Versicherer sehen sich auf digitalem Weg - Realität sieht anders aus

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Alexander Kern (siehe Foto) geht mit der Versicherungswirtschaft scharf ins Gericht. Wenn es um Digitalisierung geht, sieht der Bipro-Mann die Versicherungsbranche ganz schlecht aufgestellt. "Für viele Versicherer bedeutet Digitalisierung pdfs per Mail versenden." Geäußert hat der Vertriebsexperte diese harsche Kritik auf der 4. Konferenz für Finanztechnologie in Frankfurt am Main. Die Details.

Die Konferenz für Finanztechnologie ­- auch überschrieben mit "Fintech-Revolution" - fand dieses Jahr zum vierten Mal an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main statt. Im Zentrum der diesjährigen Tagung standen die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI), Standardisierung und wie (zielgerichtet) Banken und Versicherer diese Trends umsetzen. Die Konferenz wird gemeinschaftlich getragen von dem Center for Financial Studies am House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt am Main, den Fachzeitschriften Bankmagazin und Versicherungsmagazin. Moderiert wurde die Veranstaltung von Stefanie Burgmaier (siehe Foto), Geschäftsführerin von Springer Fachmedien Wiesbaden und Herausgeberin Bankmagazin.

Standardisierung eine Selbstverständlichkeit - nicht bei allen

Einer der hochkarätigen Referenten der Veranstaltung war eben auch Alexander Kern, Leiter Business Development beim Brancheninstitut für Prozessoptimierung (Bipro). Für Kern und seine Mitstreiter bei Bipro sind Standards und die Standardisierung eine Selbstverständlichkeit und „für die meisten Branchen eine Normalität, über die niemand mehr nachdenkt.“ Die Versicherer stellen da eine unrühmliche Ausnahme dar, so Kern. Das zeige sich unter anderem daran, dass er bei vielen Unternehmen in der Versicherungsbranche ein „gehöriges Prozess- und Datenchaos“ sieht, bei denen diverse Analyseprogramme, Datenquellen, Dienstleister und Vergleicher im Einsatz wären. Zu viele, deren keinen Standards gehorchenden Angebote mehr Verwirrung stifteten denn Führung böten.

Wie leichtfertig einige Versicherungsvorstände mit dem Thema Digitalisierung umgehen, verdeutlichte er an einem Beispiel. Ein Vorstand eines Versicherungskonzerns hätte sich gegenüber ihm ungefähr so geäußert: „Amazon und Co. werden höchstwahrscheinlich und in naher Zukunft die Oberhand im Versicherungsgeschäft haben, aber bis dahin bin ich sicher schon in Rente." Als wenig verantwortungsvoll, wenn nicht sogar schädlich, aber immer noch typisch, erachtet Kern eine derartige Haltung gegenüber der digitalen Trendwende im Versicherungssektor.

Aktuell 271 Versicherer Mitglied bei Bipro

Doch es geht auch anders. Das zeige die positive Mitgliederentwicklung seines Brancheninstituts. So sind aktuell 271 Versicherungsunternehmen bei Bipro als Mitglieder eingetragen und arbeiten mit und nach den Bipro-Standards. Und diese und andere Versicherer, die die Zeichen der Zeit erkannt hätten, würden immer mehr zusammenrücken oder sogar kooperieren, um ihr digitales Niveau zu erhöhen und sich so gegen die Übermacht von Amazon, Google und Co. besser wehren zu können. Diese Häuser hätten erkannt, dass „Standards keine Wettbewerbskiller sind“.

Ohne API-Schnittstellen geht es nicht mehr

Ganz wichtig dabei für die Zukunftsfähigkeit der Branche, aber auch seines Unternehmens sei es, auf API-Schnittstellen zu setzen. Der Branchenführer Allianz sei hier sehr rege. Auch sein Haus möchte Ende 2019 /Anfang 2020 voll auf API-Schnittstellen setzen. So werde sich Bipro konsequent „zur Software Community entwickeln“. Bipro arbeitet nach fünf Leitlinien, diese besagen verkürzt zusammengefasst:

  1. offene, fürjedermann nutzbare Normen einsetzen,
  2. Technik vorantreiben,
  3. Fachlichkeit anstreben,
  4. Neutralität wahren und
  5. konkrete Implementierungsprojekte verfolgen.

Gemäß diesen Leitlinien ist Bipro kürzlich erst wieder neue Kooperationen eingegangen, so auch mit dem Insurlab Germany und den Versicherungsforen Leipzig. Weitere Kooperationen sind in der Pipeline. Und beim GDV hat sich die Beharrlichkeit der Standardverfechter von Bipro nun auch ausgezahlt: Die veralteten GDV-Standards sollen endlich abgeschafft werden. Zu diesem Erfolg passt dann auch Kerns Einstiegsstatement auf der Finanztechnologie-Konferenz: „Für die Versicherungswirtschaft muss eine digitale Souveränität geschaffen werden."

Es besteht also (wohl doch) noch Hoffnung für die Branche.

 

Autor(en): Meris Neininger

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