Die Wirtschaftswissenschaftlerin Gergana Höckmayr zieht in ihrer jüngst veröffentlichten Dissertation ein positives Fazit der bisherigen Regulierung. Gleichzeitig warnt sie aber auch vor den Folgen einer einseitigen Fokussierung auf die Vergütungsform.
Die Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie hat mindestens eines erreicht: Die betriebswirtschaftliche Forschung interessiert sich erstmals in stärkerem Umfang für den Versicherungsvertrieb.
Seit einigen Jahren hat sich bereits eine wirtschaftwissenschaftliche Forschung entwickelt, die sowohl Arbeiten auf Basis empirischer Sozialforschung als auch solche mit modelltheoretischen Ansätzen hervorbringt. Zu letzterem zählt die jüngst veröffentlichte Dissertation von Gergana Höckmayr, die an der Bundeswehruniversität München entstanden ist.
Geplant: Schärfere Sanktionen bei Verfehlungen
Die Arbeit zeichnet detailliert den aktuellen Strukturwandel nach, der durch die Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie mit dem Vermittlergesetz 2007 begonnen hat.Immerhin ist die Europäische Kommission unzufrieden mit dem bisher Erreichten und bereitet eine neue Richtlinie vor, die nach dem im Juli 2012 vorgestellten Entwurf einen Paradigmenwechsel mit sich bringt. Unter dem Eindruck der Finanzkrise will die Kommission den Verbraucherschutz bei jeglicher Art der Beratung zu und Vermittlung von Versicherungen gewährleisten, egal durch wen oder mit welchen Mitteln diese Dienstleistungen erbracht werden.
Einige der zahlreichen Änderungen betreffen die Aus- und Weiterbildung der Vermittler, Wohlverhaltenspflichten in der Kundenberatung, die Offenlegung der Anreize und Vergütungen, denen die beratende Person unterliegt, oder auch eine erhebliche Verschärfung der Sanktionen bei Fehlverhalten. Damit ist klar, dass die neue Richtlinie vor allem die Beratungsqualität positiv beeinflussen will.
Was eine optimale Beratungsqualität ausmacht
Auch in Höckmayrs Arbeit steht die Beratungsqualität im Mittelpunkt. Sie wird annahmegemäß sowohl durch die Qualifikation der Vermittler als auch die bestehenden Anreize und Sanktionen bei Fehlverhalten geprägt. „Eine optimale Beratungsqualität liegt vor, wenn der Beratungsbedarf des Versicherungsnehmers und die vom Versicherungsvermittler tatsächlich erbrachte Beratungsleistung qualitativ und quantitativ perfekt übereinstimmen“, so Höckmayrs Definition. Abweichungen davon können einerseits eine Unterberatung und damit eine Unterversorgung, Falschversorgung oder überteuerte Produkte sein. Andererseits gibt es eine Überberatung, die „aus Kundensicht grundsätzlich als unproblematisch anzusehen“ ist, jedenfalls sofern sie nichts extra kostet.
VVG stärkt Position von falsch beratenen Kunden
Diese Definitionen dürften die Wirklichkeit nicht in Gänze erfolgreich abbilden. Eine Überversorgung kann dem Kunden schaden, wenn man an den unnötigen Verkauf einer zweiten Privathaftpflichtversicherung an denselben Kunden denkt. Allerding stärkt das VVG die Position des falsch beratenen Kunden, sodass der Schaden durch die Fehlberatung beseitigt werden kann. Dagegen kann eine übergroße Lebensversicherung dem Kunden dennoch einen Nutzen bringen, denn damit verschiebt der Kunde lediglich Vermögenspositionen in die Zukunft – ein echter Schaden entsteht ihm nicht.
„Die Qualität der Versicherungsvermittlungsleistung ist offensichtlich keine konstante Größe“, zieht die Autorin zutreffend das Fazit.
Höckmayr simuliert in ihrem Modell den Vermittlungsmarkt und untersucht, wann in einem solchen Markt ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage eintritt, und wann ein optimaler Wohlfahrtsgewinn auftritt.
Mehr Qualität kostet auch mehr
Höckmayr zeigt, dass sich in einer kurzfristigen Betrachtung Spezialisierungen gegenüber einer generellen, unspezifisch breiten Beratungsleistung durchsetzen. Berücksichtigt man aber zusätzlich den Zeitablauf und die Erfahrungen, die Kunden mit Vermittlern und deren Leistungen machen, setzen sich die Vermittler durch, die auf ihre Reputation bedacht sind und dafür Bereitschaft zeigen, auf eine kurzfristige Nutzenmaximierung beispielsweise durch Angebot überteuerter Beratungsleistungen zu verzichten.
