BGH: Urteil vom 21.03.2006, XI ZR 63/05
Im Kapitalanlagerecht wie auch aktuell im Versicherungsvermittlerrecht (§ 42e VVG) ist die Frage der Haftung für Beratungsverschulden ein "Dauerbrenner". Nur: Wie sehen die Haftungsmaßstäbe nach der Rechtsprechung konkret aus? Ein aktuelles Urteil des BGH vom 21. März 2006 wiederholt hier einige Grundsätze aus dem inzwischen reichhaltigen Rechtsprechungsfundus.
1. Sachverhalt
Konkret ging es in dem vom BGH zu entscheidenden Fall um Fondsanteile in erheblicher Größenordnung, die auf Grund des Kursverfalls an der Börse in den Jahren 2000/2001 nur noch mit Verlust verkauft werden konnten. Diesen Verlust verlangte die Klägerin nun von der beklagten Sparkasse im Wege des Schadenersatzes.
Die Klägerin hatte von ihren Eltern ein Vermögen in Höhe von ca. vier Millionen DM geerbt. 1,2 bis 1,3 Millionen DM wollte sie für drei bis fünf Jahre anlegen. Sie eröffnete daher bei der beklagten Sparkasse 1998 ein Wertpapierdepot und erwarb für rund 50 Prozent des Anlagebetrages Aktienfonds sowie für 30 Prozent Immobilienfonds. Die restlichen 20 Prozent wurden zu niedriger Verzinsung liquide angelegt. Zunächst stiegen die Aktienkurse. Dies führte zu erheblichen Gewinnen im Depot.
Im Frühjahr setzte jedoch ein Kursverfall ein. Deshalb erkundigte sich die Klägerseite am 30. Mai 2000 (als das Depot insgesamt noch in der Gewinnzone lag), ob ein Verkauf ratsam sei. Der Leiter der Wertpapierabteilung der beklagten Sparkasse äußerte jedoch die Erwartung, dass sich die Börse wieder nach oben entwickeln werde, und riet von einem Verkauf ab.
Gespräche mit ähnlichem Inhalt wurden auf Grund des weiter anhaltenden Kursverfalls im August, Oktober 2000, Januar und Februar 2001 geführt. Im März 2001 verkaufte die Klägerin schließlich alle Fondsanteile und verlangte im gerichtlichen Verfahren die Wertdifferenz der Fondsanteile zwischen dem 30. Mai 2000 und dem 21. März 2001, die sich auf insgesamt rund 165.000 Euro belief. Sie hielt der beklagten Sparkasse vor, dass die Empfehlung, die Fondsanteile nicht zu verkaufen, eine Beratungspflichtverletzung gewesen sei.
Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt.
2. Die Entscheidung des BGH
Die Revision der Sparkasse zum Bundesgerichtshof führte zur endgültigen Klageabweisung. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hatte die beklagte Sparkasse ihre Beratungspflichten nicht verletzt:
2.1 Dabei sah der BGH zunächst einen Beratungsvertrag durchaus für gegeben an. Dieser folgte nicht aus dem beim Erwerb der Fondsanteile geschlossenen Vertrag, weil dieser nach Ansicht der Rechtsprechung über die Anlageentscheidung hinaus regelmäßig keine fortdauernden Überwachungs- und Beratungspflichten hinsichtlich der erworbenen Wertpapiere begründet. Auch aus dem Depotvertrag folgten derartige Pflichten nicht.
Zwischen den Parteien sei aber ein neuer Beratungsvertrag geschlossen worden, als sich die Klägerseite am 30. Mai 2000 erkundigte, ob ein Verkauf der Fondsanteile ratsam sei. Das darin liegende Angebot auf Abschluss eines Beratungsvertrages habe die Sparkasse stillschweigend angenommen, da sie das Beratungsgespräch aufgenommen und durchgeführt habe.
2.2 Eine Pflichtverletzung innerhalb dieses Beratungsvertrages verneinte der BGH allerdings. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Beratung muss nach Auffassung des BGH grundsätzlich anleger- und objektgerecht sein. Maßgeblich sind für die anlegergerechte Beratung
· der Wissensstand,
· die Risikobereitschaft und
· das Anlageziel des Kunden.
Für die objektgerechte Beratung, die auch ein bloßer Anlagevermittler zu leisten hat, kommt es insbesondere auf
· die allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Kapitalmarktes),
· die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben.
Wichtig ist hierbei, dass die Aufklärung des Kunden über diese Umstände richtig und vollständig sein muss.
Die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts muss unter Berücksichtigung dieser Umstände hingegen lediglich vertretbar sein. Sie darf nach Ansicht des BGH auch nicht rückschauend beurteilt werden ("Hinterher ist man immer schlauer"), sondern ist möglichst aus der damaligen Situation heraus zu bewerten (so genannte "ex ante"-Sichtweise). Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde.
2.3 An diesen Grundsätzen gemessen, konnte der BGH eine Pflichtverletzung der Sparkasse nicht feststellen.
Insbesondere verneinte der BGH eine Pflicht zur erneuten Aufklärung über die mit Fondsanteilen verbundenen Risiken, da die Klägerin die Anteile längst erworben hatte und am 30. Mai 2000 eine solche Aufklärung auch gar nicht erwartete.
