Bei den Kosten macht die private Krankenversicherung kaum erkennbare Fortschritte. Aber es gibt einige erfreuliche Entwicklungen.
In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Versicherungswesen hat der Chefredakteur Marc Surminski erneut seine jährlichen Übersichten über die Geschäftszahlen der privaten Krankenversicherung (PKV) zusammengetragen.
Erdrückende Marktführerschaft
Der Bruttoneuzugang an Vollversicherten lag 2020 mit 232.247 Personen um rund 5.700 oder 2,5 Prozent höher als im Vorjahr. Erstmals mit detaillierten Zahlen dabei ist die junge Ottonova Krankenversicherung, die allein 1.210 neue Vollversicherte verzeichnet und ihren Bestand auf 1.854 Vollversicherte erhöhen konnte.
Das ist durchaus beachtlich, und Ottonova könnte dadurch in der Liga der 32 Vollkrankenversicherer schon bald vom vorletzten Platz nach Zahl der Vollversicherten weiter aufsteigen. Allerdings verfügt das Unternnehmen über übersichtliche neun Millionen Euro Beitragseinnahmen.
Insgesamt sind die Beitragseinnahmen der 32 Vollkrankenversicherer um 4,5 Prozent auf rund 41,8 Milliarden Euro angewachsen. Das liegt allerdings jedenfalls nicht an einem Zuwachs an Vollversicherten, denn deren Anzahl sank leicht um 0,1 Prozent auf etwas über 8,7 Millionen Personen. Ursächlich sind wohl Beitragsanpassungen sowie Erfolge im Zusatzversicherungsgeschäft.
Die Debeka konnte ihre Marktführerschaft weiter absichern und erneut 36 Prozent aller neuen Vollversicherten in ihre Bücher holen, nach 39 Prozent im Vorjahr. Sie erreicht knapp 6,6 Milliarden Euro Beitragseinnahmen sowie fast 2,5 Millionen Vollversicherte, das entspricht 16 beziehungsweise 28 Prozent des jeweiligen Gesamtbestands.
Umdeckung beschleunigt sich
Viel Wachstum wird über Umdeckungen angestrebt. Ein Indikator dafür sind die Alterungsrückstellungen, die die Versicherer von anderen Gesellschaften erhalten sowie umgekehrt an andere Gesellschaften abgegeben haben (Portabilität). Zwar berichten nicht alle Versicherer diese Zahlen, Axa, Generali und Landeskrankenhilfe verweigerten sie. Für die verbleibenden 29 Versicherer ist ein erheblicher Anstieg der erhaltenen Alterungsrückstellungen um 73 Prozent auf 144 Millionen Euro zu verzeichnen.
Gleichzeitig sind auch die abgegebenen Beträge um 41 Prozent auf 93 Millionen Euro angestiegen. Da wie erwähnt manche Versicherer Angaben verweigern, kann man nur Mutmaßungen darüber anstrengen, ob die erhebliche Differenz von 51 Millionen Euro auf das Konto allein dieser drei Versicherer geht.
Umdeckung ist einerseits ein vom Gesetzgeber erwünschter Effekt, der die Mitgabe der Alterungsrückstellungen mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 überhaupt erst eingeführt hatte – gegen den Willen der Branche. Andererseits stellt sich dabei immer die Frage, ob sie wirklich für die Kunden von Nutzen ist, zumal ihnen stets die weniger kostenträchtige Möglichkeit eines Tarifwechsels ohne Verlust von Alterungsrückstellungen verbleibt.
Kostenquoten bewegen sich kaum
Dagegen bedeutet die Umdeckung in der Regel eine neue Abschlussprovisionseinnahme für die Vermittler. Der Branche ist es erkennbar bisher nicht gelungen, von diesem sehr einseitigen Fokus auf Einmalprovisionen abzurücken und stattdessen laufende Vergütungen zu zahlen, mit denen die Erhaltung der Verträge und die Beratung zum Alterungsrückstellungs-freundlichen Tarifwechsel besser belohnt würde.
