Versicherte empfinden Telematik-Tarife als gerecht, wenn sich diese auf beeinflussbare Verhaltensmerkmale beziehen. Werden eine schwer veränderbare Lebenssituation oder das Schicksal der Versicherten einbezogen, sinkt die Akzeptanz deutlich. Das ist ein Ergebnis einer Studie von Professor Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen der TH Köln.
Zudem untersuchte er, unter welchen konkreten Rahmenbedingungen Versicherte einen Telematik-Tarif abschließen würden. Die Ergebnisse sind in der Publikation „Geschäft oder Gewissen? Vom Auszug der Versicherung aus der Solidargemeinschaft“ des Goslar-Instituts erschienen. Neben Müller-Peters hat Professor Dr. Fred Wagner von der Universität Leipzig die Untersuchung verfasst.
Telematik-Tarife eröffnen der Versicherungsbranche neue Möglichkeiten. Durch die Vernetzung der Autos kann beispielsweise ermittelt werden, wie viel tatsächlich mit dem Fahrzeug gefahren wurde (pay as you drive) und auf welche Art (pay how you drive). Für eine risikoarme Fahrweise könnte die Versicherung günstiger werden. „Wir wollten in unserer Studie untersuchen: Entspricht das dem Gerechtigkeitsempfinden der Versicherten? Und welche Merkmale dürften eine Rolle spielen und welche sind tabu?“, erläutert Müller-Peters.
Die Einschätzung von Gerechtigkeit ist äußerst subjektiv
Der Großteil der Befragten unterscheidet zwischen leicht beeinflussbaren sowie nicht oder nur schwer veränderbaren Merkmalen. So halten es jeweils über 60 Prozent der Befragten für gerecht, wenn die Punkte in Flensburg und das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit bei der Kfz-Versicherung berücksichtigt werden. Der Wohnort des Halters oder häufige Nachtfahrten werden als ungerechte Kriterien wahrgenommen. Bei der Krankenversicherung werden unter anderem die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sowie Tabak- und Alkoholkonsum als gerechte Merkmale empfunden; vererbte Krankheiten, genetisch bedingte Risiken oder der ausgeübte Beruf nicht. „Natürlich ist die Einschätzung von Gerechtigkeit höchst subjektiv. So halten es nur 13 Prozent der befragten Raucher für gerecht, wenn rauchende Versicherte einen Aufschlag bezahlen müssen, während über 70 Prozent der Nichtraucher dies gerecht finden“, so Müller-Peters.
„Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass die Versicherten bei der Krankenversicherung etwas skeptischer sind gegenüber telematischen Merkmalen, als bei der Kfz-Versicherung“, sagt Müller-Peters. Das korrespondiere mit ihren Bewertungen der verschiedenen Versicherungsbranchen: So halten es 68 Prozent der Befragten für legitim, wenn eine Autoversicherung Gewinne erwirtschaftet, aber nur 36 Prozent bei der gesetzlichen Krankenkasse.
Chip unter der Haut - Zwölf Prozent wären damit einverstanden
Stellt man die Frage, ab wie viel Prozent Ersparnis die Befragten einen Telematik-Tarif abschließen würden, ähneln sich die Ergebnisse für die Kfz- und die Krankenversicherung: Jeweils etwas mehr als 30 Prozent der Befragten wären zu einem Tarifwechsel bereit – ab einem Preisvorteil von 30 Prozent. „Allerdings gibt es auch eine relativ große Gruppe, die unter keinen Umständen einen solchen Tarif abschließen würde: Bei der Kfz-Versicherung sind das 31 Prozent, bei der Krankenversicherung 38 Prozent“, sagt Müller-Peters. Als Aufzeichnungsinstrumente könnten sich 39 Prozent der Autofahrer, die für solche Tarife offen sind, einen Stecker im Zigarettenanzünder vorstellen, 35 Prozent eine Box im Motorraum. Bei der Krankenversicherung sprechen sich 53 Prozent der Befürworter für ein Fitnessarmband aus, 45 Prozent für eine intelligente Armbanduhr. Selbst ein Chip unter der Haut kommt für zwölf Prozent in Frage.
Würden die Versicherungsprämien vom Fahrstil oder vom Gesundheitsverhalten abhängen und gäbe es regelmäßig eine Rückmeldung, dann erwarten die meisten Befragten eine Verhaltensänderung. 70 Prozent denken, dass die meisten Menschen vorsichtiger fahren und 67 Prozent, dass sie mehr auf ihre Gesundheit achten würden. Bei der Wirkung auf die eigene Person sind sie skeptischer: Nur 46 Prozent erwarten eine Änderung beim eigenen Fahrstil und nur 48 Prozent beim eigenen Gesundheitsverhalten.
Ein Fazit: Grundsätzliches "Ja" von knapp jedem Zweiten - doch vier Hemmschwellen zu überwinden
In Verbindung mit der notwendigen Datenerfassung kann sich knapp jeder Zweite (46%) eine telematikbasierte Kfz-Versicherung und etwa jeder Dritte (35%) eine verhaltensbasierte Krankenversicherung vorstellen. Demgegenüber lehnen dies 43% (bei Kfz) beziehungsweise 53% (bei Kranken) grundsätzlich ab. Nur jeder Zehnte gibt sich unentschlossen.
Pauschale Ablehnung beruht fast durchgehend auf Datenschutzbedenken und dem Wunsch nach Wahrung der Privatsphäre.
➤ Hinzu kommt fallweise die Sorge vor Datenmissbrauch, vor Nachteilen im Schadensfall und die grundsätzliche Ablehnung von „Gängelung“ durch den Versicherer.
➤ Fehlende Gerechtigkeit nach dem Gleichheits- oder Solidarprinzip spielt bei der persönlichen Entscheidung nur eine nachgeordnete Rolle.
Vier Schwellen entscheiden somit zwischen persönlicher Akzeptanz und Ablehnung:
➤ Sind die Tarifierungskriterien nachvollziehbar?
➤ Erscheinen die Kriterien durch den Einzelnen beeinflussbar und damit gerecht?
➤ Ist ein persönlicher Vorteil zu erwarten?
➤ Ist die Datenerfassung sicher und dem – individuell höchst unterschiedlichen – Wunsch nach Privatsphäre und Autonomie entsprechend?
Hintergrundinformationen
1.070 repräsentativ gewichtete Personen nahmen an einer 15-minütigen Online-Befragung teil. Schwerpunkt der Fragen war neben der Kfz- auch die Krankenversicherung.
Die kostenlose Publikation „Geschäft oder Gewissen? Vom Auszug der Versicherung aus der Solidargemeinschaft“ wurde von Professor Horst Müller-Peters und Professor Dr. Fred Wagner erstellt. Sie ist im Auftrag des Goslar Instituts, Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern e. V., einer Initiative der Huk-Coburg, entstanden.
Die ausführlichen Ergebnisse finden Sie hier: http://goslar-institut.de/fileadmin/fuerAdmin/bilder/Broschueren/2017/_GESCHA%CC%88FT_ODER_GEWISSEN_...
Quelle: Goslar Institut
Autor(en): Versicherungsmagazin