Versicherer und Versicherungsvermittler müssen bestimmte Regeln beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten beachten und zwar ab 2. August 2022 sowie leicht angepasste zum 1. Januar 2023.
Die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA hat weniger als zwei Wochen vor dem 2. August, ab dem Versicherer und Vermittler ihre Kunden zur Nachhaltigkeit beraten müssen, ihre Leitlinien zur Integration der Nachhaltigkeitspräferenzen in die Eignungsprüfung nach der Richtlinie IDD veröffentlicht. Im April hatte sie bereits einen Entwurf zur öffentlichen Diskussion gestellt, substanzielle Änderungen sind aber nicht zu erkennen, auch wenn die „Guidelines“ nun offiziell zur „Guidance“ heruntergestuft wurden und damit als Hilfestellung statt als verbindliche Vorgabe bezeichnet werden.
Verständnis für die unklare Rechtslage
Insgesamt sieben Fragen werden rund um die Beratung zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit und guter Unternehmensführung (ESG) beantwortet. Die Eignungsprüfung gehöre zu den wichtigsten Anforderungen für den Verbraucherschutz, so die EIOPA. Durch sie werde sichergestellt, dass Kunden nur für sie geeignete Versicherungsanlageprodukte empfohlen bekommen.
Die EIOPA hebt besonders hervor, dass ihr klar ist, dass der Rechtsrahmen für die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Anlagen noch unfertig ist. So fehlt unter anderem noch die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), mit der alle größeren Unternehmen ab 250 Mitarbeiter verpflichtet werden, öffentlich über ihre Nachhaltigkeit zu berichten. Daher könnten Versicherer und Versicherungsvermittler nur auf Basis der bisher verfügbaren Informationen agieren, sollten diese aber nach bestem Wissen und Gewissen nutzen.
Kunden nicht bedrängen
Die erste Leitlinie besagt, dass Versicherer und Vermittler sicherstellen sollen, dass der Kunde eine klare Vorstellung vom Begriff Nachhaltigkeitspräferenzen hat und inwiefern sie sich die Einbeziehung von Nachhaltigkeit in die Investments wünschen können, die einem Versicherungsanlageprodukt zugrunde liegen. Eine solche Erstinformation müssen Versicherer und Vermittler selbst entwickeln, EIOPA zitiert aber Definitionen aus der Offenlegungsverordnung als Vorschlag.
In der nächsten Leitlinie wird vorgeschlagen, die Nachhaltigkeitspräferenzen erst nach den anderen, bisher schon notwendigen Fragen zur Beurteilung der Eignung abzufragen. Der Kunde soll detailliert in der Logik der Offenlegungsverordnung gefragt werden, welche Mindestanteile an ökologischer Nachhaltigkeit im Sinne der Taxonomieverordnung oder welche Mindestanteile an allgemein nachhaltigen Anlagen nach der Offenlegungsverordnung oder welche Ausschlüsse an nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen gewünscht werden. Auch eine Kombination soll möglich sein. Interessanterweise geht die EIOPA im Weiteren nur auf ökologische und soziale Ziele, nicht auf Governance näher ein.
Die Berater sollen einen neutralen Standpunkt einnehmen und den Kunden nicht in der Formulierung seiner Wünsche beeinflussen.
Zentrale Kennzahlen erst ab Januar
Ab 1. Januar 2023 müssen Versicherer zwei zentrale Kennzahlen (KPI) zu ihren Versicherungsanlageprodukten bereitstellen: den Anteil ökologisch nachhaltiger Anlagen im Sinne der Taxonomieverordnung gesamt sowie an allen Anlagen außer Staatsanleihen. Erst zu diesem Datum treten die Technischen Regulierungsstandards für zwei von sechs in der Taxonomieverordnung genannten Umweltzielen in Kraft, sodass zumindest für das Thema Treibhausgasausstoß eine europaeinheitliche Definition von Nachhaltigkeit möglich wird.
Diese Kennzahlen sollen Versicherer und Vermittler ihren Kunden erläutern. Bei der Abfrage der Prozentsätze soll den Kunden bei Bedarf geholfen werden mit der Vorgabe von Mindestanteilen in Zehn-Prozent-Schritten.