So verwundert es nicht, dass die privaten Krankenvollversicherer trotz der erneut drohenden Eingemeindung in eine – wie auch immer geartete – Bürgerversicherung keine erkennbaren Fortschritte bei den Kosten machen, die die Kritiker der Branche besänftigen könnten. Die – ungewichtete – mittlere Abschlusskostenquote 2020 liegt mit 6,9 Prozent nur um ein halbes Prozent niedriger als im Vorjahr. Die auf dem gleichen Weg ermittelte, durchschnittliche Verwaltungskostenquote ist mit 2,4 Prozent fast unverändert.
Völlig anders sehen die Veränderungsraten nur dann aus, wenn man die kleine Ottonova in diese ungewichteten Mittelwerte einbezieht. Deren Kostenquoten für die beiden Jahre 2019 und 2020 sind noch exorbitant hoch, was für ein Start-up typisch ist, gehen aber rasch zurück. So wird das Unternehmen mit 47,9 Prozent Abschluss- und 4,6 Prozent Verwaltungskostenquote gelistet – die Vorjahreswerte lauteten noch 60,3 und 17,7 Prozent.
Zusammenhänge mit Sozialtarifen
Abschlusskosten- und Verwaltungskostenquote sind stark positiv korreliert. Das heißt, wenn ein Krankenversicherer die Abschlüsse teurer bezahlt als andere, liegen auch die Verwaltungskosten relativ höher.
Wer umdeckt, verliert mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig Vollversicherte, auch diese Korrelation ist sehr hoch und signifikant. Einen weiteren auffälligen Zusammenhang gibt es mit der Anzahl an Personen, die ihren regulären Krankenversicherungsbeitrag über längere Zeit nicht mehr zahlen konnten und deshalb den Notlagentarif in Anspruch nehmen. Diese Zahl ist ebenfalls hoch positiv korreliert mit den Portabilitätszahlen. Viel Bewegung hängt also auch mit vermehrter Not unter den Versicherten zusammen.
Insgesamt hat sich allerdings die Zahl der Personen im Notlagentarif erfreulicherweise um gut sechs Prozent auf rund 49.000 Personen reduziert, jedenfalls bei den 24 Versicherern, die diese Zahl an die Zeitschrift gemeldet haben.
Die Zahl scheint bei einigen Versicherern als sensibles Geschäftsgeheimnis angesehen zu werden, denn mit 31 Versicherern berichten deutlich mehr – also fast alle Unternehmen – die Zahl der Versicherten in den beiden anderen Sozialtarifen. Knapp 50.000 Personen werden im Standardtarif geführt, 2,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Knapp 31.000 Personen haben den Basistarif, das sind nur 0,4 Prozent mehr als noch 2019.
Provisionen erklären keine Akquiseerfolge
Mit der Provisionshöhe scheinen die Neuakquise- und Umdeckungsaktivitäten kaum zusammenzuhängen. Das zeigt wieder einmal eine Analyse bei denjenigen Versicherern, für die aus einer zuletzt 2017 durchgeführten Vermittlerbefragung mittlere Provisionssätze vorliegen. In der Ausschließlichkeit gibt es sogar den auf den ersten Blick unplausiblen Zusammenhang, dass der Abschlusserfolg bei Neuversicherten umso mehr steigt, umso geringer die mittlere Abschlussprovision ist. Das liegt allerdings allein an der statistischen Verzerrung, die durch den Marktführer Debeka mit seiner provisionsbezahlten Angestelltenorganisation und deren herausstechendem Abschlusserfolg verursacht wird.
Ohne diesen Effekt müsste man bei Ausschließlichkeitsvertretern genauso wie bei Maklern schlicht feststellen: Es gibt keinen statisch signifikanten Zusammenhang zwischen Provisionshöhe und Neugeschäftserfolg. Die Provisionshöhe erklärt bei Maklern nur acht Prozent der Varianz bei den Neuversicherten, quasi nichts, und bei Ausschließlichkeitsvertretern ohne Debeka: gar nichts. Derselbe Effekt zeigt sich, wenn man die Portabilitäten und die Provisionshöhen korreliert. Das heißt, auch das Umdeckungsgeschäft wird jedenfalls nicht von traditionellen Einfirmen- und den typischen, niedergelassenen Maklerfirmen „gekauft“, welche in der erwähnten Provisionsstudie repräsentiert sind. Dagegen kann keine Aussage darüber getroffen werden, wie es sich mit Großvertrieben, Pools und Portalen verhält. Deren Vergütungsvereinbarungen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Autor(en): Matthias Beenken