Die Empfehlung, die Anteile nicht zu verkaufen, hielt der BGH - anders als das Oberlandesgericht - aus ex ante-Sicht für vertretbar. Es sei davon auszugehen, dass am 30. Mai 2000 objektiv nicht vorhersehbar war, ob die Kurse weiter fallen oder innerhalb des Anlagezeitraums das Niveau vom 30. Mai 2000 wieder überschreiten würden. Die Sparkasse habe daher nicht pflichtwidrig gehandelt, als sie auf Grund ihrer Erfahrung und langjährigen Beobachtung der Kursentwicklung von einem entsprechenden Wiederanstieg der Kurse innerhalb des Anlagezeitraums ausging und dementsprechend vom Verkauf abriet. Es sei nichts vorgetragen oder ersichtlich, was diese Einschätzung aus ex ante-Sicht unvertretbar erscheinen ließe.
Die Sparkasse musste die Klägerin nach Ansicht des BGH auch nicht darüber informieren, dass nicht absehbar gewesen sei, ob der Kursverfall beendet sei. Dies verstehe sich von selbst, da das auch von einem Börsenfachmann nicht mit Sicherheit beurteilt werden könne.
Schließlich sah der BGH auch keine Verpflichtung der Sparkasse, die Klägerin über unterschiedliche Meinungen über den künftigen Kursverlauf im Mai 2000 zu informieren. Da die Kursentwicklung an sich nicht sicher zu beurteilen sei, verstehe es sich ebenfalls von selbst, dass hierzu unterschiedliche Meinungen existieren würden.
3. Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass nicht jeder Fall zu einem "Haftungsfall" für den Kapitalanlageberater bzw. -vermittler werden muss. Während im Bereich der Aufklärung über die Risiken eines Anlageobjekts strenge Maßstäbe gelten - richtige und vollständige Aufklärung - muss eine Bewertung und Empfehlung lediglich vertretbar sein.
Gleichwohl zeigen die gegensätzlichen Entscheidungen der Vorinstanzen, dass hier auch innerhalb der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Haftungsgrundsätze viele Bewertungsspielräume verbleiben. Ein Vermittler sollte sich im vermeintlichen Haftungsfall also frühzeitig Rechtsrat einholen.
Das Urteil des BGH vom 21. März 2006, XI ZR 63/05 sowie die Vorschriften des Versicherungsvermittlerrechts finden Sie im Volltext unter .
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Im Kapitalanlagerecht wie auch aktuell im Versicherungsvermittlerrecht (§ 42e VVG) ist die Frage der Haftung für Beratungsverschulden ein "Dauerbrenner". Nur: Wie sehen die Haftungsmaßstäbe nach der Rechtsprechung konkret aus? Ein aktuelles Urteil des BGH vom 21. März 2006 wiederholt hier einige Grundsätze aus dem inzwischen reichhaltigen Rechtsprechungsfundus.
1. Sachverhalt
Konkret ging es in dem vom BGH zu entscheidenden Fall um Fondsanteile in erheblicher Größenordnung, die auf Grund des Kursverfalls an der Börse in den Jahren 2000/2001 nur noch mit Verlust verkauft werden konnten. Diesen Verlust verlangte die Klägerin nun von der beklagten Sparkasse im Wege des Schadenersatzes.
Die Klägerin hatte von ihren Eltern ein Vermögen in Höhe von ca. vier Millionen DM geerbt. 1,2 bis 1,3 Millionen DM wollte sie für drei bis fünf Jahre anlegen. Sie eröffnete daher bei der beklagten Sparkasse 1998 ein Wertpapierdepot und erwarb für rund 50 Prozent des Anlagebetrages Aktienfonds sowie für 30 Prozent Immobilienfonds. Die restlichen 20 Prozent wurden zu niedriger Verzinsung liquide angelegt. Zunächst stiegen die Aktienkurse. Dies führte zu erheblichen Gewinnen im Depot.
Im Frühjahr setzte jedoch ein Kursverfall ein. Deshalb erkundigte sich die Klägerseite am 30. Mai 2000 (als das Depot insgesamt noch in der Gewinnzone lag), ob ein Verkauf ratsam sei. Der Leiter der Wertpapierabteilung der beklagten Sparkasse äußerte jedoch die Erwartung, dass sich die Börse wieder nach oben entwickeln werde, und riet von einem Verkauf ab.
Gespräche mit ähnlichem Inhalt wurden auf Grund des weiter anhaltenden Kursverfalls im August, Oktober 2000, Januar und Februar 2001 geführt. Im März 2001 verkaufte die Klägerin schließlich alle Fondsanteile und verlangte im gerichtlichen Verfahren die Wertdifferenz der Fondsanteile zwischen dem 30. Mai 2000 und dem 21. März 2001, die sich auf insgesamt rund 165.000 Euro belief. Sie hielt der beklagten Sparkasse vor, dass die Empfehlung, die Fondsanteile nicht zu verkaufen, eine Beratungspflichtverletzung gewesen sei.
Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt.
2. Die Entscheidung des BGH
Die Revision der Sparkasse zum Bundesgerichtshof führte zur endgültigen Klageabweisung. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hatte die beklagte Sparkasse ihre Beratungspflichten nicht verletzt:
2.1 Dabei sah der BGH zunächst einen Beratungsvertrag durchaus für gegeben an. Dieser folgte nicht aus dem beim Erwerb der Fondsanteile geschlossenen Vertrag, weil dieser nach Ansicht der Rechtsprechung über die Anlageentscheidung hinaus regelmäßig keine fortdauernden Überwachungs- und Beratungspflichten hinsichtlich der erworbenen Wertpapiere begründet. Auch aus dem Depotvertrag folgten derartige Pflichten nicht.
Zwischen den Parteien sei aber ein neuer Beratungsvertrag geschlossen worden, als sich die Klägerseite am 30. Mai 2000 erkundigte, ob ein Verkauf der Fondsanteile ratsam sei. Das darin liegende Angebot auf Abschluss eines Beratungsvertrages habe die Sparkasse stillschweigend angenommen, da sie das Beratungsgespräch aufgenommen und durchgeführt habe.
2.2 Eine Pflichtverletzung innerhalb dieses Beratungsvertrages verneinte der BGH allerdings. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Beratung muss nach Auffassung des BGH grundsätzlich anleger- und objektgerecht sein. Maßgeblich sind für die anlegergerechte Beratung
· der Wissensstand,
· die Risikobereitschaft und
· das Anlageziel des Kunden.
Für die objektgerechte Beratung, die auch ein bloßer Anlagevermittler zu leisten hat, kommt es insbesondere auf
· die allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Kapitalmarktes),
· die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben.
Wichtig ist hierbei, dass die Aufklärung des Kunden über diese Umstände richtig und vollständig sein muss.
Die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts muss unter Berücksichtigung dieser Umstände hingegen lediglich vertretbar sein. Sie darf nach Ansicht des BGH auch nicht rückschauend beurteilt werden ("Hinterher ist man immer schlauer"), sondern ist möglichst aus der damaligen Situation heraus zu bewerten (so genannte "ex ante"-Sichtweise). Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde.
2.3 An diesen Grundsätzen gemessen, konnte der BGH eine Pflichtverletzung der Sparkasse nicht feststellen.
Insbesondere verneinte der BGH eine Pflicht zur erneuten Aufklärung über die mit Fondsanteilen verbundenen Risiken, da die Klägerin die Anteile längst erworben hatte und am 30. Mai 2000 eine solche Aufklärung auch gar nicht erwartete.
Die Empfehlung, die Anteile nicht zu verkaufen, hielt der BGH - anders als das Oberlandesgericht - aus ex ante-Sicht für vertretbar. Es sei davon auszugehen, dass am 30. Mai 2000 objektiv nicht vorhersehbar war, ob die Kurse weiter fallen oder innerhalb des Anlagezeitraums das Niveau vom 30. Mai 2000 wieder überschreiten würden. Die Sparkasse habe daher nicht pflichtwidrig gehandelt, als sie auf Grund ihrer Erfahrung und langjährigen Beobachtung der Kursentwicklung von einem entsprechenden Wiederanstieg der Kurse innerhalb des Anlagezeitraums ausging und dementsprechend vom Verkauf abriet. Es sei nichts vorgetragen oder ersichtlich, was diese Einschätzung aus ex ante-Sicht unvertretbar erscheinen ließe.
Die Sparkasse musste die Klägerin nach Ansicht des BGH auch nicht darüber informieren, dass nicht absehbar gewesen sei, ob der Kursverfall beendet sei. Dies verstehe sich von selbst, da das auch von einem Börsenfachmann nicht mit Sicherheit beurteilt werden könne.
Schließlich sah der BGH auch keine Verpflichtung der Sparkasse, die Klägerin über unterschiedliche Meinungen über den künftigen Kursverlauf im Mai 2000 zu informieren. Da die Kursentwicklung an sich nicht sicher zu beurteilen sei, verstehe es sich ebenfalls von selbst, dass hierzu unterschiedliche Meinungen existieren würden.
3. Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass nicht jeder Fall zu einem "Haftungsfall" für den Kapitalanlageberater bzw. -vermittler werden muss. Während im Bereich der Aufklärung über die Risiken eines Anlageobjekts strenge Maßstäbe gelten - richtige und vollständige Aufklärung - muss eine Bewertung und Empfehlung lediglich vertretbar sein.
Gleichwohl zeigen die gegensätzlichen Entscheidungen der Vorinstanzen, dass hier auch innerhalb der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Haftungsgrundsätze viele Bewertungsspielräume verbleiben. Ein Vermittler sollte sich im vermeintlichen Haftungsfall also frühzeitig Rechtsrat einholen.
Das Urteil des BGH vom 21. März 2006, XI ZR 63/05 sowie die Vorschriften des Versicherungsvermittlerrechts finden Sie im Volltext unter .
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Autor(en): Anwaltskanzlei Küstner, von Manteuffel & Wurdack