Auch Bestandskunden befragen
In der dritten Leitlinie sieht die EIOPA vor, dass Versicherer und Vermittler bei Bestandskunden ebenfalls eine nachträgliche Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen vornehmen sollen, sobald die nächste reguläre Folgeberatung mit einem Update der Eignungsprüfung ansteht. Das muss aber nicht direkt mit Inkrafttreten der Bestimmungen der Fall sein.
Hilfreich ist das allerdings trotzdem dann nicht, wenn es sich um ältere Bestandsverträge ohne oder mit stark eingeschränkten Wahloptionen handelt. Die EIOPA geht nicht auf das Risiko ein, dass der Kunde enttäuscht werden und die Versicherung vorzeitig kündigen oder beitragsfrei stellen könnte. Möglicherweise geht die Aufsicht davon aus, dass man Versicherungsanlageprodukte jederzeit beliebig verändern kann.
Zweistufiger Prozess erleichtert Berücksichtigung Kundenwünsche
Die vierte Leitlinie beschäftigt sich mit den vorvertraglichen Kundeninformationen. Diese sollen ermöglichen, die Wünsche des Kunden und die verfügbaren Angebote vergleichen zu können. Auch hier wirkt sich die Verspätung der erwähnten Technischen Regulierungsstandards aus in Form von differenzierten Vorgaben für die kurze Zeit vom 2. August bis zum Jahresende und die Zeit danach.
Die fünfte Leitlinie besagt, dass die Kundenwünsche zur Nachhaltigkeit bei der Produktauswahl im Anschluss an die grundlegenden Kriterien einer Eignung nach dem Kundenwissen, finanzieller Situation und Anlagezielen zu berücksichtigen sind. Dieser zweistufige Prozess erleichtert die Abwägung der verschiedenen Kriterien sehr.
Anpassung der Präferenzen möglich – aber bitte dokumentieren
Der Kunde darf seine Nachhaltigkeitspräferenzen anpassen, wenn sich kein exakt mit seinen Wünschen übereinstimmendes Produkt findet, Versicherer und Vermittler sollen aber keinen Druck ausüben. Stattdessen sollen sie dasjenige Produkt suchen, dass den Kundenwünschen relativ am nächsten kommt. Das gilt auch dann, wenn der Kunde sich nicht in der Lage sieht, differenzierte Angaben zu seinen Nachhaltigkeitspräferenzen zu machen, sondern nur allgemein, „generisch“, eine Nachhaltigkeit wünscht.
So lange der Kunde seine unter Umstände zu weitgehenden Wünsche nicht an die Realitäten des Angebots anpasst, darf der Versicherer oder Vermittler keine Empfehlung eines Versicherungsanlageprodukts aussprechen.
In der sechsten Leitlinie wird betont, dass der Versicherer oder Vermittler Anpassungen der Nachhaltigkeitspräferenzen, die der Kunde im Verlauf der Beratung vornimmt, dokumentieren und aufbewahren. Empfohlen wird, solche Änderungen auch in der Eignungserklärung festzuhalten.
Aus- und Weiterbildung muss angepasst werden
Die siebte Leitlinie schließlich verlangt Basiswissen und -können von Versicherungsangestellten und Vermittlern, um die erweiterte Eignungsprüfung durchführen zu können. Vertiefte Kenntnisse sind dann erforderlich, wenn sie sogenannte Artikel 9-Produkte vertreiben, die einen bestimmte ökologische oder soziale Veränderungsziele betreiben (Impact Investment).
Die Leitlinien haben keine unmittelbare Wirkung für deutsche Versicherer und Versicherungsvermittler. Vielmehr müssen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie die Industrie- und Handelskammern entscheiden, ob sie diese Leitlinien – sinnvollerweise ins Deutsche übersetzt – unverändert annehmen oder eigene entwickeln.
Die siebte Leitlinie mit den Bildungsvorgaben müssten eigentlich in die Versicherungsvermittlungs-Verordnung aufgenommen werden, die bisher keine solchen Bildungsinhalte für die Sachkundeprüfung und für die regelmäßige Weiterbildung enthält. Auch die am 1. August in Kraft tretende, neue Verordnung über die Berufsausbildung als Kaufleute für Versicherungen und Finanzanlagen ist in dieser Hinsicht schon wieder nicht mehr ganz auf dem Stand dieser hektisch-kurzfristigen Entwicklung.
Autor(en): Matthias Beenken