Einen gewerblichen Telematik-Tarif will die Neodigital Autoversicherung auf den Markt bringen. Er soll wie die privaten „Pay-as-you-drive“-Angebote funktionieren.
Bisher wurde Telematik immer nur im Hintergrund zur Steuerung von Flotten und Schadenverhütung eingesetzt. Auch Pilotprojekte der Zurich Versicherung für Flotten ab 50 Fahrzeugen, wurden in Deutschland nicht praxisreif. Daher wird das Angebot mit Spannung erwartet.
„Flotten mit schlechter Schadenquote werden wie Wanderpokale jährlich von Assekuranz zu Assekuranz weitergereicht“, erläutert Stephen Voss, Mitglied des Vorstands der Neodigital Versicherung. Künftig soll der Autoversicherungsarm des Insurtech, ein Joint-Venture mit der Huk-Coburg-Gruppe, Fuhrparkmanager helfen, die Schadenzahlen deutlich zu senken. „Wir kombinieren künftig die Fahr- und Bewegungsdaten der Firmen- und Dienstwagen mit einer Schadenursachenanalyse“, erläutert Voss. Das könnten Versicherungsmakler bisher nicht leisten. Das Insurtech will künftig einen Telematiktarif mit klassischer Schadenanalyse vereinen.
Bekannte Technik
Mit einem Beacon, einem kleinen Sender, werden die Fahr- und Bewegungsdaten direkt aus dem Fahrzeug an einen Datentreuhänder gemeldet. Anonym wird dann ein Fahrer-Score, also eine Punktebewertung, ermittelt. Danach richtet sich die Flottenversicherungsprämie. Das System ähnelt sehr dem Telematik-Angebot der Huk-Coburg. Es sei aber selbst von der Neodigital gemeinsam mit dem Kölner Aktuar MSK entwickelt worden.
Einen Telematik-Tarif gibt es im gewerblichen Flottengeschäft bisher nicht. Im privaten Bereich gibt es laut der E+S Rückversicherung rund eine Million Tarife mit Telematik-Charakter. Das entspricht einer Marktdurchdringung von lediglich rund zwei Prozent. Trotzdem verspricht sich die Neodigital, einen maßgeblichen Anteil am Flottenmarkt zu erreichen. Das gesamte Volumen des Flotten- und Brokermarkt beziffert Voss mit 10,6 Milliarden Euro.
Aon-Assekuradeur ist Partner
Für den Start zum Flotten-Telematik-Tarif hat der neue Versicherer als ersten Partner die SG IFFOXX Assekuranzmaklergesellschaft gewonnen. Das Unternehmen gehört zur Aon-Gruppe und ist nach eigener Darstellung weltweit in 120 Ländern mit 50.000 Mitarbeitern tätig. Laut Voss soll es einen großen Flottenbestand haben. „Wir starten, wenn wir die Zulassung der Aufsichtsbehörde für den neuen Autoversicherer haben“, sagte Voss. Der Flottentarif und die Technik wären fertig. Mit einer Zulassung durch die Bafin rechnet Voss noch in diesem Jahr.
Schwerer Herbst
Daher könnte es für den Newcomer hinsichtlich des aktuellen Jahresendgeschäft eng werden. Dabei dürften gute Lösungen, um Prämien zu senken, jetzt gerne gesehen werden. Für Flotten prognostiziert der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für 2022 eine deutliche Steigerung der Schadenquote von 87 auf 95 Prozent. Damit fällt die die Schaden-Kosten-Quote negativ aus. Sie soll 2022 auf 105 Prozent hochschnellen, nach 98 Prozent im Vorjahr. Fazit: Die Flottenversicherer fahren schon in diesem Jahr – noch ohne volle Kostenexplosion - ein deutliches Minus ein.
Und Gewinne aus Kapitalanlagen können dies - auch wenn die Zinsen steigen - noch längst nicht ausgleichen. Fuhrparks müssen daher für 2023 mit besonders starken Prämienerhöhungen rechnen. „Wir sehen den Markt in Flotte leicht hart“, sagt Thorsten Kuhr, Geschäftsführer der Bernhard Assekuranz. Die Versicherer hätten in den Corona-Jahren tendenziell eine gute Quote erwirtschaftet. Nun würde die hohe Auslastung der Flotten aber wieder zu erhöhten Schadenzahlen führen. Außerdem sei die Inflation bei den Fahrzeugherstellern angekommen. Daher steige der Schadendurchschnitt.
Schadenverhütung wird wieder wichtiger
Kuhr warnt alle Flottenmanager vor vielen Schäden. Denn heute wären aufgrund des Ersatzteilmangels die Ausfallzeiten bei Reparaturen deutlich höher. „Im Einzelfall sind Sanierungen ab einer Schadenquote von 80 Prozent möglich“, warnt Yvonne Kerpes, Bereichsleiterin Firmenkunden bei Versicherungsmakler Hoesch & Partner aus Frankfurt. Der Versicherungsmakler Georg Soller aus Straubing, ebenfalls auf Flottenschutz spezialisiert, sieht sogar die Sanierungsgrenze bei 75 Prozent. Unternehmen, die mit vielen Unfällen zu kämpfen haben, sollten nun unbedingt gegensteuern. Sonst könnten die Versicherungskosten für den Fuhrpark regelrecht explodieren.
Einige Versicherer wollen nur neue Flottenkunden, die eine sehr gute Schadenquote weit unter 80 Prozent haben. „Sie müssen als Unternehmer dem Versicherer bei extrem hoher Schadensentwicklungen, schon eine Perspektive bieten, wie künftig besser gefahren werden soll“, betont Kuhr. Langfristig müssen Schäden gesteuert und ein Risikomanagement eingeführt werden. „Das ist aber ein Investment, das erst in zwei bis drei Jahren sichtbar wird“, erläutert André Vieregge, Leiter Mobility Services beim Versicherungsmakler Schunck. „Leider scheuen sich viele Unternehmer dafür Geld in die Hand zu nehmen, weil der Return on invest nicht sofort sichtbar ist.“
Ein erster Schritt für viele Flottenmanager könnte es sein, alte Zöpfe abzuschneiden und vom Versicherungsvertreter zum Versicherungsmakler zu wechseln. „Rund 50 bis 60 Prozent der Flotten sind noch bei der Ausschließlichkeit unter Vertrag“, schätzt Makler Soller. Vor allem kleine Firmen seien hinsichtlich eines Umstiegs „sehr träge“.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek