"Oh, diese Digital Natives, die lassen sich nur schwer führen, motivieren und ins Team integrieren. Von denen macht jeder sein eigenes Ding." Solche Klagen hört man als Berater von Führungskräften in Seminaren und Coachings oft. Und fragt man nach, wen die Führungskräfte mit den so genannten Digital Natives überhaupt meinen, dann sind meist die jungen Mitarbeiter bis Ende 20 gemeint – die nach 1990 geboren wurden, mit den digitalen Technologien aufwuchsen und deshalb mit diesen vertraut sind.
Von ihnen werden in der Regel die Digital Immigrants abgegrenzt, die vor 1990 geboren wurden - also bevor mit den PCs und Handys der Siegeszug der digitalen Technologien auf breiter Front begann.
Begriffe werden schnell zur Schublade
Erschwert wird die Diskussion darüber, was die Digital Natives von den Digital Immigrants unterscheidet, dadurch, dass diese sich in verschiedenen Lebensphasen befinden, weshalb sie sozusagen automatisch unterschiedliche Bedürfnisse haben. Hinzu kommt: Neben den Begriffen Digital Natives und Immigrants geistern weitere Begriffe durch die Diskussion – nämlich die Begriffe Generation X, Y sowie Z.
In der öffentlichen Debatte werden die Digital Natives oft mit der Generation Y gleichgesetzt. Dabei zählen die Soziologen hierzu nicht nur die ab 1990, sondern alle ab 1980 geborenen Personen. Diese Gleichsetzung ist Nonsens. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass zur Generation Y auch die heute 30- bis 38-Jährigen zählen, die nicht selten Schlüsselpositionen in den Unternehmen innehaben und nicht nur leistungsfähig und -bereit sind, sondern auch Karriere machen möchten – wenn eventuell auch nicht um jeden Preis. Entsprechend vorsichtig sollte man die Begriffe Generation X, Y und Z gebrauchen – auch um nicht alle Angehörigen einer Altersgruppe über einen Kamm zu scheren. Denn diese waren schon immer verschieden und sind es auch heute.
Gesellschaftlicher Wandel beeinflusst Haltungen
Dessen ungeachtet haben sich, seit vor fast 30 Jahren die ersten Digital Natives geboren wurden, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stark verändert. So betonen zum Beispiel viele Forscher, die digital Natives hätten einen stärkeren Selbstverwirklichungsdrang als die Generationen vor ihnen. Zudem seien sie offener für andere Kulturen, Innovationen und neue Lebensstile. Das mag für die nach 1990 Geborenen stimmen. Vielleicht sind sie aber auch nur jünger und noch nicht festgefahren und spüren noch nicht die Verantwortung, eine Familie zu ernähren.
Dessen ungeachtet haben die nach 1990 geborenen Angehörigen der Generation Y und Generation Z ein großes Plus: Es gibt relativ wenige. Entsprechend heiß werden insbesondere die höher Qualifizierten unter ihnen von den Unternehmen in Zeiten eines steigenden Fach- und Führungskräftemangels umworben. Hinzu kommt nicht selten gerade bei den höher Qualifizierten: Sie wuchsen in wohlsituierten Familien auf. Deshalb wissen sie schon heute: Irgendwann werde ich ein nicht unbeträchtliches Vermögen erben. Deshalb müssen sie weniger berufliche Kompromisse eingehen, um fürs Alter vorzusorgen. Auch dies beeinflusst ihre Einstellung zur Arbeit und ihr Verhalten.
Deshalb ist es wichtig, sich mit der Frage zu befassen, wie lassen sich die Digital Natives so in Unternehmen integrieren, dass sie sich mit ihrer Arbeit identifizieren und eine die Generationen übergreifende Zusammenarbeit gelingt. Denn in fast allen Unternehmen arbeiten mehrere Generationen unter einem Dach.
Bis zu fünf Generationen im Team
Das Rentenalter verschiebt sich aufgrund der höheren Lebenserwartung schleichend nach hinten. Deshalb arbeiten heute in vielen Unternehmen bereits Menschen zusammen, deren Altersunterschied bis zu 50 Jahre beträgt. In ihnen prallen bis zu fünf "Generationen" aufeinander:
- die Traditionalisten (vor 1950 geboren), die heute in der Regel nur noch als Senior-Chefs, in den Unternehmen präsent sind,
- die Babyboomer ( 1951 bis 1964 geboren), von denen die älteren Jahrgänge bereits das Rentenalter erreicht haben,
- die Generation X (1965 bis 1980 geboren), die heute weitgehend das mittlere und obere Führungspersonal in den Unternehmen stellt,
- die Generation Y (1981 bis 2000 geboren), von denen viele bereits zu den etablierten Leistungsträgern in den Unternehmen zählen, und
- die Generation Z (ab 2001 geboren), der heute bereits viele Auszubildende in den Betrieben angehören.
Die veränderte demografische Struktur zeigt sich auch im Bereich Führung: Die Regel "Der Chef ist älter als seine Mitarbeiter" ist in den meisten Betrieben schon lange passé. Heute stehen die Führungskräfte oft vor der Herausforderung, nicht nur erheblich jüngere, sondern auch ältere Mitarbeiter zu führen. Auch dies trägt dazu bei, dass das Führen schwieriger wird.
Die Diversität der Denk- und Arbeitsstile nutzen
Die unterschiedlichen Denk- und Arbeitsstile erfordern von allen Beteiligten Toleranz sowie die Bereitschaft, sich wechselseitig zu verstehen. Denn jede Generation ist tendenziell anders gestrickt und hat ihre spezifischen Wünsche, Bedürfnisse und Ziele. Darauf müssen sich neben den Arbeitgebern auch die Führungskräfte einstellen, damit sich die Mitglieder ihrer Teams nicht gegenseitig lähmen. Das wechselseitige Verständnis gilt es zu fördern – etwa, indem man Foren für die Mitarbeiter schafft, um sich generationsübergreifend besser kennen und verstehen zu lernen.
Besteht ein solches Verstehen können die Stärken, die den verschiedenen Generationen zugeschrieben werden, gezielt genutzt werden – zum Beispiel die Technologie-Affinität der Ypsiloner, der Wunsch, etwas zu bewegen, der Generation X und die aus Erfahrung resultierende Gelassenheit der Babyboomer.
Die generationenübergreifende Zusammenarbeit fördern
Damit die generationenübergreifende Zusammenarbeit funktioniert, ist es wichtig, den Menschen im Kollegen zu entdecken. Hilfreich sind hierbei folgende Maximen:
Die richtige Einstellung macht’s
Toleranz beginnt im Kopf: Jeder Mensch ist einzigartig und verfügt über ein individuelles Stärken- und Schwächen-Bündel – altersunabhängig. Die Stärken des jeweils anderen Menschen gilt es zu sehen und zu entdecken.
Die Unterschiedlichkeit als Bereicherung sehen
Sich regelmäßig fragen: Was kann ich von den Angehörigen der jeweils anderen Generation lernen? Inwieweit kann ich von ihnen profitieren?
Die unterschiedlichen Lebensstile akzeptieren
Insbesondere, wenn es um die Frage nach der Work life balance geht, lohnt es sich für die Digital Immigrants nicht selten, sich von den Digital Natives neu inspirieren zu lassen. Zugleich folgen sie jedoch seltener kurzlebigen Moden und Trends.
Offen sein für Neues
Sich unvoreingenommen neuen Vorhaben und Ideen nähern gemäß der Maxime: Ausprobieren geht über Studieren. Diese Haltung ist im digitalen Zeitalter nötig, um eingefahrene Pfade zu verlassen.
Nicht stets gleich Perfektion anstreben
Wer Neues wagt, findet selten auf Anhieb die perfekte Lösung oder deren Entwicklung dauert im schnelllebigen digitalen Zeitalter oft zu lange. Deshalb gilt es, bei Bedarf auch mal eine 80- oder gar 50-Prozent-Lösung zu akzeptieren, so lange sie das Team dem Ziel näher bringt.
Das eigene Verhalten hinterfragen
Dies ist nicht nur eine Voraussetzung fürs Lernen, sondern auch für eine hohe Toleranz gegenüber anderen Denk- und Verhaltensweisen.
Sich vom Schubladen-Denken lösen
Sich bewusst machen, dass es die Digital Natives oder Immigrants ebenso wie die Deutschen oder die Frauen beziehungsweise Männer nicht gibt. Letzlich besteht jede dieser Schubladen aus einer Vielzahl von Individuen
Führung erfordert Persönlichkeiten
Eine gute, generationenübergreifende Zusammenarbeit gelingt nur, wenn auch die Führungskräfte ein entsprechendes Verhalten zeigen. Sie sollten insbesondere folgende Maximen beherzigen.
Vorbild sein
Die obigen Maximen selbst leben und auf deren Einhaltung im Betriebsalltag achten.
Verbindlich sein
Sich auf einen Regel- und Absprachen-Katalog im Umgang miteinander verständigen.
Offen für konstruktive Kritik sein
Auch wenn sie das eigene Verhalten und Wirken betrifft.
Lernbereit sein
Nicht nur Mitarbeiter, auch Führungskräfte sollten ihr Verhalten und dessen Wirkung regelmäßig hinterfragen.
Die (Entscheidungs-)Macht gezielt gebrauchen
Das heißt auch, die Entscheidungsbefugnis zum Teil bewusst an Digital Natives oder Immigrants oder gemischte Teams aus beiden Personengruppen zu delegieren.
Den Menschen zugewandt sein
Das bedeutet auch, mit ihnen mal über Persönliches sprechen und eine offene, angstfreie Kommunikation fördern.
Generell gilt: Im digitalen Zeitalter müssen Führungskräfte starke, also glaubwürdig und authentisch wirkende Persönlichkeiten sein, denn nur dann schenken ihnen ihre Mitarbeiter ihr Vertrauen und lassen sich von ihnen führen. Eine solche Führung brauchen gerade generationenübergreifende Teams, da in ihnen unterschiedliche Lebenserfahrungen und -stile aufeinander prallen.
Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, das Unternehmen dabei unterstützt, ihren Mitarbeitern die Kompetenzen zu vermitteln, die sie im digitalen Zeitalter brauchen (www.ifidz.de).
Autor(en): Barbara Liebermeister