Die Vermittlerrichtlinie hat in diesem Markt vor allem die unabhängigen Vermittler belastet, sodass eigentlich deren Verdrängung erwartet werden müsste. Dass eher das Gegenteil eingetreten ist und das Gewicht der unabhängigen Vermittler steigt, liegt nach Höckmayrs Interpretation an den Versicherern, die die unabhängigen Vermittler im Markt halten wollen und ihre regulierungsbedingten Mehrkosten durch Vergütungssteigerungen auffangen. Die Honorarberatung verteuert nach Höckmayrs Analysen die Vermittlungsleistung weiter, wohingegen der Kunde in der Gesamtbetrachtung am besten im Provisionssystem davonkommt. Ein Mischsystem würde einen Gesamtnutzen zwischen den beiden Extrempositionen erbringen.
Plausible Schlussfolgerung, aber wackelige Zahlenbasis
Aus einem Zahlenvergleich der Vermittler vor der Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie und dem aktuellen Stand des Vermittlerregisters schließt Höckmayr auf einen beachtlichen Strukturwandel, der entsprechend den modelltheoretischen Annahmen eingetreten ist. Vor allem Nebenberufler seien aus dem Markt ausgeschieden, die Beratungsqualität insgesamt gestiegen. Auch wenn die Schlussfolgerungen plausibel sind, ist die Zahlenbasis wackelig. Denn in den Vermittlerregisterzahlen fehlen nebenberufliche Vertreter unterhalb der gewerberechtlichen Bagatellgrenze sowie regulierungsfreie Vermittler nach § 34d Absatz 9 GewO wie Reisebüros, Haushaltsgeräte- und Brillenhändler. Die früheren Zahlen beruhten zudem auf groben Schätzungen der Vermittlerzahlen durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, mit denen beispielsweise die Anzahl unabhängiger Vermittler deutlich unterschätzt wurde.
Gleichwohl ist Höckmayr mit ihrer Arbeit ein beachtlicher Beitrag gelungen, den Versicherungsvermittlermarkt besser zu verstehen. Sie mahnt dazu, regulatorische Veränderungen mit Augenmaß durchzuführen und nicht nur momentan modischen Annahmen einzelner interessierter Parteien nachzulaufen. Denn das zeigt die Modellierung eindrucksvoll: Die Beratungsqualität steigt durch die Regulierung merklich – aber sie kostet auch mehr.
Lesetipp
Gergana Höckmayr: Wandel der Beratungsqualität auf dem Versicherungsvermittlungsmarkt, Band 66 der Beiträge zu wirtschaftswissenschaftlichen Problemen der Versicherung, ISBN 978-3-89952-705-6, 42 Euro (Print) oder 37,99 Euro (E-Book), 2012, Verlag Versicherungswirtschaft
Bild: © Peter Kirchhoff /
Die Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie hat mindestens eines erreicht: Die betriebswirtschaftliche Forschung interessiert sich erstmals in stärkerem Umfang für den Versicherungsvertrieb.
Seit einigen Jahren hat sich bereits eine wirtschaftwissenschaftliche Forschung entwickelt, die sowohl Arbeiten auf Basis empirischer Sozialforschung als auch solche mit modelltheoretischen Ansätzen hervorbringt. Zu letzterem zählt die jüngst veröffentlichte Dissertation von Gergana Höckmayr, die an der Bundeswehruniversität München entstanden ist.
Geplant: Schärfere Sanktionen bei Verfehlungen
Die Arbeit zeichnet detailliert den aktuellen Strukturwandel nach, der durch die Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie mit dem Vermittlergesetz 2007 begonnen hat.Immerhin ist die Europäische Kommission unzufrieden mit dem bisher Erreichten und bereitet eine neue Richtlinie vor, die nach dem im Juli 2012 vorgestellten Entwurf einen Paradigmenwechsel mit sich bringt. Unter dem Eindruck der Finanzkrise will die Kommission den Verbraucherschutz bei jeglicher Art der Beratung zu und Vermittlung von Versicherungen gewährleisten, egal durch wen oder mit welchen Mitteln diese Dienstleistungen erbracht werden.
Einige der zahlreichen Änderungen betreffen die Aus- und Weiterbildung der Vermittler, Wohlverhaltenspflichten in der Kundenberatung, die Offenlegung der Anreize und Vergütungen, denen die beratende Person unterliegt, oder auch eine erhebliche Verschärfung der Sanktionen bei Fehlverhalten. Damit ist klar, dass die neue Richtlinie vor allem die Beratungsqualität positiv beeinflussen will.
Was eine optimale Beratungsqualität ausmacht
Auch in Höckmayrs Arbeit steht die Beratungsqualität im Mittelpunkt. Sie wird annahmegemäß sowohl durch die Qualifikation der Vermittler als auch die bestehenden Anreize und Sanktionen bei Fehlverhalten geprägt. „Eine optimale Beratungsqualität liegt vor, wenn der Beratungsbedarf des Versicherungsnehmers und die vom Versicherungsvermittler tatsächlich erbrachte Beratungsleistung qualitativ und quantitativ perfekt übereinstimmen“, so Höckmayrs Definition. Abweichungen davon können einerseits eine Unterberatung und damit eine Unterversorgung, Falschversorgung oder überteuerte Produkte sein. Andererseits gibt es eine Überberatung, die „aus Kundensicht grundsätzlich als unproblematisch anzusehen“ ist, jedenfalls sofern sie nichts extra kostet.
