersparer den Mindesteigenbetrag einzahlt, beträgt über 30 Jahre verteilt insgesamt 5.250 Euro. Wer ein batterieelektrisches Auto mit fragwürdiger CO2-Bilanz und einer Lebenserwartung von weitaus weniger als 30 Jahren kauft, erhält heute auf einen Schlag bis zu 9.000 Euro Förderung. Selbst für Plug-in-Hybride, bei denen niemand kontrolliert, ob sie jemals aufgeladen werden und mit welcher Art Strom, gibt es laut ADAC bis zu 6.750 Euro.
In den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen findet sich der Klimaschutz wieder - aber auch die Armutsbekämpfung, und die sogar auf Rang eins der 17 Ziele. Warum die Bekämpfung von Altersarmut als unprofitable Subvention für eine Branche gebrandmarkt wird, die wesentlich höhere Förderung von E-Autos aber nicht, wird im Wahlprogramm nicht erklärt. Das heißt nicht, dass man nicht über die richtige Art der Altersvorsorge-Förderung diskutieren muss. Aber die Wertungen sind arg einseitig und wirtschaftsfeindlich formuliert. Richten soll es ein "öffentlich verwalteter Bürgerfonds", als ob sich ausgerechnet die deutsche öffentliche Verwaltung durch hohe Kosteneffizienz und Innovativität einen Namen machen würde - Stichworte wie Impfkampagne oder Digitalisierung sollten als Gegenbeispiele genügen.
Provisionsdeckel und -verbot
Die Versicherungs- und Finanzvertriebe müssen sich unter einer grünen Bundesregierung auf einen gesetzlichen Provisionsdeckel von zwei Prozent in der Immobilienvermittlung sowie ein schrittweise einzuführendes Provisionsverbot in der Versicherungs- und Finanzanlagevermittlung einstellen. Alternative soll die Honorarberatung sein durch ein "einheitliches und transparentes Berufsbild für Finanzberater*innen". Daran arbeiten allerdings die Unionsparteien in wechselnden Koalitionen erst mit der FDP und dann der SPD seit drei Legislaturperioden, ohne einen durchschlagenden Erfolg erreicht zu haben. Eine gesetzliche Honorarordnung soll die Unabhängigkeit stärken, nur ist Deutschland keine Insel, sondern Teil des Europäischen Binnenmarkts. Alle Vermittler sollen künftig einheitlich von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt werden, obwohl noch vor wenigen Jahren das jetzige Aufsichtssystem in den Gesetzesvorlagen an die Bundestagsabgeordneten als "alternativlos" bezeichnet wurde.
Diese Vorschläge finden sich zwar so nicht explizit im "Zukunftsprogramm" wieder, mit dem die SPD in den Wahlkampf zieht. Aber sie entsprechen exakt den Vorstößen des vom SPD-Kanzlerkandidaten geführten Bundesfinanzministeriums. Damit ist eine klare politische Überschneidung zwischen Grünen und SPD gegeben sowie umgekehrt Trennlinien zur Union und vor allem der FDP.
Offene Fragen bei Reformvorschlägen
Die Vorschläge zur Reform der "Finanzberatung" werfen zahlreiche Fragen auf. Unklar bleibt, ob nur die Vermittlung von kapitalbildenden Versicherungen oder sämtliche Versicherungen gemeint sind. Es könnte eine Chance für den Versicherungsvertrieb sein, wenn die Vermittlung von Auto-, Hausrat- und Haftpflichtversicherungen nur noch gegen bedarfsdeckende Honorare statt gegen meist nicht auskömmlich niedrige Provisionen erfolgen darf. Ob das beabsichtigt ist?
Nicht begründet werden die tiefen Eingriffe in die verfassungsrechtliche Freiheit der Berufsausübung der betroffenen Versicherungsunternehmen, sofern das Provisionsverbot auch für die Bezahlung von Angestellten und Vertretern gelten sollte. Falls allerdings – wie in verschiedenen europäischen Nachbarländern – nur an ein Provisionsverbot für Makler gedacht ist, wird es zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung zwischen Maklern und Vertretern kommen. Die wiederum stünde im Widerspruch zu den europäischen Richtlinien IDD und MiFID, die der Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen verschiedenen Wegen des Versicherungs- und Finanzvertriebs einen sehr hohen Stellenwert einräumen.
Wer lenkt die Gelder zur sozial-ökologischen Transformation?
Kapitalanlagen spielen eine enorme Rolle bei der Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation, die den Grünen vorschwebt. Sie sollen umgelenkt werden und dadurch mithelfen, nachhaltige Lösungen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu fördern, wie sie auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, vergangenen Montag bei "Hart aber fair" forderte. Wenn das so ist, müssen sich die Grünen der Frage stellen, wer solche Kapitalanlagen und Versicherungen gegen welche Vergütung verkaufen und dazu beraten soll. Ob das die Verbraucherzentralen und einige hundert Honorarberater leisten werden?
Ein Wahlprogramm ist sicher nicht der Ort für differenzierende Lösungsvorschläge. Allerdings sollte es schon ein klares und durchdachtes Gesamtbild zeigen, was eine Partei durch regulierende Eingriffe erreichen will. Im grünen Wahlprogramm finden sich stattdessen in Sachen Versicherungs- und Finanzvertrieb wohlfeile Polemiken und nicht zu Ende gedachte Vorschläge.
Autor(en): Matthias Beenken