Für Piloten und Zugführer war er eine ordentliche Herausforderung. Für Haus- und Autobesitzer eine potenzielle Gefahr. Und für Länder, Kommunen und Versicherer wird es mal wieder richtig teuer. Der jüngste Wintersturm "Burglind" hat in Deutschland seine Spuren hinterlassen.
Der Wintersturm “Burglind” kostet die Versicherungsbranche nach Expertenschätzungen rund 300 Millionen Euro.
Das ergebe sich aus Berechnungen auf Basis der aktuellen Wetterdaten, teilte der Versicherungsmakler Aon Benfield kürzlich mit. Das Orkantief war seit Dienstagabend mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Kilometern pro Stunde und starken Regenfällen über weite Teile Deutschlands hinweggezogen. “Burglind” richtete vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Schäden an. Der Regen dürfte auch in den kommenden Tagen zu Überschwemmungen und überfluteten Kellern führen.
Tauwetter verschärft die Hochwassersituation
Sturm Burglind verursachte als erster Sturm des neuen Jahres einen versicherten Schaden von 200 Millionen Euro in Deutschland", schätzt die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK). Markante Wettererscheinungen prägten den Durchzug des Sturms. "Insbesondere der starke Niederschlag wirkt sich schadenerhöhend aus, sowohl bei durch den Wind geschädigten Gebäuden, als auch durch die aufgeweichten Böden bei Bäumen. Die Regenmengen und das Tauwetter aufgrund des Temperaturanstiegs verschärfen zudem die Hochwassersituation", erklärt MSK-Geschäftsführer Onnen Siems.
Aber auch mit Blick auf die Schadenentwicklung könnte sich durch Burglind eine angespannte Situation weiter zuspitzen. Die Wintersturmsaison 2017/18 hatte im Oktober mit Xavier und Herwart begonnen, deren Schäden in ähnlicher Größenordnung lagen. Innerhalb von zwölf Monaten ist Burglind nun das fünfte Wintersturmereignis für die deutschen Versicherer. Aber auch in weiteren Ländern Europas hat Burglind gewütet. "Betroffen waren noch Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten, sodass die versicherten europaweiten Schäden bei einer halben Milliarde Euro liegen werden", so Siems.
"Warum Extremwetterereignisse so schwer zu prognostizieren sind", darüber hat sich kürzlich Jörg Rüffert, Assistent Kompetenzteam "Digitalisierung & Innovation" von den Versicherungsforen Leipzig, seine Gedanken gemacht. In einem Versicherungsforen-Themendossier erläutert der Fachmann die Unwägbarkeiten der Prognosen. Wir veröffentlichen diese Darstellung in gekürzter Form:
"Die Schwierigkeit einer guten Vorhersage besteht darin, dass Wetter sehr komplex ist. Es bedarf unzähliger Klimadaten, die zunächst ausgewertet werden müssen, um sie in einem nächsten Schritt in Modelle zu implementieren. Darüber hinaus sind Wettermodelle nicht. Selbst Hochleistungsrechner können anhand der gesammelten Daten nur Wahrscheinlichkeiten ausgeben, wo und wann Starkregen, Sturm und Gewitter zuschlagen könnten. ...
Am Ende bleibt immer noch eine Unsicherheit
Prognosen von Meteorologen des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) gelten als besonders zuverlässig. Doch selbst diese sind nur für 48 bis 72 Stunden im Voraus mit einer Wahrscheinlichkeit, die für Branchenfremde als eher gering eingeschätzt wird, möglich. Als besonders schwierig gilt die Vorhersage von Gewittern und Sturmtiefs. Im sogenannten now-casting-Bereich wird eine Prognose von bis zu drei Stunden bereits als relativ präzise eingeschätzt. Grund dafür ist die Tatsache, dass an dieser Stelle die klassische Wettervorhersage – und die zugrunde liegende Statistik – an ihre Grenzen stößt. Software und Modelle sind heutzutage nur in der Lage, aus den Daten bis zu drei Minuten vor dem Unwetter zu berechnen, wohin der Sturm in den nächsten 90 Minuten ziehen wird. Und selbst dann bleibt eine Unsicherheit. ...
Für Rückversicherer ein Horrorszenario
Fakt ist, dass sich die Summe der durch Wetterereignisse entstandenen Schäden seit 1980 weltweit auf 3.277 Milliarden USD beziffert. Traut man den Wissenschaftlern, so wird die Ziffer mehr als linear weitersteigen. Für Rückversicherer sind solche Aussagen ein Horrorszenario. Steigt das Schadenpotenzial weiter, müssen sich Rück- und Erstversicherer ernsthafte Gedanken machen. So fördert beispielsweise die Munich Re systematisch ein bestimmtes Accelerator-Programm, um mit frischen Ideen aus der Start-up-Szene den Klimaschutz voranzubringen. ...
Mit Blick auf die weltweiten Schäden durch Extremwetterereignisse ist das auch dringend notwendig. So hat auch die Politik erkannt, dass man Versicherer nicht allein im Regen stehen lassen sollte. Der jüngste Klimagipfel, welcher stellvertretend in Bonn tagte, zeigt die Bedeutung des Themas. So bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel den Klimawandel als eine „Schicksalsfrage“ für die Welt. …
Ein Regelbuch zum Klimaabkommen von Paris soll entstehen
Einige Schritte zur Umsetzung des Klimaabkommens von Paris wurden im Zuge der Konferenz auch bereits gemacht, unter anderem eine Sammlung von "Mega-Papieren" zur Reduktion von Treibhausgasen. Daraus soll im kommenden Jahr eine Art Regelbuch zum Klimaabkommen von Paris entstehen, damit die Anstrengungen aller Länder mit einheitlichem Maßstab gemessen werden können. …
Deutschland hat sich hinsichtlich des Klimaschutzes sehr strenge Ziele gesetzt. Das Bundeskabinett beschloss 2016 einen Klimaschutzplan für 2050, der die Entschlossenheit der Bundesregierung unterstreicht, dem Klimawandel mit ehrgeiziger Klimaschutzpolitik zu begegnen – allerdings sieht sich Deutschland unter den G8 als einzige Industrienation, die derartige Ziele verfolgt. …
Sämtliche Institutionen müssen Hand in Hand gehen
Und was hat das alles mit der Versicherungsbranche zu tun? Eine ganze Menge! Denn die Betrachtung der Extremwetter-Statistik samt seiner Problematiken, dem Klimawandel und der globalen Klimapolitik ist für die Assekuranz unerlässlich, um daraus resultierende Risiken absichern und letzten Endes auch für die entstehenden Schäden aufkommen zu können. Die Klimadebatte ist also bei weitem keine Angelegenheit mehr, die Politik, Industrie, Versicherungen und Gesellschaft ignorieren können – im Gegenteil: sämtliche Institutionen müssen Hand in Hand gehen. Dazu gehört es aber auch, die meteorologischen und klimatischen Zusammenhänge erst einmal zu verstehen und auch verständlich zu kommunizieren (soweit es möglich ist). …"
Quellen:
Meyerthole Siems Kohlruss Gesellschaft fuer aktuarielle Beratung mbH; Reuters;
Versicherungsforen-Themendossier 24/2017: Aktuelle Entwicklungen in der Versicherungswirtschaft, 4. Quartal 2017
Autor(en): Versicherungsmagazin