VVG stärkt Position von falsch beratenen Kunden
Diese Definitionen dürften die Wirklichkeit nicht in Gänze erfolgreich abbilden. Eine Überversorgung kann dem Kunden schaden, wenn man an den unnötigen Verkauf einer zweiten Privathaftpflichtversicherung an denselben Kunden denkt. Allerding stärkt das VVG die Position des falsch beratenen Kunden, sodass der Schaden durch die Fehlberatung beseitigt werden kann. Dagegen kann eine übergroße Lebensversicherung dem Kunden dennoch einen Nutzen bringen, denn damit verschiebt der Kunde lediglich Vermögenspositionen in die Zukunft – ein echter Schaden entsteht ihm nicht.
„Die Qualität der Versicherungsvermittlungsleistung ist offensichtlich keine konstante Größe“, zieht die Autorin zutreffend das Fazit.
Höckmayr simuliert in ihrem Modell den Vermittlungsmarkt und untersucht, wann in einem solchen Markt ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage eintritt, und wann ein optimaler Wohlfahrtsgewinn auftritt.
Mehr Qualität kostet auch mehr
Höckmayr zeigt, dass sich in einer kurzfristigen Betrachtung Spezialisierungen gegenüber einer generellen, unspezifisch breiten Beratungsleistung durchsetzen. Berücksichtigt man aber zusätzlich den Zeitablauf und die Erfahrungen, die Kunden mit Vermittlern und deren Leistungen machen, setzen sich die Vermittler durch, die auf ihre Reputation bedacht sind und dafür Bereitschaft zeigen, auf eine kurzfristige Nutzenmaximierung beispielsweise durch Angebot überteuerter Beratungsleistungen zu verzichten.
Die Vermittlerrichtlinie hat in diesem Markt vor allem die unabhängigen Vermittler belastet, sodass eigentlich deren Verdrängung erwartet werden müsste. Dass eher das Gegenteil eingetreten ist und das Gewicht der unabhängigen Vermittler steigt, liegt nach Höckmayrs Interpretation an den Versicherern, die die unabhängigen Vermittler im Markt halten wollen und ihre regulierungsbedingten Mehrkosten durch Vergütungssteigerungen auffangen. Die Honorarberatung verteuert nach Höckmayrs Analysen die Vermittlungsleistung weiter, wohingegen der Kunde in der Gesamtbetrachtung am besten im Provisionssystem davonkommt. Ein Mischsystem würde einen Gesamtnutzen zwischen den beiden Extrempositionen erbringen.
Plausible Schlussfolgerung, aber wackelige Zahlenbasis
Aus einem Zahlenvergleich der Vermittler vor der Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie und dem aktuellen Stand des Vermittlerregisters schließt Höckmayr auf einen beachtlichen Strukturwandel, der entsprechend den modelltheoretischen Annahmen eingetreten ist. Vor allem Nebenberufler seien aus dem Markt ausgeschieden, die Beratungsqualität insgesamt gestiegen. Auch wenn die Schlussfolgerungen plausibel sind, ist die Zahlenbasis wackelig. Denn in den Vermittlerregisterzahlen fehlen nebenberufliche Vertreter unterhalb der gewerberechtlichen Bagatellgrenze sowie regulierungsfreie Vermittler nach § 34d Absatz 9 GewO wie Reisebüros, Haushaltsgeräte- und Brillenhändler. Die früheren Zahlen beruhten zudem auf groben Schätzungen der Vermittlerzahlen durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, mit denen beispielsweise die Anzahl unabhängiger Vermittler deutlich unterschätzt wurde.
Gleichwohl ist Höckmayr mit ihrer Arbeit ein beachtlicher Beitrag gelungen, den Versicherungsvermittlermarkt besser zu verstehen. Sie mahnt dazu, regulatorische Veränderungen mit Augenmaß durchzuführen und nicht nur momentan modischen Annahmen einzelner interessierter Parteien nachzulaufen. Denn das zeigt die Modellierung eindrucksvoll: Die Beratungsqualität steigt durch die Regulierung merklich – aber sie kostet auch mehr.
Lesetipp
Gergana Höckmayr: Wandel der Beratungsqualität auf dem Versicherungsvermittlungsmarkt, Band 66 der Beiträge zu wirtschaftswissenschaftlichen Problemen der Versicherung, ISBN 978-3-89952-705-6, 42 Euro (Print) oder 37,99 Euro (E-Book), 2012, Verlag Versicherungswirtschaft
Bild: © Peter Kirchhoff /
Autor(en): Matthias Beenken